Deutschland

"Ausübung demokratischer Rechte behindert" – Junge Welt klagt gegen Bundesrepublik

Die Zeitung Junge Welt wehrt sich gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht und hat eine Klage gegen die Bundesrepublik eingereicht. Geschäftsführer Dietmar Koschmieder erklärt RT DE, warum die Vorwürfe des Inlandsgeheimdienstes "absurd" seien.
"Ausübung demokratischer Rechte behindert" – Junge Welt klagt gegen BundesrepublikQuelle: www.globallookpress.com © Reinhard Kaufhold/dpa - zentralbild/ Global Look Press

Die Zeitung Junge Welt wehrt sich gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht. Der dazugehörige Verlag 8. Mai GmbH hat eine Klage gegen die Bundesrepublik bei Gericht eingereicht, wie die Zeitung am Freitag mitteilte und in ihrer Wochenendausgabe auch berichten wird. Das Verwaltungsgericht Berlin bestätigte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur den Eingang der Klage sowie eines Eilantrags auf eine einstweilige Anordnung.

Die 1947 gegründete überregionale Zeitung mit Hauptsitz in Berlin will nach eigenen Angaben erreichen, dass jede weitere Verbreitung der Verfassungsschutzberichte, in denen "diskriminierende Passagen" über den Verlag und Redaktion enthalten sind, unterlassen wird. "Es wird zudem eine Richtigstellung und Anerkenntnis der Rechtswidrigkeit des bisherigen Vorgehens verlangt." Wie Geschäftsführer Dietmar Koschmieder RT DE erläutert, werde es sicherlich viele Jahre dauern, bis das Urteil rechtskräftig ist. Bis dahin solle das Bundesinnenministerium es unterlassen, die Zeitung in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Bisherige Verfassungsschutzberichten sollten korrigiert werden und so nicht mehr verbreiten werden dürfen, es sei denn entsprechende Stellen würden eingeschwärzt.

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Im Verfassungsschutzbericht 2020 wird die Junge Welt erneut als einzige Tageszeitung im Kapitel zum Linksextremismus aufgeführt, speziell im Unterkapitel "Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten". Darin heißt es unter anderem, die kommunistisch ausgerichtete Tageszeitung sei das "auflagenstärkste Medium im Linksextremismus" und trete für die Errichtung einer sozialistischen/kommunistischen Gesellschaft ein. "Einzelne Redaktionsmitglieder und einige der Stamm- und Gastautoren sind dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen."

Die Zeitung erkläre sich außerdem nicht ausdrücklich zur Gewaltfreiheit. "Vielmehr bietet sie immer wieder eine öffentliche Plattform für Personen und Organisationen, die politisch motivierte Straftaten befürworten", heißt es im Verfassungsschutzbericht weiter.

Auch in einem Kompendium des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom Dezember 2018 zur Darstellung ausgewählter Arbeitsbereiche und Beobachtungsobjekte wird die Junge Welt aufgeführt. Bemängelt wird, dass "sich die JW mit kommunistischen und sozialistischen Ländern wie unter anderem Kuba solidarisch" erkläre und deren Politik unterstütze. Zudem seien "ausländische Guerilla- und Terrororganisationen" wie die der mittlerweile als bewaffnete Organisation aufgelösten kolumbianischen FARC-EP oder palästinensische Gruppen von ihr "als 'Befreiungsbewegungen' umgedeutet" worden, über sie sei wohlwollend und unkritisch berichtet worden.

Angriff auf die Grundrechte

Der Verlag sieht in der Aufführung durch den Inlandsgeheimdienst einen erheblichen Angriff auf die Grundrechte, vor allem die Pressefreiheit, Berufsfreiheit und allgemeines Persönlichkeitsrecht. Der Verlag spricht auch von Einschränkungen im Bereich Marketing und Auslistungen der Zeitung im Einzelhandel. Die verkaufte Auflage der Zeitung liegt nach eigenen Angaben bei 20.000 Exemplaren – die vom Bundesamt für Verfassungsschutz gemachten Angaben stellen laut der Jungen Welt nicht die Realität dar, sondern sollen eher dazu dienen, die vermeintliche "Wirkmächtigkeit" des Blatts zu inflationieren, um das Vorgehen gegen sie zu rechtfertigen.

