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Politikmagazin über US-Außenpolitik: US-Präsident Biden als "internationalistische" Trump-Variante

Eine Bilanz des ersten Amtsjahres von US-Präsident Joseph Biden in der Außenpolitik zieht die Potsdamer Politikzeitschrift "WeltTrends". In ihrem September-Heft beschäftigen sich Autoren mit dem, was sich in der US-Außenpolitik verändert hat und was nicht anders ist.
Politikmagazin über US-Außenpolitik: US-Präsident Biden als "internationalistische" Trump-VarianteQuelle: www.globallookpress.com © Al Drago - Pool via CNP

von Tilo Gräser

Die US-Außenpolitik unter dem derzeitigen Präsidenten Joseph "Joe" Biden ist nur die "internationalistische" Variante verschiedener Elemente des Vorgehens von Vorgänger Donald Trump. Das schreibt der Politikwissenschaftler Ehrhard Crome im September-Heft (Nummer 179) der Politikzeitschrift WeltTrends aus Potsdam.

Die Ausgabe ist dem Schwerpunkt "US-Außenpolitik mit Biden" gewidmet, mit einem strahlenden, kämpferisch wirkenden US-Präsidenten auf dem Titel. Dessen Auftreten auf der internationalen Bühne nach seiner Wahl lasse Beobachter hoffen, "mit Biden herrsche nach den Trump-Jahren wieder globalpolitischer Sachverstand", so Crome.

Doch er fügt hinzu: "Dabei ist viel Trump geblieben". Das zeige unter anderem das Papier des NATO-Gipfels im Juni dieses Jahres in Brüssel, das unbewiesene Vorwürfe an Russland wiederhole und Chinas Aufstieg als "systemische Herausforderung" für den Westen bezeichne.

Alte Erkenntnis bekräftigt

Allerdings habe das Treffen des US-Präsidenten mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Genf im Juni "tatsächlich Neues" gebracht, schreibt der Politikwissenschaftler: "Es kann geeignet sein, die angestauten Spannungen abzumildern." Dafür sorge, dass beide Seiten wieder miteinander reden, auch über Abrüstung, und die Botschafter an ihre Arbeitsplätze zurückkehrten. Auch die Gemeinsame Erklärung vom 16. Juni über "Strategische Stabilität" lasse hoffen, in der es heißt:

"Wir bekräftigen heute das Prin­zip, dass ein Kernwaffenkrieg nicht gewonnen werden kann und deshalb niemals geführt werden darf."

Das ist laut Crome eine wort­wörtliche Übernahme aus der sowjetisch-US-amerikanischen Erklärung von Michail Gorbatschow und US-Präsident Ronald Reagan vom 1. Juni 1988.

In globaler Perspektive setzt Biden aber fort, was nicht erst unter Trump begann, stellt der Politologe im WeltTrends-Heft fest. Der aktuelle US-Präsident habe China programmatisch zum Hauptfeind erklärt und einen "langfristigen strategischen Wettbewerb" mit diesem angekündigt.

"Der Kampf der USA gegen den Aufstieg Chinas wurde eine zentrale Achse der internationalen Beziehungen des 21. Jahrhunderts. Er begann nicht mit Donald Trump, sondern unter Barack Obama und seiner 'Wen­dung nach Asien'."

Der von Trump propagierte Handelskrieg habe verdeckt, dass die USA "jedoch ihre militärische Aufrüstung und die Ein­kreisung nicht nur Russlands, sondern auch Chinas" forcierten.

"Imperium der Militärbasen"

Crome erinnert an die Aussagen des US-Politologen Chalmers Johnson, der vor etwa 20 Jahren von einem "Imperium der Militärbasen" der USA sprach. Aus den damals mindestens 725 Stützpunkten des US-Militärs in 139 Ländern mit mehr als 250.000 Militärangehörigen sind inzwischen Analysen zufolge etwa 800 geworden. Der WeltTrends-Autor dazu:

"Dieses System dient der Kontrolle der globalen Verhältnisse durch die USA, umringt jedoch hauptsächlich China und Russland."

