Meinung

"Wir fahren mit Panzern nach Europa" – Die EU-Einreisebeschränkungen für Russen

Nachdem Estland die Einreise für russische Bürger mit Schengen-Visa beschränkt hat, folgte nun Lettland mit einigem Stolz. Wird Litauen sich anschließen? Der unterschiedliche Umgang der EU-Länder mit diesem Akt der Russophobie macht nicht nur ihre Stellung innerhalb der Staatengemeinschaft deutlich.
"Wir fahren mit Panzern nach Europa" – Die EU-Einreisebeschränkungen für RussenQuelle: www.globallookpress.com © imago stock&people

Von Sergey Aksyonov

Die Regierung Lettlands hat sich dazu entschieden, die Einreise nach Lettland für russische Bürger mit Schengen-Visa zu beschränken, wie der lettische Außenminister Edgars Rinkēvičs heute Morgen stolz verkündete. Einen Tag zuvor hatte sein estnischer Amtskollege Urmas Reinsalu als erster dasselbe angekündigt. Ab dem 19. September können die Russen nur über einen Umweg in die EU einreisen, sagte er. Vermutlich wird morgen ein Litauer mit der gleichen Botschaft auftauchen. Das Baltikum unternimmt alle russophoben Schritte zu dritt. Offensichtlich ermutigen sie sich damit gegenseitig.

Neben der baltischen Trinität beabsichtigt auch Polen Beschränkungen einzuführen. Die jüngsten Ereignisse zeigen, dass dies völlig natürlich ist. Und die Sache liegt nicht einmal in der Masse anderer russenfeindlicher Initiativen Warschaus, sondern in dem deutlichen Empfinden, dass die polnischen Politiker wahnsinnig geworden sind. Die Reparationsforderungen an Deutschland angesichts zweier Verträge, in denen diese Frage endgültig geklärt worden war, und die Gebietsansprüche an die Tschechische Republik zeigen deutlich: Die polnische Szlachta hat eine Schraube locker. Das gilt auch für die Schengen-Angelegenheit. Die Reaktion des russischen Außenministeriums auf die plötzliche Schengen-Barriere war sowohl ideologischer als auch juristischer Natur.

"Diese Schritte sind nicht überraschend. Sie offenbaren lediglich das Wesen des Liberalismus, was in Wirklichkeit ein liberales Diktum ist, eine liberale Diktatur, und den russenfeindlichen Charakter der politischen Kräfte, die gegenwärtig in den baltischen Ländern am Ruder sind",

kommentierte Maria Sacharowa die Situation. Ihren Worten zufolge werden in diesen Ländern alle Grundsätze des internationalen Rechts verletzt: "Dieser [Entscheid] hat keine rechtliche Grundlage".

Tatsächlich, der gesunde Menschenverstand suggeriert, dass, wenn die EU als einheitliches Gebilde die Einreise in ihr Territorium durch die Ausstellung eines Schengen-Visums erlaubt hat, dann würde jede Beschränkung durch einen Teil von ihr (in unserem Fall die baltischen Staaten und Polen) den gemeinsamen europäischen Rechtsraum sprengen. Und die Tatsache, dass Josep Borrell höchstpersönlich dem Baltikum die Erlaubnis zur Blockade erteilte, nachdem er neulich erklärt hatte, das Schengen-Visum garantiere den Russen nicht die Einreise nach Europa, zeigt nur, dass Brüssel die politische Integrität der EU um des politischen Augenblicks willen riskiert.

Charakteristisch ist, dass sich die alten EU-Mitgliedsstaaten wie Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien von der Schengen-Diskussion distanziert haben. Halten sie ihre jahrhundertealte europäische Würde angesichts der kleinlichen Gemeinheiten und bürokratischen Tricks für unverletzlich? Vermutlich ja. Möglicherweise weigerte sich Finnland aus demselben Grund, die Position von Estland, Lettland und Litauen zu unterstützen. Ungeachtet eigener drakonischer Beschränkungen für die Ausstellung von Visa für Russen weigerte sich Helsinki, die Einreise derjenigen zu blockieren, die ein Visum besitzen. Das Prinzip ist wichtiger.

