Europa

Museen dürfen sich nicht dem bereinigten Geschichtsbild der "Woken" beugen

Das British Museum sieht sich neuen Forderungen aus Griechenland gegenüber, die Elgin-Marbles an Athen zurückzugeben. Der Streit unterstreicht die wachsende Nachfrage nach der Rückgabe von Artefakten in ihre Herkunftsländer – ein Trend, der die Geschichte auf schreckliche Weise verzerrt.
Museen dürfen sich nicht dem bereinigten Geschichtsbild der "Woken" beugenQuelle: www.globallookpress.com © Giorgos Kontarinis via www.imago-images.de

Ein Kommentar von Damian Wilson

Geht es nach der griechischen Regierung, dann gibt es vier brennende Probleme, mit denen die Menschen in der Wiege der Demokratie konfrontiert sind: Klimawandel, Einwanderung, die COVID-19-Pandemie und das Beharren darauf, dass das British Museum die Elgin-Marbles zurückgibt – jene Marmorskulpturen und -fragmente, die Lord Elgin von den Bauten der Akropolis abnehmen ließ. Sicherlich gibt es wichtigere Themen als das, was in einer der größten Touristenattraktionen Londons ausgestellt ist. Nicht jedoch, wenn es nach dem griechischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis geht, der diese Woche bei einem Treffen mit dem britischen Premierminister Boris Johnson die Forderungen seines Landes nach der Rückgabe der Artefakte bekräftigt hat.

Zwar nicht, indem er mit den Füßen aufstampfte oder wilde Forderungen vorbrachte; Mitsotakis stellte in Aussicht, im Gegenzug einige der wertvollsten Schätze des antiken Griechenlands, nach Großbritannien zu schicken. Zu den angebotenen Antiquitäten könnten die Bronzemaske von Agamemnon sowie wahlweise eine große Zeus- oder Poseidon-Statue gehören, die in vergleichbarer Weise Tausende Menschen anlocken würden, wenn sie in London ausgestellt wären. Das alles würde man Großbritannien für eine publikumsstarke Supershow überlassen, wenn – und hier ist das Wenn – wenn das British Museum seine Marmorsammlung zur Dauerausstellung in Athen zurückgibt.

Vor dem Griff zum Packmaterial lohnt sich allerdings, an die Zeilen des römischen Dichters Vergil zu erinnern, der bereits im Jahre 19 v. Chr. die Leser seines Epos "Aeneis" daran erinnerte: "Hüte dich vor den Griechen, die mit Geschenken kommen." Natürlich stelle ich ihre Motive nicht in Frage, aber wenn Großbritannien einer Rückgabe zustimmt, dann schafft es einen gefährlichen Präzedenzfall.

Zwar besteht kein Zweifel, dass der griechische Premierminister aufrichtig ist in seinem Wunsch, die Elgin-Marbles zurück zu wollen. Es wäre für ihn ein großer politischer Sieg und würde zu öffentlichem Jubel auf ähnlichem Niveau wie dem des überraschenden Sieges Griechenlands bei der Fußball-Europameisterschaft 2004 führen. Aber das wird nicht passieren.

Denn die Griechen ignorieren, dass das British Museum die Marmorsammlung deshalb besitzt, weil es diese von Lord Elgin gekauft hat. Und wie es bei Museumskuratoren üblich ist, liegt wohl auch eine Quittung in der Schublade irgendeines verstaubten Schreibtischs, die man den Griechen bei Bedarf ins Gesicht wedeln kann.

Dazu könnte es kommen. Während Mitsotakis auf der einen Seite bestrebt ist, die Rückgabe der umstrittenen Artefakte in ein zwischenstaatliches Gespräch zu verwandeln, hat Boris Johnson auf der anderen Seite bekräftigt, dass für Großbritannien diese Diskussion Sache der Treuhänder des British Museum ist. Damit ließe sich etwas Hitze aus der Angelegenheit herausnehmen, die sich auch mit Forderungen aus Nigeria deckt, das British Museum möge seine Sammlung von Benin-Bronzen zurückgeben, die im 19. Jahrhundert anscheinend aus dem Land geplündert wurden.

