Europa

Konflikt droht zu eskalieren: Kosovo-Serben auf Barrikaden, Albaner besetzen Parlament in Mitrovica

Da die Kosovo-Serben sich immer mehr Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sehen, sind sie auf die Barrikaden gegangen. Droht der Konflikt weiter zu eskalieren, oder kann eine Lösung erreicht werden, die alle Parteien zufriedenstellt? Der Westen und Russland vertreten auch in diesem Streit konträre Standpunkte.
Konflikt droht zu eskalieren: Kosovo-Serben auf Barrikaden, Albaner besetzen Parlament in MitrovicaQuelle: AP © Visar Kryeziu / AP

Von Marinko Učur

Weder 23 Jahre nach dem illegalen NATO-Bombenangriff auf Jugoslawien im Jahr 1999, noch 18 Jahre nach dem verheerenden albanischen Urbizid bzw. nach der Zerstörung serbischer Kirchen und der Vernichtung des Kulturerbes im Jahr 2004. Und auch nicht 9 Jahre nach der Unterzeichnung des Brüsseler Abkommens, in welchem die Einrichtung einer Gemeinschaft serbischer Gemeinden im Norden Kosovos vorgesehen ist: Es ist kein Ende der interethnischen Spannungen in Sicht.

Die Albaner und ihre amerikanischen sowie europäischen Sponsoren entziehen sich beharrlich ihren Verpflichtungen. Insbesondere fällt die provokative Rhetorik Pristinas auf: Dessen Ministerpräsident, Albin Kurti, sieht sich als eine Art balkanischer Selenskij und wirft Serbien Aggression und Hegemonie vor – ähnlich wie es die ukrainische Seite gegenüber Russland tut.

Ein deutsch-französischer Friedensvorschlag als Folge des Scheiterns der Brüsseler Vermittlung

Vergeblich versucht ein Brüsseler Bürokrat, der ehemalige slowakische Außenminister Miroslav Lajčak, mit seiner Pendeldiplomatie einen Fortschritt in Richtung einer Einigung zu erzielen, die zur Entschärfung der Spannungen führen würde. Jedoch ist allen klar, dass seine Vermittlungskapazität dafür nicht ausreicht. In diesem letzten Fall kommt das den Albanern zugute, die zu ihren transatlantischen Freunden aufblicken – den Amerikanern, die für sie einen Staat geschaffen haben, der von mehr als drei Vierteln der Menschheit und den meisten UN-Mitgliedsstaaten nicht anerkannt wird.

Unzählige Treffen der höchsten serbischen Beamten, einschließlich des Präsidenten Vučić, mit Vertretern Pristinas führten bislang zu keinen ermutigenden Ergebnissen. Daher schlossen sich zwei europäische Länder, Deutschland und Frankreich, dem Versuch an, die Pattsituation zu lösen, und boten den Parteien eine Vereinbarung an – was für Serbien de facto die Anerkennung der selbsternannten Sezessionsgebiete als international anerkannter Staaten bedeuten würde. Andererseits könnte dieser mögliche zweite albanische Staat auf dem Balkan leicht Mitglied der Vereinten Nationen werden. All dies sind große Herausforderungen für Serbien, die die von Vučić geführte Regierung nicht bereit ist, anzunehmen. Schließlich konnten Gebiete niemals Mitglieder der Weltorganisation werden, und im Falle des Kosovo wird dessen "Staatlichkeit" nicht einmal von fünf Mitgliedsstaaten der Europäischen Union anerkannt.

Daher ist die Glaubwürdigkeit des sogenannten "deutsch-französischen Vorschlags" auch zweifelhaft, weil eben diese beiden Länder die Unabhängigkeit von Pristina anerkannt haben. In der Zwischenzeit hat der deutsch-französische Vorschlag angeblich einige Änderungen erfahren. Jetzt bestehe man nicht mehr ausdrücklich darauf, dass Serbien das Kosovo anerkennt. Aber die Seite von Pristina wird darin immer noch nicht aufgefordert, eine Gemeinschaft serbischer Gemeinden zu errichten – eine Verpflichtung, die seit 2013 behindert wird. Beharrlich wird alles relativiert und mit Floskeln werden, "beide Seiten dazu aufgerufen, durch Verhandlungen eine annehmbare Lösung zu erreichen." Im europäischen Wörterbuch bedeutet dies, dass Belgrad früher oder später die Unabhängigkeit Pristinas akzeptieren müsste, im Austausch für leere Versprechungen und eine zunehmend unerreichbare "europäische Zukunft und Perspektive". Deshalb will die serbische Seite nicht in eine Falle tappen, die sie zu irgendeiner Neuregelung mit den Kosovo-Albanern zwingen würde, bis nicht Pristina seinen Verpflichtungen aus dem Brüsseler Abkommen nachkommt.