Aus der Nennung im Verfassungsschutzbericht ergeben sich für das Medium seit Jahren zahlreiche Nachteile, die eine eingeschränkte Reichweite und verminderte Verkaufsmöglichkeiten nach sich ziehen. Beispielsweise weigere sich die Deutsche Bahn AG grundsätzlich, der Jungen Welt Werbeflächen in Bahnhöfen gegen die übliche Bezahlung zur Verfügung zu stellen, in mehreren Städten sei es nicht gestattet worden, Plätze für Werbung in öffentlichen Nahverkehrsmitteln anzumieten, von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main wurde der Jungen Welt die Anmietung von Werbeflächen untersagt – jeweils unter Verweis auf die Verfassungsschutzbeobachtung.

In einer Pressemitteilung auf der Webseite des Blatts vom Freitag heißt es:

"Der linke, aber unabhängige Verlag 8. Mai sieht in der geheimdienstlichen Beobachtung und Kriminalisierung ihrer Presseerzeugnisse einen erheblichen Angriff auf ihre Grundrechte, insbesondere auf Pressefreiheit, Berufsfreiheit und allgemeines Persönlichkeitsrecht."

Auf Anfrage von RT DE betonte Koschmieder, dass sich die Schwierigkeiten in den letzten Monaten merklich verstärkt haben. Aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage (BT-Drucksache 19/28956) der Linksfraktion gehe hervor, dass die Anschuldigungen auf der weltanschaulichen Orientierung basiere.


Man wolle demnach explizit der Zeitung aktiv den Nährboden entziehen und ihre Relevanz und Reichweite, oder wie es das BMI schreibt, "Wirkmächtigkeit zurückschrauben", sagt Koschmieder. Dies sei der eigentliche Bruch mit dem demokratischen Recht, da so die grundgesetzlich verankerte Pressefreiheit massiv verletzt werde. Auch in einem früheren Beitrag zu dem Thema attestiert die Junge Welt dem Bundesinnenministerium aufgrund der erteilten Antworten "ein sehr spezielles Verständnis von Meinungs-, Presse- und Gewerbefreiheit".

Frühere Vorwürfe bereits haltlos

Die gegen die Zeitung erhobenen Vorwürfe seien dabei "absurd", meint der Geschäftsführer. Während sich die frühere Behauptung zur Rechtfertigung des Vorgehens, das Blatt habe angeblich Gewalt befürwortet, als haltlos erwiesen hatte und zurückgenommen werden musste, lautet die Begründung nunmehr, dass sich die Redaktion zu wenig von Gewalt distanziere, indem man beispielsweise palästinensische Gruppierungen oder die FARC verharmlose. Der Vorwurf, dass das Blatt als Plattform für bestimmte Haltungen fungiere, beziehe sich unter anderem auf einen vor 20 Jahren veröffentlichten Kommentar des Chefredakteurs zu 9/11 sowie auf Gastbeiträge und Interviewpartner – dass diese sich uneingeschränkt äußern könnten, sei aber Teil der journalistischen Arbeit.

Auf die Frage, ob die Junge Welt oder der Verlag 8. Mai – wie beispielsweise der Springer-Verlag – unumstößliche Grundsätze vertrete, an die sich alle Journalisten zu halten haben, verwies Koschmieder auf die Selbstdarstellung des Blattes auf der Webseite. Während der Verfassungsschutz die Junge Welt darstelle, als wolle sie ein Pol-Pot-Regime installieren, handele es sich bei ihrer marxistischen Orientierung um eine transparente Perspektive, aus der die journalistische Arbeit gestaltet werde. Das möge dem BfV missfallen, aber dann handele es sich um eine abweichende Meinung, so Koschmieder. Niemand, der bei der oder für die Zeitung arbeite, müsse Marxismus studiert haben, und auch jeder Leser könne das Blatt ohne Vorkenntnisse des Marxismus verstehen.

Durch die Skizzierung der Haltung in der Selbstdarstellung sei nachvollziehbar, dass die Junge Welt eher die Position der unterdrückten Klassen einnehme und im Fall von Arbeiterstreiks eher vom Blickwinkel der Gewerkschaften und nicht "wie die meisten Medien" aus jenem der Unternehmen berichte. Allerdings lasse die JW ebenfalls alle zu Wort kommen, auch beispielsweise die Konzernleitung. Die Junge Welt sei ja keine Parteizeitung, erklärt Koschmieder, sondern eben ein journalistisches Produkt.