Nur ein Zyniker würde behaupten, dass sich die Griechen der Situation um die Benin-Bronzen und der kürzlich vereinbarten Rückkehr einer dieser Bronzen aus der Universität Cambridge, voll bewusst sind und den Zeitpunkt ihres jüngsten Vorstoßes so gewählt haben, um den Druck auf das British Museum zu erhöhen. Zufall? Aber ja doch.

Die Griechen ignorieren jedoch, dass das British-Museum-Gesetz (BMA) von 1963 die Rückgabe von Ausstellungsgegenständen ausdrücklich verbietet. Ausnahmen sieht es nur für außergewöhnliche Umstände vor, etwa Plünderungen durch die Nazis. Der BMA hat sich als praktisches und vorausschauendes Gesetz erwiesen, um zu verhindern, dass Artefakte an ihren Ursprungsort zurückgegeben werden – was nicht nur die Säle des British Museum, sondern auch andere Sammlungen wie das Horniman Museum in Südlondon leeren würde.

Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2009 stärkte die Befugnisse des BMA durch die Feststellung, dass das Gesetz nicht durch "moralische Verpflichtungen" außer Kraft gesetzt werden kann. Das hielt die Griechen freilich nicht davon ab, die emotionale Karte mit persönlichen Appellen an Johnson auszuspielen, er möge bitte eingreifen; dieser zeigte sich bisher aber erstaunlich widerstandsfähig.

Die britische Regierung scheint dem 'woken' Konzept, dass Museen Orte der Schande sind, voll von geplünderten Gütern aus Ländern, die von den ehemaligen Imperien unterjocht und von kolonialer Brutalität beherrscht wurden, einen gewissen Widerstand entgegenzusetzen. Gewiss könnte dieser Widerstand noch nachdrücklicher sein, um die Verwalter von Einrichtungen wie dem British Museum vor den Anfeindungen der Beseitiger von Statuen und dem Mob zu schützen, der seine eigene, eigennützige, bereinigte Sicht auf die Geschichte bevorzugt.

Im Fall der Elgin-Marmore argumentiert das Museum, dass jedes Jahr rund sechs Millionen Besucher Londons freien Zugang dazu haben, den 80 Meter langen Fries zu sehen, der einst den Parthenon in Athen schmückte. Umgekehrt zahlten in Griechenland weitere sieben Millionen Touristen dafür, den 50 Meter langen Zierfries im hauseigenen Museum zu sehen. Eine Menge Leute, die die Geschichte aus einem wirklich goldenen Zeitalter in sich aufsaugen, zum Teil dank der Weitsicht eines Thomas Bruce, der die Artefakte eines breiteren Publikums für würdig hielt, als er sie im 19. Jahrhundert zum ersten Mal sah.

Während sich die Erzählung über den Abtransport der Elgin-Marmore aus Griechenland und den anschließenden Verkauf an das Britische Museum im Laufe der Jahre geändert haben mag, besteht kein Zweifel, dass, wenn sie in den Ruinen der Akropolis, hoch auf dem Hügel über Athen geblieben wären, es weit weniger Menschen gewesen wären, die im Laufe der Jahre angesichts ihrer Schönheit mit offenem Mund dastanden.

Die Griechen haben ein großzügiges Angebot gemacht, dem Vereinigten Königreich zum Ausgleich für die dauerhafte Rückgabe der Elgin-Marmore Schätze zu leihen, die Griechenland nie verlassen haben. Die Antwort des British Museum auf das Angebot des griechischen Premierministers muss aber die gleiche sein wie die an frühere Bittsteller: "Danke, aber nein, danke."

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Damian Wilson ist ein britischer Journalist, ehemaliger Herausgeber in der Fleet Street, Berater der Finanzbranche und Sonderberater für politische Kommunikation in Großbritannien sowie der EU.

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