Europa

Die Saat der gegenwärtigen politischen Spaltung in der Ukraine wurde vor 30 Jahren gesät

Wie die Ukrainer 1991 in einem Referendum für den Erhalt der Sowjetunion stimmten, aber noch im selben Jahr in einem unabhängigen Staat endeten. Der Donbass kämpft seither für seine Autonomie und beschloss nach der Sezession der Krim, ebenfalls seinen eigenen Weg zu gehen.
Die Saat der gegenwärtigen politischen Spaltung in der Ukraine wurde vor 30 Jahren gesätQuelle: Sputnik © Sputnik

Eine Analyse von Alexander Nepogodin

Anfang 1991 hielten nur wenige das Verschwinden der Sowjetunion von der politischen Landkarte für wahrscheinlich. Die Ergebnisse eines großen nationalen Referendums, das im März abgehalten wurde, deuteten darauf hin. Das Votum der Ukraine lag bei über 70 Prozent für den Verbleib in der Sowjetunion und für die Annahme des neuen Unionsvertrags. Die öffentliche Debatte über die gemeinsame Zukunft aller sozialistischen Republiken konzentrierte sich hauptsächlich auf verschiedene Formen einer Föderation. Selbst die Befürworter der ukrainischen Unabhängigkeit hielten es nicht für realistisch, dass sich die Sowjetunion auflösen würde. Aber im August desselben Jahres begannen die Dinge ins Wanken zu geraten, und nach einem gescheiterten Staatsstreich in Moskau proklamierte Kiew die Souveränität der Ukraine. Sowohl die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik als auch die anderen Republiken der Union begannen zu verstehen, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion unvermeidlich wurde und als solcher akzeptiert werden müsse. Damals begannen sowohl der Donbass als auch die Krim, von der Zentralregierung in Kiew mehr Autonomie und mehr Schutz ihrer Interessen zu fordern.

Dieser Aufsatz blickt noch einmal zurück auf die sechs Monate zwischen dem wegweisenden Referendum über den Unionsvertrag der UdSSR und dem Unabhängigkeitsvotum in der Ukraine, das sich irgendwie als attraktiv genug herausstellte, um in der Bevölkerung der Ukraine einen Meinungsumschwung in Gang zu setzen, und er untersucht die Gründe, warum dieses Ergebnis sowohl dem flächenmäßiggrößten Land aller Zeiten ein Ende bereiten konnte als auch gleichzeitig zur Geburtsstunde der Bewegung der Separatisten wurde.

Auf der Suche nach einem Kompromiss

Nach 1988 brachen in verschiedenen Teilen der Sowjetunion nacheinander eine Reihe von Konflikten aus, die große Spannungen hervorriefen: unter anderem in Abchasien, Südossetien, Bergkarabach und Transnistrien.

In der Politik begann ungefähr zur selben Zeit die als "Parade der Souveränitäten" bekannt gewordenen Phase, die mit der Souveränitätserklärung von Estland vom 16. November 1988 begann und mit der die Vormachtstellung der estnischen Rechtsordnung über jene der UdSSR proklamiert wurde. Es folgten eine Reihe weiterer Republiken, darunter die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR), die sowohl 1989 als auch 1990 ihre Souveränität erklärte und die am Ende eine entscheidende Rolle bei der Zerschlagung der Sowjetunion spielte.

Der darauf folgende Machtkampf zwischen dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow und dem Vorsitzenden des Obersten Sowjets der RSFSR Boris Jelzin führte zur Bildung eines alternativen Machtzentrums, das den Kreml herausfordern konnte.

Die Situation begann eine eigene Dynamik zu entwickeln, und die Veränderungen schienen unumkehrbar. Litauen war die erste Sowjetrepublik, die ihre Unabhängigkeit erklärte und die am 11. März 1990 vom Obersten Rat der Litauischen SSR proklamiert wurde. Langsam wurde klar, dass die Existenz der UdSSR in all diesen Jahren lediglich auf einer stillschweigenden Übereinkunft zwischen den Eliten der einzelnen Republiken beruht hatte. Diese Übereinkunft wurde jedoch durch eine schwere Wirtschaftskrise, die durch eine plötzliche Aufhebung staatlicher Monopolmechanismen ausgelöst wurde, sowie durch das Erstarken separatistischer Bewegungen, ethnische Konflikte und durch einen längst überfälligen politischen Wandel ernsthaft erschüttert.