Warum dann die Vorreiterrolle der baltischen Staaten, die so eifrig die Europäische Union zerstören, die sie nicht aufgebaut haben? Meiner Meinung nach ist das eine Frage für Psychologen. Weil sie der EU so spät beigetreten sind, mussten sie erkennen, dass die "erwachsenen" Länder sie lediglich als Trophäe aufgenommen haben – als einen Teil der ehemaligen UdSSR, der sich de facto als arme Peripherie der EU wiederfand, dessen Bewohner in Scharen in den reichen Westen zur Arbeit abwanderten. Also müssen diese Länder, oder genauer gesagt ihre Politiker, diese Demütigung irgendwie kompensieren.

So erfinden sie Wege, um zu zeigen, dass sie etwas wert sind, zumindest im Hinblick auf Rassismus gegenüber Russland.

"Reisen innerhalb der Europäischen Union ist ein Privileg, kein Menschenrecht", heißt es in der gemeinsamen "Schengen"-Erklärung von Estland, Lettland, Litauen und Polen. Ist das noch keine schlüssige Diagnose? Wir wurden aufgenommen, aufgenommen, aufgenommen in das Haus des Herrn, wenn auch in der Position von Leibeigenen, und ihr, ihr Russen, wurdet nicht aufgenommen, wurdet nicht aufgenommen! Ätsch! Ehrlich gesagt, fühle ich mich ein wenig beschämt durch meine ehemaligen Landsleute, obwohl sie seit langem auf der anderen Seite der politischen Front stehen. Und bei dem Wort "Privileg" denkt man an die historischen Exklusivitätsansprüche einiger Länder und Völker.

Kehren wir aber zur objektiven Ebene der Frage zurück. Wie viel Schaden kann die Schengen-Initiative der baltischen Nachbarländer den Russen wirklich zufügen? Einige logistische Schwierigkeiten? Ja. Jemand wird einen Umweg machen müssen, durch normale Länder fahren. Aber betrifft dies überhaupt viele Russen? Schließlich werden solche Kategorien von Bürgern wie Diplomaten oder Personen, die Verwandte in Europa haben, zur Ausnahme gemacht. Höchstwahrscheinlich werden nur diejenigen wirklich betroffen sein, die gewisse Interessen in den baltischen Staaten haben, zum Beispiel Aufenthaltsgenehmigungen, Immobilien.

Ohne die Schwierigkeiten zu leugnen, die sich für die russischen Bürger der baltischen Staaten ergeben werden, möchte ich darauf hinweisen, dass die überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung gar nicht zu dieser Kategorie gehört. Gemäß den Statistiken verfügen die Russen in diesem Jahr 2022 über 963.000 Schengen-Visa. Dies entspricht lediglich 0,7 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes.

Offensichtlich reisen die meisten von diesen überhaupt nicht ins Baltikum, schließlich ist Europa groß. Auf die baltischen Staaten entfällt ein geringer Anteil. Das bedeutet, dass wir als Nation im Großen und Ganzen all diese lokalen Verbote überwinden werden.

Nebenbei bemerkt: Die Zahl der Schengen-Visa für Russen erreichte im Jahr 2013 mit fast 7 Millionen ihren Höchststand. Seitdem ist sie nur noch gesunken, bis auf ein Siebtel davon. Anscheinend hat jeder, der Europa als Tourist besuchen wollte, dies bereits getan und danach das Interesse an der EU verloren. Das ist meine subjektive Erfahrung. Meine begrenzte Neugierde führte mich einst nach Polen, wo ich anstelle von Warschau ein kleines nicht-ganz-Moskau sah, und dann nach Finnland, wo sich Helsinki als eine schlechte und unterentwickelte Kopie von Sankt Petersburg entpuppte. Seitdem hat es mich nicht mehr nach Europa gezogen. Sogar den abgelaufenen Reisepass ließ ich nicht verlängern.

Demnach sollten die Schengen-Beschlüsse der baltischen Staaten und Polens auf rein politische Demarchen zurückgeführt werden. Auf diese Weise wollen sie ihr historisch verklemmtes Ego stärken. Dass der übermäßige Eifer in dieser Richtung eines Tages diese Länder selbst treffen könnte, daran denken sie offenbar nicht. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an meine Frau Nastya, die Anfang der 2000er-Jahre aus einem litauischen Gefängnis entlassen wurde, in dem sie eine Strafe für die Beteiligung an einer politischen Aktion für den freien Transit von Russland nach Kaliningrad verbüßt hatte, und die von ihren Abenteuern ironisch lächelnd erzählte: "Wir fahren mit Panzern nach Europa". So scherzte sie.

Übersetzt aus dem Russischen.

Mehr zum Thema – Lukaschenko: "Ohne gebührenden Respekt kein Dialog mit dem Westen"

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.