Zugleich werde es genutzt, um regionale Konflikte entweder selbst zu schaffen oder zu schüren, falls sie bereits ausgebrochen waren. Das geschieht laut Crome insbesondere im asiatischen Raum, bis nach Hongkong. Das habe Kevin Rudd, Sinologe und früherer Premierminis­ter Australiens, heute Präsident eines Asien-Instituts mit Sitz in New York, in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung im September 2020 mit Blick auf die Konkurrenz zwischen China und den USA bestätigt.

Anhaltende Kriegsgefahr

Eine Entspannung werde es nicht geben, habe Rudd deutlich gemacht. Crome fügt hinzu: "Das ist genau das, womit wir es unter Biden 2021 zu tun haben." Er zitiert, was der australische Politikexperte im Interview sagte, nämlich dass dieser in Washington und in Peking mit zu vielen Leuten gesprochen habe, um einen militärischen Konflikt für eine nur theoretische Möglichkeit zu halten.

Der Autor des WeltTrends-Heftes, Leiter des gleichnamigen Instituts für internationale Politik, erinnert damit daran, dass im Kapitalismus Krieg eine Form ist, mit der Konkurrenz ausgetragen wird. Dazu gehört, dass aus seiner Sicht Chinas System und Entwicklung "kein Versuch, ein alternatives Weltsystem neben oder gegen das vorgefundene zu stellen", ist. Gerade das werde in den außenpolitischen Zirkeln der USA "als Bedrohung" angesehen.

"Es geht in erster Linie um die Macht im Weltsystem bzw. die Verteidigung des seit 500 Jahren bestehenden Welt­systems als Konstrukt westlicher, nordatlantischer Macht. Das Gerede davon, wer hier welche Regeln bestimmt, ist nur eine Umschreibung dessen."

Biden unternimmt aus Cromes Sicht den Versuch, mit einer "internationalistischen Politik" den Rückbau der imperialen Überdehnung der Weltmacht USA so zu gestalten, dass grund­legende Interessen gesichert werden.

Afrika als Feld der Konkurrenz

In Afrika stoßen chinesische und US-amerikanische Interessen direkt aufeinander. Darauf macht der Historiker Georg Hallermayer im aktuellen Heft der Politikzeitschrift aus Potsdam aufmerksam. Er beschäftigt sich unter dem Titel "Neues Orchester, neue Töne, altbekannte Instrumente" mit Bidens Afrikapolitik und fragt: "Wird das Orchester weiter das Kriegsopus intonieren, von Demokratie-Triller über­höht und Sanktionsdonner begleitet?"

Hallermayer meint, das neue US-Orchester spielt "eine optimistische Symphonie von ökonomischer Entwicklung …, allerdings mit den alten imperia­listischen Instrumenten. Dazu zähle das auf dem G7-Gipfel im Juni dieses Jahres angekündigte "gigantische Konkurrenzprogramm zur chinesischen Seiden­straße …: 'Build Back Better World' (B3W)". Das sei ein "Grüner Marshall-Plan", mit dem über 40 Billionen US-Dollar bis 2035 in den Sektoren Klima, Gesundheit, Digitaltechnologie investiert werden sollen.

Doch Kritiker würden dieses Programm unter anderem als "gigantische Wette" bezeichnen, ob der Rest der Welt bereit sei, den USA jede Menge Geld zu günstigsten Konditionen zu leihen. Laut Hallermayer stellte der Shanghaier Politikwissenschaftler Hu Zhiyong fest, dass das B3W-Programm realistische und machbare Wege vermissen lasse. Es sei nur eine schlechte Kopie des chinesischen Projekts der "Neuen Seidenstraße" und habe seine Hauptschwäche darin, dass es von privater Finanzierung abhängig sei.

Auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGO) haben dem Autor zufolge bereits das US-Projekt kritisiert, weil es hauptsächlich die Interessen westlicher Konzerne bediene. Hallermayer weist ebenfalls auf die Rolle der US-Stützpunkte auf dem afrikanischen Kontinent hin. Der werde beherrscht von der "sich von Ost (Dschibuti) nach West (Niger) zie­henden 'Spice Route' (Gewürzstraße), ein Netzwerk von stationären und temporären Africom-Operationsbasen in mindestens 15 subsaharischen Staaten, unterstützt von einer ungezählten Schar von Militärberatern in weiteren Ländern".

Bewährte Regimewechsler im Einsatz

Am Horn von Afrika drohe nach Afghanistan und Syrien, "ein Vulkan auszubrechen", warnt der Historiker und verweist darauf, dass der US-"Regimechange"-Experte Jeffrey D. Feltmann inzwischen Sondergesandter der USA für die Region sei. Eine ähnliche Rolle spiele dessen bundesdeutsches Pendant Volker Perthes als nunmehriger UN-Sonderbeauftragter für den Sudan und Leiter der UN-Mission Unitams.

"Feltman und Perthes hatten zusammen den Regime Change im Libanon und Syrien mit der CIA orchestriert. Eine Explosion am Horn von Afrika – 'dagegen wäre Syrien ein Kinderspiel' (Feltman) – würde Chi­nas Investitionen in der Region in X-Milliarden-Dollar-Höhe buch­stäblich verbrennen und seine Zusammenarbeit auf dem Kontinent um Jahrzehnte zurückwerfen. Vorläufiges Resultat sind Chaos und Hunger. Friede und Verständigung waren noch nie so überlebenswichtig – nicht nur in Afrika."

Die US-Außenpolitik lässt sich nicht trennen von der inneren Lage der westlichen Noch-Führungsmacht. Die ist tief gespalten, wie der Politikwissenschaftler Roland Benedikter im WeltTrends-Heft analysiert:

"Die USA haben sich in zu vielen Segmenten von Selbstdeutung und Realitätsgestaltung in Sicht- und Handlungsweisen begeben, die die Gesellschaft spalten."

Dafür bringt der Autor eine Reihe von Beispielen.

Biden-Administration als Spalterin

Die Biden-Regierung erscheine ihren Kritikern bislang nicht als die große "Versöhnerin", wie es der Präsident bei sei­ner Amtseinführung am 20. Januar angekündigt hatte. Bidens Partei, die Demokraten, würden nicht nur zum Teil Gesetze missachten, um politische Ziele durchzusetzen. Sie würden gleichfalls mit Hilfe von führenden Medien die Gesellschaft mit einer "Angstmache vor einer angeblich außer Rand und Band befindlichen 'Rechten'" unter Kontrolle halten wollen.

Zu diesen "Schatten über Bidens Präsidentschaft" kommen dem Autor zufolge die Skandale um Bidens Sohn Hunter, der sich inzwischen als Künstler ausgebe. Mit Hilfe des Weißen Hauses verkaufe der "Kunstwerke" zu Millionenbeträgen.

"Medien meinten, dies sei faktisch eine Möglichkeit zu Geldwäsche und Korruption. Es könne auf undurchsichtigen Wegen Millionen US-Dollar direkt in die Taschen der Biden-Familie spülen."

Benedikter beschreibt die derzeit dominierenden Kräfte in den USA als "Dreier-Koalition": "der aus dem Anti-Trump-Kampf kommenden, mittels politischer Korrektheit agierenden Linken in Verbindung mit den globalisierten Informationsfirmen im kalifornischen Silicon Valley und deren Geldgebern an der Wall Street." Vizepräsidentin Kamala Harris sei zwischen diesen ungleichen Partnern eine Art Verbin­dungsperson.

