Meinung

Cum-Ex: Je größer der Betrug, desto geringer die Strafe

Es ist lange her, viele waren beteiligt, und in Haft sitzt bisher nur einer. Cum-Ex, der größte organisierte Betrug zulasten der deutschen Steuerzahler, wird wohl nie rechtlich aufgearbeitet werden. Zur Rettung der Milliardäre ist man noch zu ganz anderem bereit.
Cum-Ex: Je größer der Betrug, desto geringer die StrafeQuelle: www.globallookpress.com © Frank Rumpenhorst

von Dagmar Henn

Wenn man eine Illustration bräuchte, was der Begriff "Klassenjustiz" bedeutet, muss man nur auf den Cum-Ex-Skandal blicken. Ein Skandal, der, wie wir alle wissen, nicht wirklich einer wurde, und dessen Beteiligte, eingeschlossen ein Olaf Scholz, der es inzwischen zum Bundeskanzler brachte, weitgehend ungestraft davonkommen werden.

Nach Jahren juristischer Aufarbeitung gibt es nur eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Haftstrafe, ein weiteres Verfahren ist in der Revision. Bei zwei ehemaligen Aktienhändlern der Hypovereinsbank (HVB) wurde Vermögen in Höhe von 176 Millionen eingezogen, alle anderen Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. Sie konzentrieren sich aber auf drei Banken, über hundert waren an dem Betrug beteiligt.

Die Maßstäbe stimmen nicht und sie werden nie stimmen. Die untersten Schätzungen für den Schaden, den diese Betrugsmasche, bei der die Erstattung der Kapitalertragssteuer für ein und dieselbe Aktie doppelt kassiert wurde, für den Steuerzahler liegt bei 22 Milliarden Euro. Nur zum Vergleich, im Jahr 2010, einem der drei Jahre, in denen dieser Betrug gelang, beliefen sich die gesamten Steuereinnahmen des Bundes auf 225 Milliarden Euro. Der Cum-Ex-Betrug hat also mindestens jeden zehnten Euro der Steuereinnahmen eines Jahres gekostet. Alles andere als Kleingeld. Aber der derart beraubte Staat fiel mitnichten mit Feuer und Schwert über die Untäter her.

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Menge der beteiligten Banken. Nehmen wir die Aufteilung der Banken im Jahr 2014, diese Zahlen sind nicht ganz so einfach zu finden. Damals gab es 1.990 Kreditinstitute. Von diesen waren 1.052 Genossenschaftsbanken und 425 Landesbanken und Sparkassen. Verbleiben 391 Kreditbanken und 122 sonstige. Unter diesen finden sich dann auch noch die Banken der Automobilhersteller, die nur Kredite zum Autokauf vertreiben und Ähnliches. Sagen wir also etwa 400 private Banken bleiben übrig. Hundert von 400 liest sich schon ganz anders; das ist schließlich jede Vierte. Also jede vierte Privatbank, deren Geschäftsmodell sich an Kunden richtet, die an Steuerbetrug interessiert sein könnten, hat sich an dem Cum-Ex-Skandal beteiligt.

Damit aber ist ein solches Verhalten nicht mehr die Ausnahme. Interessant ist ebenfalls, dass zwar die Namen einiger dieser hundert Banken genannt werden und die von zwei an diesem Raubzug beteiligten Großkanzleien, aber nicht die der größten Profiteure, der Bankkunden, für die die Steuerkasse geplündert wurde. Ganz zu schweigen davon, dass nur einer von ihnen vor Gericht geendet hätte.

Das Handelsblatt griff jüngst auf, dass auch die Deutsche Börse involviert gewesen sei. Die Deutsche Börse ist eine Aktiengesellschaft, überwiegend im Streubesitz, deren größter Einzelaktionär Blackrock mit etwas über sechs Prozent ist. Eine Tochtergesellschaft der Deutschen Börse, Clearstream, soll bei dem Betrug kooperiert haben. Das Handelsblatt bezieht sich dabei auf ein Gutachten, das eine weitere private Kanzlei für das hessische Wirtschaftsministerium angefertigt hat, das jedoch über ein Jahr lang nicht veröffentlicht wurde. Die Deutsche Börse AG beruft sich, wen wundert's, auf Gegengutachten, die belegen sollen, dass die Deutsche Börse keinesfalls schuldhaft in die Nummer verstrickt sein konnte.