Was der Redaktion "ganz wichtig" sei, sei das Thema Krieg und Frieden. Die JW positioniere sich deutlich gegen deutsche Kriegseinsätze, und "da wird nicht diskutiert", betont Koschmieder und begründet dies mit der Geschichte Deutschlands: Nach 1945 habe es keine Bomben mehr zu werfen. Entsprechend sei es fraglos ein "Riesenskandal" gewesen, dass Deutschland im Jugoslawienkrieg aktiv war, nicht nur mit Blick auf das Völkerrecht, sondern auch geschichtlich. Dies bedurfte bei der JW keinerlei Diskussion – anders als die taz habe man hier eine klare Position vertreten. Die Linie des Blatts werde aber offen gezeigt, andere Medien haben ebenfalls eine Linie.

Kapitalismuskritik kein Verstoß gegen das Grundgesetz

Der Verfassungsschutz hat sich jüngst auch mit der Neuen Rechten befasst, die demnach einen "Nährboden für rechtsextremistische Gewalt" biete und mit Veröffentlichungen wie Compact als "ideologischer Superspreader" agiere.

Laut Koschmieder kann man hier keineswegs direkte Vergleiche ziehen. Die Hufeisentheorie, wonach es in der Mitte eine brave Bürgerlichkeit gebe, die vom linken wie rechten Rand gleichermaßen bedroht werde, sei abzulehnen. Jürgen Elsässer, der Herausgeber des Magazins Compact, verfolge offen eine radikal rechte Linie. Früher habe er jedem Antisemitismus vorgeworfen, "der nicht bei drei auf den Bäumen war", heute agiere er selbst im antisemitischen Umfeld. Seine Positionen seien antiaufklärerisch mit starken Tendenzen hin zu faschistischen Positionen, meint der JW-Chefredakteur.

Zwar gebe sich die Rechte oft bürgerlich und kleide sich auch in deren Institutionen, agiere aber immer öfter unter offen faschistischen Vorzeichen. Dies gleichzusetzen mit einer marxistischen Haltung, ist laut Koschmieder weder in Bezug auf die Geschichte noch im Bezug auf das Grundgesetz angemessen. Dem Grundgesetz wurde von den Kommunisten bei der Verabschiedung im Parlament nicht zugestimmt, obwohl sie an der Erarbeitung des Textes beteiligt gewesen waren, weil damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die Sowjetunion noch ein ungeteiltes, aber neutrales Deutschland bevorzugte, die Spaltung Deutschlands zementiert wurde. Adenauer wollte aber lieber das halbe Deutschland ganz statt das ganze Deutschland halb, wie er sich ausdrückte.

Aber die KPD kündigte bereits damals an, dass die Kommunisten eines Tages dieses Grundgesetz gegen jene verteidigen werden, die es gerade verabschiedet hatten. Und dies zeige sich nicht erst heute, so Koschmieder.

Im Grundgesetz stehe nicht geschrieben, dass Deutschland auf alle Zeiten kapitalistisch sein müsse, auch stehe darin nicht, dass die Kritik an der Klasseneinteilung gesetzlich verboten sei. Zu faschistischen Umtrieben hingegen gibt es klare Aussagen im Grundgesetz, so Koschmieder. Demnach dürften rechtsradikale Umtriebe nicht zugelassen werden.

Demnach handele der Verfassungsschutz nicht eben konform mit der dem Grundgesetz. Beispielsweise seien Medien wie die Junge Freiheit oder Compact nur Verdachtsfälle, selbst die klar faschistische deutsche Kleinpartei "Der Dritte Weg" wurde lediglich als Verdachtsfall eingestuft, als sei nicht gesichert, dass diese verfassungsfeindlich sei. Anders bei der Zeitung Junge Welt, die als gesichert verfassungsfeindlich eingestuft wurde und so nicht nur erhebliche Nachteile habe, sondern aufgrund dieser Einstufung auch vom Geheimdienst mit allen Mitteln bekämpft werden dürfe.

Ausführliche Informationen zur eingereichten Klage, eine Chronik der Beziehung des Inlandsgeheimdienstes mit der Zeitung sowie ein Interview mit dem Professor für Staatsrecht und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin Martin Kutscha werde die Junge Welt in der Wochenendausgabe ausdrucken, bereits ab Freitagabend gibt es dazu online weitere Artikel.

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