Doch sie habe sich "bald als Bürde für Biden" erwiesen, "je mehr ihre Abhängigkeit von diesen Gönnern offenbar wird". Und: Die Zustimmungswerte für Harris waren "von Anfang an niedrig – am niedrigsten bei jenen, die sie am besten kennen: Nur sieben Prozent der kalifornischen Wähler sagten in Umfragen, sie habe das Zeug zur Präsidentin."

Verluste und Erfolge

Der Autor schreibt, die Biden-orientierten Mainstream-Medien in den USA würden inzwischen massiv an Publikum verlieren. Dagegen würden die Trump zugeneigten Sender und Verlage zunehmend Rekordeinschaltquoten verzeichnen.

Der jetzige US-Präsident hat aus Sicht von Benedikter aber außenpolitische Erfolge vorzuweisen, indem er Verbündeten und Gegnern gezeigt habe, dass die USA wieder globale Führungsmacht sein wollten. Das gelte auch für das konfrontative Verhältnis zu Russland und China. Aber die gegenüber Trump "weitgehend unveränderte Iranpolitik" zeigt Biden als "konservativen" Fortsetzer, meint der Autor, der den US-Demokraten empfiehlt, sich wieder mehr in die gesellschaftliche Mitte zu bewegen.

Mit dem Thema "Bidens Iranpolitik und der Schatten der Obama-Doktrin" beschäftigt sich der deutsch-iranische Politologe Ali Fathollah-Nejad in der Zeitschrift. Er meint, es bleibe "abzuwarten, ob Biden aus den Nebenwirkungen der Obama-Doktrin die notwendigen Lehren ziehen wird, um eine in der Tat wünschenswerte umfassendere Einigung mit Iran über die Atomfrage hinaus zu erzielen – was für den regionalen Frieden und auch für die arabischen Bevölke­rungen in Ländern, in denen Iran interveniert hat, von Vorteil wäre".

"US-Präsident Biden ist noch keine 100 Tage im Amt, und schon ist klar, dass zwar ein zivilisierterer Stil im internationalen Umgang zurückgekehrt ist, aber der grundlegende Wandel der Weltordnung kei­nen Rückwärtsgang einlegt."

Das schreiben in dem WeltTrends-Heft die Autoren Thomas Bonschab, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Internationalen Technologietransfer, und Robert Kappel, Afrika-Wissenschaftler, in einem Gastkommentar. Sie setzen sich mit den Folgen der aktuellen Ereignisse in Afghanistan auseinander.

Absehbares Fiasko am Hindukusch

Sie sehen den Konflikt zwischen den USA und China als langfristig bestimmend in der Welt. Zugleich ist für sie die als "Europa" bezeichnete Europäische Union (EU) "weniger geschwächt als oft behauptet wird". Sie müsse "Allianzen mit allen Seiten bilden", statt sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen.

Weitere Themen in der September-Ausgabe der Politikzeitschrift aus Potsdam  sind 100 Jahre Kommunistische Partei in China, die Wahlen in Russland, die Lage in Kuba sowie die "Ohnmacht des Westens" in Afghanistan. Chefredakteur Raimund Krämer erinnert im Editorial daran, dass das Magazin sich "von Beginn des Krieges in Afghanistan an gegen die Bellizisten hierzulande, seien sie schwarz, rosa oder grün, gestellt" hat. Deshalb werden im aktuellen Heft drei WeltTrends-Editoriale wiederveröffentlicht, die sich mit Afghanistan beschäftigten.

Sie belegen die Position der Zeitschrift und ihrer Redaktion, "dass dieses militärische Enga­gement von Anfang an ein Abenteuer war, das von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt und von vielen Experten kritisiert wurde. Leider stimmte die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag jahrelang für die Fortsetzung des Krieges, obwohl das Fiasko am Hindukusch absehbar war – und das seit langem!"

Mehr zum Thema - Das Afghanistan-Desaster: Zeit, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen

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