Die Pattsituation bei der Vermittlung und ihre Folgen: Polizeiliche Repressionen gegen Serben

Die diplomatische Vermittlungsrolle von Miroslav Lajčak führt nicht zu den erwarteten Ergebnissen, und Pristina sieht darin ihren Vorteil. Deshalb greift die dortige Regierung zunehmend zu repressiven Maßnahmen gegen die Serben in Kosovo. Sie demonstriert in mehrheitlich serbischen Gebieten Gewalt. Und entsendet bis an die Zähne mit langen Gewehrläufen und gepanzerten Truppentransportern bewaffnete binationale Polizeikräfte auf die Straßen – unter dem Vorwand, "die Lage unter Kontrolle zu halten."

So etwa hat die albanische Polizei kürzlich das serbische Dorf Velika Hoča überfallen und bei der Beschlagnahmung von 42.000 Litern Wein bei einer serbischen Familie geholfen – angeblich wegen illegaler Produktion und illegalen Handels mit Wein.

Die Medien fanden zudem heraus, dass die albanische Polizei aus Pristina im Verwaltungsgebäude des Stausees "Gazivode" eine Razzia durchgeführt hat. Dort befindet sich ein kleines Wasserkraftwerk, das von strategischer Bedeutung ist. Zum einen für die Wasserversorgung von Pristina, und zum anderen für die Kühlung der Anlagen des größten Energiepotenzials im Kosovo, des Wärmekraftwerkes "Obilić".

Kurz darauf, am 10. Dezember, verhaftete die albanische Polizei einen serbischen Staatsbürger, Dejan Pantić, ein ehemaliges Mitglied der kosovarischen Polizei. Er hatte zusammen mit all seinen Landsleuten den Polizeidienst von Pristina verlassen, wegen der andauernden Unterdrückung und der eigenen Unfähigkeit, seine Landsleute zu schützen. Dies war der Grund für die jüngste Protestkundgebung der Serben in Kosovo, und auch für die Straßenblockaden – die noch andauern, während ich diesen Text schreibe.

Pristina, das Pantić inzwischen in einem Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt hat, wird im Rahmen der Proteste aufgefordert, ihn unverzüglich freizulassen. Und Brüssel wird aufgefordert, bei der Freilassung dieses Serben zu vermitteln.

Sind die USA in einer Lage allmächtig, in der die EU hilflos ist?

In einer derart angespannten Lage – die seit Tagen, ja Monaten am Rande eines bewaffneten Konflikts steht – beteiligen sich auch die Amerikaner an der Friedensmission. Nämlich mit ihrem Sondergesandten für den Westbalkan, Gabriel Escobar, der zuerst in Pristina und dann in Belgrad nach einem Ausweg aus der Pattsituation suchen soll. Zuvor hatte der EU-Kommissar für auswärtige Angelegenheiten, Josep Borrell, die Möglichkeit angekündigt, zusätzliche europäische Friedenstruppen zu der EULEX-Mission zu entsenden, um die Spannungen zu schlichten. Aber er ließ es sich nicht nehmen, die serbische Seite wegen der Proteste, Straßenblockaden und eines mutmaßlichen Angriffs auf die Polizei und EULEX-Beamte für die jüngste Krise verantwortlich zu machen.

Obwohl die Rolle des Kremls kleingeredet wird, bringt Moskau sein Interesse am Kosovo und an einem Friedensengagement zum Ausdruck

Auch der Kreml zeigte sich besorgt um die Sicherheitslage in der serbischen Gemeinschaft.  In einer Erklärung des Kremlsprechers Dmitri Peskow rief die russische Regierung dazu auf, diese Spannungen so schnell wie möglich zu lösen und alle Rechte der Serben zu gewährleisten.

"Der serbische Präsident Aleksandar Vučić hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht um Hilfe gebeten, um die Spannungen im Kosovo und in Metohija zu entschärfen. Er hat jedoch unterstrichen, dass Moskau an einer Lösung der Lage interessiert ist", betonte Peskow und wies damit unbestätigte Medienspekulationen zurück.

Diese Position des offiziellen Moskaus widerspricht den westlichen Behauptungen, Russland sei derzeit mit seinen eigenen Problemen beschäftigt und habe keine Zeit, sich mit dem Kosovo auseinanderzusetzen. Einen solchen Zeitmangel bestreitet auch der russische Botschafter in Serbien, Alexander Bozan-Chartschenko: In einer Erklärung gegenüber dem Fernsehsender Solowjow Live betonte er, "dass es völlig falsche Behauptungen gibt, dass Russland jetzt keine Zeit für Kosovo hat." Auf der Grundlage dieser falschen Prämisse habe der Westen die Lage verschärft, bestätigte Bozan-Chartschenko. Und er fügte hinzu:

"Der Westen glaubt, dass, wenn Russland jetzt andere Sorgen hat, es möglich ist, zusätzlichen Druck auf Belgrad auszuüben. Damit es bald die Unabhängigkeit seiner südlichen Provinz anerkennt."