Um die Situation einzudämmen, schlug Gorbatschow einen neuen Unionsvertrag vor, der die Freiheiten und Rechte aller Republiken der Union erheblich erweitern würde. Im Dezember 1990 stimmte der IV. Kongress der Volksdeputierten, der einem Parlament entsprach, dafür, ein Referendum über die Erhaltung der UdSSR als erneuerte Konföderation gleichberechtigter souveräner Republiken abzuhalten und einen neuen Unionsvertrag zu unterzeichnen. Die Idee einer Konföderation wurde vom "Architekten" der Perestroika, Alexander Jakowlew, vorgeschlagen. Der Vorschlag sollte einer Volksabstimmung unterzogen werden.

Das Referendum von 1991 in der Sowjetunion bleibt das einzige Beispiel für echte Demokratie in der Geschichte der UdSSR und wurde für den 17. März 1991 angesetzt. Die Bürger mussten folgende Frage mit Ja oder Nein beantworten: "Halten Sie es für notwendig, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als eine erneuerte Föderation gleichberechtigter souveräner Republiken zu erhalten, wo Menschen aller Nationalitäten Rechte und Freiheiten garantiert werden?"

Viel Kritik wurde an der schwammigen Formulierung geäußert, die eine sehr weite Interpretation der Ergebnisse zuließ. Aber für die meisten Sowjetbürger stellte die Frage eine einfache Wahl zwischen zwei Optionen dar: Sie mussten bekunden, ob sie für oder gegen die Existenz der Sowjetunion waren. Im Zuge der Vorbereitung des Referendums wurde deutlich, dass die UdSSR in ihrer bisherigen Form nicht mehr existierte, da Litauen, Lettland, Estland, Georgien, Moldawien und Armenien erklärt hatten, kein umfassendes Referendum auf ihrem Territorium abzuhalten. Dort wurden in einigen ausgewiesenen Bereichen Abstimmungen abgehalten: Wahllokale wurden bei einer Reihe von Organisationen, Unternehmen und in Militärbasen eingerichtet.

Einige der Republiken, die der Durchführung des Referendums zugestimmt hatten, nahmen Änderungen vor. In der Ukrainischen SSR wurde der Hauptfrage eine Zusatzfrage hinzugefügt: "Sind Sie damit einverstanden, dass die Ukraine auf der Grundlage der Souveränitätserklärung der Ukraine Teil der Union der Souveränen Sowjetstaaten werden sollte?"

Die Bevölkerung der Republik störte sich im Großen und Ganzen nicht an dem inhärenten Konflikt innerhalb des Wortlauts zwischen dem Erhalt der UdSSR und der Zugehörigkeit der Republik als "souveräner Staat" auf der Grundlage der Souveränitätserklärung von 1990. Das lässt sich leicht damit erklären, dass sich nach der Einführung der Souveränität nicht wirklich etwas geändert hatte, außer einigen Versuchen, eine neue Währung einzuführen.

Insgesamt 113,5 Millionen Menschen oder 76,4 Prozent der Bürger der UdSSR stimmten für den Erhalt der Sowjetunion. Das Referendum zeigte, dass die Sowjetmenschen trotz der wachsenden Meinungsverschiedenheiten weiterhin in einem großen Staat leben wollten. 70 Prozent der Bevölkerung der Ukrainischen SSR waren dafür, und 80 Prozent sagten Ja zum Beitritt der Republik zur Union souveräner Staaten auf der Grundlage der Souveränitätserklärung. In den westlichen Teilen der Ukraine, rund um Lwow, Iwano-Frankowsk und Ternopol, stimmte dagegen die Mehrheit der Bevölkerung gegen den Erhalt der UdSSR.

