Twitter: Das Kindermädchen, das einem ständig auf die Finger schaut und auf die Nerven geht

Twitter war schon immer bemüht, mehr gegen Online-"Hassrede" auf seiner Plattform zu unternehmen, und hat nun beschlossen, die freie Meinungsäußerung mit einer neuartigen Funktion zu veredeln. Ein "Sicherheitsmodus" soll "Hassrede" unterdrücken – was "Hassrede" ist, bestimmt der Technologieriese.
Twitter: Das Kindermädchen, das einem ständig auf die Finger schaut und auf die Nerven gehtQuelle: www.globallookpress.com © Rafael Henrique

von Damian Wilson

Seit Langem irritiert mich etwas an Twitter. Nicht so sehr die Plattform selbst, sondern die selbstgefällige Selbstgerechtigkeit eines Haufens von Tech-Nerds, die glauben, das unveräußerliche Recht auf freie Meinungsäußerung mit ihrer moralischen Überlegenheit kapern zu können.

Ich spreche nicht nur von Jack Dorsey, dem Gründer von Twitter, und seinen Kumpels in Silicon Valley, die Donald Trumps Social-Media-Accounts gesperrt haben, sondern von ihrem "woken", scheinheiligen, überheblichen Ansatz, ihre eigenen Werte als die einzig richtigen durchzusetzen und darüber zu urteilen, was man auf ihren Plattformen sagen darf und was man nicht sagen darf.

Unter dem Vorwand "Sicherheit" – ich meine: macht mal halblang! – hat Twitter nun einen neuen "Sicherheitsmodus" angekündigt, der automatisch sieben Tage lang "Konten blockiert, die unerwünschte Antworten, zitierte Tweets und Erwähnungen in Konversationen und Threads hinzufügen. Sieben Tage! (Emoji "Smiley-mit-Tränen")

Erstens, wenn unerwünschte Antworten oder Erwähnungen auf Twitter jemandem den Tag verderben, dann darf man diesen Freunden aus der Generation Schneeflocke den guten Rat geben, dass soziale Medien wahrscheinlich nicht der richtige Ort für sie sind. Und wenn die dann glauben, dass es ihr Leben verbessern wird, wen sie sich entschieden haben, den "Sicherheitsmodus" zu aktivieren, dann täuschen sie sich, weil sie sich damit selbst einer Technologie bedienen, die implizit jedes Recht auf freie Meinungsäußerung unterbindet.

Twitter hat die "Hassrede" quasi zu einem rein "mathematisch-algorithmischen" Problem gemacht. Kein menschliches Wesen liest die Tweets oder Antworten, um herauszufinden, ob da "Hassrede" – absichtlich oder missverständlich – gepostet wurde. Nein, ein leitender Produktmanager erklärte dazu:

"Wenn man die Funktion in den Einstellungen aktiviert, bewerten unsere Systeme die Wahrscheinlichkeit eines negativen Verhaltens, indem sowohl der Inhalt des Tweets als auch die Beziehung zwischen dem Tweet-Autor und dem Antwortenden berücksichtigt werden."

"Unsere" Systeme, ja? Was sind das für Systeme? Und welche Art von Daten werden sie in Zukunft durchforsten, analysieren, aufbewahren und nutzen? Nur ein Klick auf irgendeinen kleinen Knopf auf dem Smartphone kann die Beziehung zu Twitter und die Art und Weise, wie man von der Plattform mit ihren heimtückischen Werbeaktionen angesprochen wird, für immer verändern. Darüber sollte jeder einmal nachdenken.

Dieser fatale Klick könnte auch eine echte Mensch-zu-Mensch-Beziehung auseinander sprengen. Denn der Bot von Twitter entscheidet, ob oder dass jemand beleidigt wurde und der "Täter", den er identifiziert, wird sieben Tage lang zum Sünder abgestempelt. Man kann den "Täter" zwar entsperren, aber es ist zu spät, der Schaden ist längst angerichtet. Man wird als "Missbrauch" eingestuft, bis Twitter zur Rettung herbeieilt, man wurde zum Schweigen verdonnert und muss anschließend auch noch den Scherbenhaufen wegfegen.

Es klingt zwar kleinlich, aber Twitter ist das stocksteife, missbilligende Kindermädchen, das einem ständig über die Schulter auf die Finger schaut und auf die Nerven geht. Niemand der weltweiten User hat bei Twitter jemals dafür gestimmt, dass Twitter den öffentlichen Diskurs überwachen soll. Aber genau dort werden Sie von deren Bots ins Visier genommen werden. Diskussionen über Rasse, Gender oder Klimawandel werden höchstwahrscheinlich nach den Auffassungen von Twitter in Gut und Böse eingeteilt. Die Konversationen werden so von einem Algorithmus manipuliert, dass die Stimmen, die sich am meisten beleidigt fühlen, in der Debatte Vorrang haben und diejenigen, die anderer Meinung sind, einfach als "missbräuchlich" abgestempelt und zum Schweigen gebracht werden.

Jeder mit gesundem Menschenverstand wird schnell begreifen, dass es Möglichkeiten gibt, über Themen der sogenannten Kritischen Theorie zu sprechen, die einen in Schwierigkeiten bringen können und eine siebentägige Twitter-Sperre zur Folge haben, so dass man einfach bestimmte Begriffe in den Diskursen nicht mehr verwendet, nur um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Oder vielleicht diskutiert man erst gar nicht mehr darüber. Das klingt subtil, ist aber sehr ernst – besonders wenn man die angebliche Meinungsfreiheit hochhält. 

Die neueste Innovation von Twitter ist weniger ein "Sicherheitsmodus" als vielmehr ein Schalter für "Freie Rede". Wenn Sie den Button ignorieren, werden Sie wahrscheinlich bald auf jemanden treffen, der Ihrer Meinung nicht zustimmt, Ihre Sensibilität verletzt und vielleicht sogar Ihre Abstammung beleidigt. Aber so ist nun mal das Leben. Schaltet man diese neue Funktion ein, so kann man genauso gut das Licht ausmachen, die Vorhänge zuziehen, sich hinter dem Sofa verstecken und am Daumen lutschen, während man "Mama!" wimmert. Aber das kann ja wohl kein Leben mehr sein.

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Übersetzt aus dem Englischen

Damian Wilson ist ein britischer Journalist, ehemaliger Herausgeber in der Fleet Street, Berater der Finanzbranche und Sonderberater für politische Kommunikation in Großbritannien sowie der EU.

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