Proteste als Ausdruck serbischer Unzufriedenheit stellen nach wie vor die letzte gewaltfreie Maßnahme dar

In Erwartung der Ergebnisse der jüngsten amerikanischen und europäischen Friedensmission sind die Serben entschlossen, auf den Barrikaden zu bleiben, bis ihre unschuldig verurteilten Landsleute aus dem Gefängnis freigelassen werden. Dabei sind sie nach eigenen Angaben bereit, alle Formen des zivilen Ungehorsams und des Protests zu zeigen. Und so auf ihre aktuelle Lage hinzuweisen, in der ihre grundlegenden bürgerlichen und ethnischen Rechte infrage gestellt werden. Wie sie sagen, sei Pristina entschlossen, sie zur gemeinsamen Auswanderung aus dem Kosovo zu zwingen. Um ihren Kampf und ihr Recht auf nationale Kontinuität und ein religiöses Erbe, das bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht, auszuhöhlen.

Pristina kündigte eine Kandidatur für die EU-Mitgliedschaft an

"Vor kurzem hat die Europäische Union bei dem Gipfel in Tirana in einer gemeinsamen Erklärung einen beschleunigten Beitrittsprozess gefordert. Unser Antrag an die EU ist fertig und entspricht dem Versprechen, das die EU der Region bei dem Gipfel von Thessaloniki im Jahr 2003 bezüglich einer EU-Mitgliedschaft gegeben hat."

So also sieht Pristinas Premierminister Albin Kurti die Zukunft des Kosovo: Er kündigt einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft an. Wobei Kurti aber vergisst, dass fünf EU-Länder Kosovo nicht anerkennen und Vollmitglieder der Union sowie der UNO nur souveräne Staaten sein können, niemals aber Territorien. Dies ist offensichtlich eine Botschaft, die mehr an Serbien als an Brüssel gerichtet ist: Dass nämlich Pristina sich um jeden Preis als glaubwürdiger Spieler auf der internationalen Bühne präsentieren will.

Die UN-Resolution 1244 aus dem Jahr 1999 und ihre Reichweite im Jahr 2022

Die jüngste Eskalation im Kosovo bestätigte noch einmal die in gewisser Weise vergessene, aber immer noch gültige Bestimmung, die in der Resolution 1244 der Vereinten Nationen von 1999 enthalten ist. Diese Resolution sieht die Möglichkeit vor, 1.000 Angehörige der serbischen Armee und Polizei in das Kosovo zu entsenden, um den Frieden, kulturelle und religiöse Schätze zu schützen und an Grenzkontrollpunkten präsent zu sein. Im Augenblick scheint es kaum möglich, dass sich so etwas ereignen könnte, vor allem wegen des Widerstands des Westens und der Länder, die Serbien bombardiert einst haben. Aber es ist bezeichnend, dass Serbien auch diesen Trumpf in seinen Händen hält – den es bisher nie ausgespielt hat. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock war eine der ersten, die etwaige Ankündigungen in diese Richtung als "unannehmbar" bezeichnete. Und kurz darauf betonte ebendies auch der amerikanische Sonderbeauftragte für den Balkan, Gabriel Escobar.

Belgrad: Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht, und Pristinas Schritte verkomplizieren die Lage weiter 

Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht. Davon zeugen auch die völlig einseitigen Schritte des kosovarischen Regierungschefs, Albin Kurti, der am 14. Dezember in Nord-Mitrovica ein lokales Parlament aus ethnischen Albanern bildete, obwohl es sich um eine mehrheitlich serbische Gemeinde handelt. Zuvor hatten die Serben – weil sie Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt sind – alle lokalen Regierungsbehörden, einschließlich der Polizei und der Justiz, verlassen und einen Boykott angekündigt, bis gemäß dem Brüsseler Abkommen eine Gemeinschaft serbischer Gemeinden errichtet wird.

Der Direktor des Büros der serbischen Regierung für das Kosovo, Petar Petković, bezeichnete die jüngsten Ereignisse als "legale Gewalt", die aufgekommen sei, nachdem die Albaner die serbischen Sitze im lokalen Parlament in Nord-Mitrovica besetzt hatten:

"Auf diese Weise versucht Kurti, im Norden Kosovos und Metohijas eine rein monoethnische albanische Gemeinde zu schaffen. Und genau das ist der Spiegel der angeblichen Demokratie und der sogenannten Rechtsstaatlichkeit von Albin Kurti: Die rein serbische Gemeinde entgegen den Vorschriften, Regeln und Vereinbarungen von Albanern übernehmen und führen zu lassen", betont Petković.

Was werden die nächste Nacht und die folgenden Tage bringen?, fragen Sie die Serben, die seit sechs Tagen auf den Barrikaden stehen und die Umsetzung zuvor unterzeichneter Verpflichtungen fordern. EULEX und KFOR sind in Alarmbereitschaft und rufen zur Zurückhaltung auf. Damit die ohnehin angespannte Lage nicht zu Konflikten eskaliert, die niemandem recht sind.

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