Damals schien es, als hätte Gorbatschow von den Wählern grünes Licht erhalten, um seine Reformen fortzuführen und den neuen Unionsvertrag unterzeichnen zu lassen. Aufgrund des gescheiterten Versuchs eines Staatsstreichs durch das Staatliche Komitee für den Ausnahmezustand, der zwischen dem 18. und 21. August 1991 unternommen wurde, um "die Politik zu stoppen, die zur Liquidierung der Sowjetunion führt", wurde der neue Unionsvertrag nicht wie geplant unterzeichnet. Diese Ereignisse gaben dem Zersetzungsprozess zusätzliche Impulse. Innerhalb weniger Tage, zwischen dem 20. und 31. August 1991, erklärten Estland, Lettland, die Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Usbekistan und Kirgistan ihre Unabhängigkeit.

Umgekrempelter Separatismus

Somit verloren die Ergebnisse des Referendums über den neuen Unionsvertrag fünf Monate nach dessen Abhaltung jegliche Bedeutung, und die Republiken der Union hielten nach und nach Unabhängigkeitsreferenden ab. Schließlich erklärte die Ukraine am 1. Dezember 1991 ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Die Führung der Ukrainischen SSR, die bis dahin noch eine Sowjetrepublik und Teil des Systems der Kommunistischen Partei war, hatte die wenigen Monate seit dem Putschversuch im August 1991 damit verbracht, auf den richtigen Moment zu warten.

Eine weitere Rolle spielte, dass Gorbatschow Wladimir Iwaschko zu seinem neuen Stellvertreter ernannte und ihn von Kiew nach Moskau versetzte. Iwaschko war zu dieser Zeit Vorsitzender des Obersten Sowjets der Ukrainischen SSR und Vorsitzender der Kommunistischen Partei der Ukraine. Gorbatschows Idee war es, auf diese Weise die Verbindungen zwischen den Führungen zu stärken und sich mehr Unterstützung für seinen Kampf gegen Jelzin zu sichern. Der Schritt ging jedoch nach hinten los: Der aus Charkow in der Ostukraine stammende Iwaschko wurde im Obersten Sowjet der Ukrainischen SSR durch den Westukrainer Leonid Krawtschuk ersetzt, was die Zerfallsprozesse nur noch beschleunigte.

Als das Staatliche Komitee für den Ausnahmezustand am 19. August seine offizielle öffentliche Ankündigung machte, den Versuch zu unternehmen, den politischen Kurs des Landes zu ändern, wandte sich Krawtschuk im Fernsehen an die Menschen in der Ukraine mit dem Appell, "sich auf die Lösung der wichtigsten Probleme des täglichen Lebens der Republik zu konzentrieren", sowie zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. In einem Gespräch mit dem damaligen Oberbefehlshaber der Bodentruppen der UdSSR, General Walentin Warennikow, versicherte Krawtschuk, dass er in der Lage sein werde, die Ordnung in der Republik unabhängig aufrechtzuerhalten.

Als Jelzin sich während des Putsches zum "Stellvertreter" Gorbatschows erklärte und de facto wie die Führerfigur der UdSSR auftrat und ein "starkes Russland" forderte, erkannten die politischen Oberhäupter der Ukraine, dass die Zeit für entschlossenes Handeln gekommen war. Die Ereignisse in Moskau lösten in Kiew viel Aktivität aus. Eine Dringlichkeitssitzung des Obersten Sowjets der Ukrainischen SSR wurde für den 24. August angesetzt. Die Abgeordneten Lewko Lukjanenko und Leonti Sanduljak schrieben über Nacht einen Entwurf der Unabhängigkeitserklärung, aber bei der Dringlichkeitssitzung wurde entschieden, dass das Dokument grundlegender Anpassungen bedarf.

Dazu wurde eine Kommission eingesetzt. Zu ihren Mitgliedern gehörten Alexander Moros, der zukünftige langjährige Vorsitzende der Sozialistischen Partei der Ukraine, und Dmitri Pawlitschko, der von sich behauptete, in der ukrainischen Aufstandsarmee UPA gekämpft zu haben. Er wurde damit beauftragt, sich dem Komsomol und der Kommunistischen Partei als V-Mann anzuschließen, um bei der Sabotage des Regimes von innen zu helfen.