Klar ist jedenfalls, bei hundert beteiligten Banken laufen Verfahren gegen drei und eine ging in die Insolvenz, dass  94 Prozent der beteiligten Banken bisher straflos davongekommen sind – für offenkundigen Betrug. Von zwei Großkanzleien, die an dem Betrug beteiligt waren, stehen zwei Anwälte vor Gericht. Die Warburg-Bank muss 176 Millionen Euro zurückzahlen. Was ist mit den übrigen 22 Milliarden?

Sie sind schlicht ein weiteres Opfer der deutschen Steuerzahler an das Wohlbefinden der deutschen Milliardärskaste. Ebenso wie zuvor die Steuerfreistellung von Unternehmensverkäufen unter Schröder oder die ganze Geschäftemacherei rund um Corona. Cum-Ex ist nicht der einzige Fall, in dem ein offen kriminelles Geschäftsmodell die extrem ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland weiter zu verschärfen hilft.

Dass die Täter hinter den teuersten Juristen in Deckung gehen können, ist das eine. Das andere ist eine politische Führung, die es als Gnade empfindet, von diesen Bessermenschen mit den großen Vermögen überhaupt wahrgenommen zu werden und entsprechend unwillig ist, selbst der illegalen Bereicherung entgegenzutreten. Auch mit einigem Aufklärungsaufwand liegt die Quote derer, die letztlich zur Rechenschaft gezogen werden, irgendwo im Bereich von Fahrraddiebstahl.

Betrachtet man die Gesetze, das Wertpapierhandelsgesetz und das Börsengesetz, auf deren Grundlage die beteiligten Banken und die Deutsche Börse agieren, entdeckt man einen nicht zu entziffernden Salat aus deutschem und EU-Recht, der in beiden Fällen vor allem einer Vorgabe folgt, dem Schutz der Anleger. Die Ahndung eines organisierten Verbrechens wäre nur über den Umweg der Zuverlässigkeit möglich, die sich wiederum auf Personen bezieht, nicht auf Institutionen. Eine Bank oder eine Handelsinstitution wie die Börse zu schließen, weil diese Struktur kontinuierlich gegen Gesetze verstoßen hat, ist im deutschen Recht nach wie vor nicht vorgesehen. Anleger über den Tisch zu ziehen, ist streng verboten. Alle Steuerzahler? Nun ja ...

Im normalen Leben müsste ein Betrug in einer solchen Größenordnung, auch noch beworben von Banken und Großkanzleien, als Gründung einer kriminellen Organisation gewertet werden, bei dem schon die Mitgliedschaft eine Straftat darstellen würde, nicht erst die Durchführung des geplanten Verbrechens. Im Allerheiligsten des Kapitalverkehrs allerdings, dem Bankwesen – eine Rechtskonstruktion, die genau dem Zweck dient, ein Auflösen von Verantwortung unmöglich zu machen – ist so etwas undenkbar. Allein die Gerichtsverfahren, um die Strafbarkeit dieses Betrugs festzustellen, brauchten bis Frühjahr 2020.

Das Schlimme ist, selbst diese zahnlosen Verfahren wegen Cum-Ex wirken inzwischen wie ein Relikt einer vergangenen Republik. Das, was aufkäme, würde man den ganzen Komplex Corona durcharbeiten, möchte man sich gar nicht mehr vorstellen. Aber es ist schon ersichtlich, dass dies nie geschehen wird. Es gibt schlicht keine politische Kraft, die dies durchzusetzen vermöchte und es sind ohnehin alle mit Krieg und wirtschaftlichem Untergang beschäftigt.

Wobei man eines nicht übersehen sollte: Wenn Banken in den Jahren 2008 bis 2011 zu einem nicht unbeträchtlichen Teil die kriminelle Plünderung der deutschen Staatskasse zu ihrem Geschäft gemacht haben, sagt das etwas über den Zustand der Ökonomie. Ebenso wie es die Raubzüge unter der Überschrift Corona tun. Sie belegen nämlich, dass nach dem Jahr 2008 der Normalzustand nie zurückkehrte, in dem es zwar immer Korruption und Betrug gab, aber nicht in diesem Ausmaß. Wenn jetzt ein ökonomischer Zusammenbruch in Folge der Sanktionen erfolgt, wird etwas ausgespielt, dessen Wurzeln spätestens im Jahr 2008 zu finden sind und das mit allerlei legalen und illegalen Kniffen bis jetzt hinausgezögert wurde. Cum-Ex ist da nur ein Puzzleteilchen. Die augenblicklich angedachten Verbrechen zur Rettung der großen Vermögen haben noch ganz andere Dimensionen.

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