Der endgültige Entwurf der Unabhängigkeitserklärung war sowieso ein Pfusch. Moros erzählte später, das er vorgeschlagen hatte, alle Worte der Anerkennung der Rolle von Jelzin aus dem Text der Unabhängigkeitserklärung gleich im Büro von Krawtschuk zu entfernen: "Nach unserem Treffen mit Krawtschuk sagte ich: Lasst uns alle Formulierungen über die Rolle von Jelzin in diesem Prozess entfernen, denn mit der Zeit wird es einfach heikel. Dies ist ein historisches Dokument. Alle stimmten zu, wir strichen alles durch und legten es zur Abstimmung vor."

Die Zustimmung war fast einstimmig. Sogar die Kommunisten stimmten für die Unabhängigkeit. "Die Kommunisten haben für die Unabhängigkeit der Ukraine gestimmt, weil sie verstanden haben, dass die imperialen Machtspiele in Moskau für die Ukraine schlecht enden könnten und weil der Präzedenzfall bereits durch Vilnius und Tiflis geschaffen worden war. Es lief alles darauf hinaus, wer die Macht übernehmen würde, Gorbatschow oder Jelzin", sagte Moros, der später Vorsitzender der Werchowna Rada der Ukraine werden sollte.

Vertrauensvotum

Trotzdem wollten die meisten Ukrainer das Land nicht aufspalten und die wirtschaftlichen und politischen Verbindungen zu Russland nicht abbrechen – die beiden Republiken hatten enge Bindungen, auch auf familiären Ebenen. Beim Referendum im März in der UdSSR stimmte die überwältigende Mehrheit der Ukrainer für den Erhalt der Sowjetunion. Aus diesem Grund mussten Krawtschuk und seine Regierung vor dem Referendum über die ukrainische Unabhängigkeit die Unterstützung der Menschen gewinnen, um die Legitimität der Abstimmung über die UdSSR zu untergraben.

Es gab noch einen weiteren Faktor, der zum Erfolg dieses Szenarios beitrug – Jelzin, der um seinen Machterhalt besorgt war, profitierte von der erklärten Unabhängigkeit der Ukraine und dem Referendum. Es machte die Unterzeichnung des neuen Unionsvertrags unmöglich, was Gorbatschow unweigerlich seiner Macht beraubte und ihn in den Augen der Eliten der Kommunistischen Partei sowie des einfachen Sowjetvolkes aus der Gleichung warf.

Der Plan der ukrainischen Behörden war erfolgreich. Bei dem am 1. Dezember 1991 abgehaltenen Referendum gingen fast 85 Prozent der wahlberechtigten Ukrainer zur Urne. Es wurde nur eine Frage gestellt – jene über die Unabhängigkeitserklärung. Eine überwältigende Mehrheit von 90 Prozent sagte Ja zur Erlangung der Unabhängigkeit. Die Zahlen sprachen für sich. 83,9 Prozent der Einwohner von Donezk stimmten mit Ja, 83,9 Prozent in Lugansk, 86,3 Prozent in Charkow und 85,4 Prozent in Odessa. Die Krim hatte in dieser Hinsicht den niedrigsten Wert, nur 54,2 Prozent der Menschen unterstützten das Unabhängigkeitsszenario.

Bis heute verwenden ukrainische Politiker diese Zahlen als Beweis dafür, dass dies eine Zeit war, in der die Menschen in ihren Ambitionen zum Aufbau einer Nation zusammenkamen. Tatsächlich kam die überwältigende Unterstützung für die Unabhängigkeit der Ukraine in den "prorussischen" Regionen damals für viele überraschend. Es gab jedoch mehrere Gründe für das massive Ja-Votum.

Zunächst einmal wurde den Menschen versprochen, dass alle Verbindungen zu Russland intakt bleiben werden und es keine kulturellen oder sonstigen Grenzen zwischen den beiden Staaten geben wird. Die Behörden versicherten den Bürgern auch, dass die russische Sprache geschützt werde. Krawtschuk selbst hat dies bei mehreren Gelegenheiten gesagt. Niemand erwartete, dass es unmittelbare Grenzen zwischen Russland und der Ukraine geben würde. Subjektiv wollten die Bürger der beiden Republiken keine Auflösung, aber sie wollten eine starke Macht, die der Kreml zu dem Zeitpunkt nicht mehr hatte, also dachten sich die Ukrainer, dass es mehr Ordnung geben würde, wenn die Republik Souveränität erlangen würde. Viele hofften einfach, dass sich am großen Schema der Dinge nichts wirklich ändern würde, während eine Unabhängigkeit die Ukraine zu neuem Wohlstand führen würde. Die Propaganda versprach ein Wirtschaftswachstum vergleichbar mit jenem von Deutschland und Frankreich. Schließlich war die Ukraine vor dem Zerfall der Sowjetunion führend in Europa bei der Stahlerzeugung, beim Kohle- und Erzabbau sowie in der Produktion von Zucker.

Die Menschen waren nach der "Parade der Souveränitäten" und dem Putsch vom August völlig desorientiert. Ein weiterer wichtiger Faktor war, dass das Referendum gleichzeitig mit der Präsidentschaftswahl stattfand, die Krawtschuk gewann. Viele stimmten nicht unbedingt für die Unabhängigkeit, sondern in erster Linie für den "starken Mann", was die übliche Handlungsweise für das sowjetische Volk war. Das waren dieselben Leute, die 1991 auch für den Erhalt der Sowjetunion gestimmt hatten, aber neun Monate später entschieden sie sich für die Unabhängigkeit der Ukraine und für Krawtschuk.

Das Referendum über die Unabhängigkeit der Ukraine hat das Szenario einer modernisierten Sowjetunion zunichte gemacht. Die UdSSR verschwand bald von der Landkarte. In seinen Kommentaren zu den Ergebnissen des Referendums stellte Jelzin klar, dass "der Unionsvertrag ohne die Ukraine keinen Sinn mehr macht". Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits 13 der 15 Republiken ihre Unabhängigkeit erklärt und ähnliche Referenden abgehalten, während Russland und Kasachstan die einzigen waren, die dies nicht getan hatten. Die Ereignisse in der Ukraine waren nicht schockierend, aber sie setzten dem Traum von einer anderen Sowjetunion ein Ende. Die Ukraine war die zweitwichtigste Republik, und ohne sie hatten Gorbatschow oder Jelzin keine Union, die sie regieren konnten.

Kosten der Unabhängigkeit

Trotzdem traf sich Jelzin auch nach Bekanntgabe der Ergebnisse des Referendums vom 5. Dezember privat mit Gorbatschow, um die Perspektiven der Sowjetunion zu erörtern. Am selben Tag versprach Krawtschuk bei seiner Amtseinführung, dass die Ukraine keiner politischen Union beitreten, sondern bilaterale Beziehungen zu den ehemaligen Sowjetrepubliken aufbauen werde.

Er versprach, dass sein Land in der Außenpolitik unabhängig sein, eine eigene Armee aufstellen und eine eigene Währung einführen werde. Der Vertrag über die Neue Union wurde nie unterzeichnet, und am 8. Dezember 1991 setzten Weißrussland, Russland und die Ukraine ihre Unterschriften unter das berühmte Abkommen von Belowesch und gründeten damit die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Dies war der letzte Nagel im Sarg der Sowjetunion.

Später gab Leonid Kutschma, der zweite Präsident der Ukraine, zu, dass die Ukrainer vor dem Referendum in die Irre geführt worden seien: "Wir waren nicht ganz ehrlich zu den Menschen, als wir sagten, dass es die Ukraine ist, die Russland ernährt. In unseren Schätzungen haben wir uns auf durchschnittliche Kosten gestützt, für alles, was wir produziert haben, aber wir haben den Wert der von Russland kostenlos gelieferten Produkte nicht berücksichtigt. 1989 veröffentlichte unser Wirtschaftsinstitut einen Bericht über die Lohnbilanz zwischen Russland und der Ukraine, der für die Ukraine negativ ausfiel. Die Ukraine zahlte für Öl und Gas weniger als für Tee oder Wasser. Das Land wurde nüchtern, als Russland begann, im Handel auf Weltmarktpreise umzustellen. Dies führte zu einer Hyperinflation, deren Ausmaß mit keiner anderen ehemaligen Sowjetrepublik vergleichbar war."

Bereits Anfang der 1990er-Jahre begannen die Kommunen zu erkennen, dass nicht nur das Thema Wirtschaftswachstum irreführend dargestellt wurde. Während der Kampagne zur Unabhängigkeit wurde zugesichert, dass die Ukraine die Rechte der russischen und russischsprachigen Bürger respektieren, dass alle gleich bleiben und es keine Diskriminierung geben werde. Ende 1991 versprach Krawtschuk, dass eine erzwungene "Ukrainisierung" nicht zugelassen und seine Regierung "entschlossen" gegen jede ethnische Diskriminierung vorgehen werde.

1990, nachdem die ukrainischen Gesetzgeber die Souveränität erklärt hatten, plante das Parlament der Krim ein Referendum über den rechtlichen Status der Halbinsel und der Wiederherstellung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik Krim. Dieses fand am 20. Januar statt, und 94 Prozent der wahlberechtigten Bewohner der Krim stimmten für die Schaffung einer Autonomie innerhalb der UdSSR.

Die Krim wurde 1991 jedoch nicht zu einem Konfliktgebiet. Der Oberste Sowjet der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik verabschiedete sogar ein Gesetz, das der Halbinsel einen autonomen Status zuerkannte, jedoch innerhalb der Ukraine. Russland hat nichts dagegen unternommen, weil es mit seinen eigenen Problemen und dem Kampf zwischen Gorbatschow und Jelzin beschäftigt war. Auch die Regierung der Krim war zufrieden, da sie das Recht auf eine eigene Verfassung, einen eigenen Präsidenten und Garantien für ethnische Russen erhielt.

Die Krim war jedoch nicht die einzige Region, die nach Autonomie strebte – auch andere ukrainische Territorien wollten politische Unabhängigkeit. Die Internationale Bewegung des Donbass setzte sich für einen autonomen Status der Region Donezk ein und verfolgte sogar ein Szenario, in dem die Republik Donezk-Kriwoi Rog wiederhergestellt werden würde. Diese war 1918 als Teil der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik gegründet worden und hatte die Gebiete Charkow, Dnjepropetrowsk und Donezk umfasst.

Die ukrainischen Behörden konnten damals eine Krise abwenden, indem sie ein Gesetz verabschiedeten, das Aktivitäten kriminalisierte, die darauf abzielten, die territoriale Integrität der Ukraine zu untergraben – dies hätte einem verurteilten Täter bis zu zehn Jahre Gefängnis eingebracht.

Die ukrainische Regierung versprach auch, dass die russische Sprache dem Ukrainischen in ihrem Status als Staatssprache gleichgestellt sein wird, aber dies geschah nie – eine entsprechende Gesetzgebung wurde nie verabschiedet, obwohl laut Krawtschuk die unabhängige Ukraine "ein Staat für Ukrainer, Russen und andere ethnische Gruppen" sein sollte.

In den folgenden Jahren wurden die russischsprachigen Gemeinden im Südosten der Ukraine – insbesondere im Donbass und auf der Krim – von Krawtschuk, Kutschma und ihren Amtsnachfolgernzutiefst enttäuscht. Nach einer anhaltenden politischen Krise, nicht eingehaltenen Versprechungen gegenüber russischsprachigen Ukrainern und zwei großen vom Westen unterstützten Aufständen – der Orangenen Revolution von 2004 und später des Euromaidan 2014 – hielt die Autonome Republik Krim 22 Jahre und 364 Tage nach dem ersten Referendum ihr letztes Referendum ab, mit demdie Bevölkerung sich für die Wiedervereinigung mit Russland entschied.

Der Donbass hatte seit 1991 für eine Autonomie gekämpft und beschloss 2014 ebenfalls, einen eigenen Weg zu gehen.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Übersetzt aus dem Englischen.

Alexander Nepogodin ist ein in Odessa geborener politischer Journalist und Experte für Russland und die ehemalige Sowjetunion.

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