Meinung

Einmischung hier schlecht, dort gut: Westliche Verlogenheit vor den Wahlen in Russland

Im September wählt Russland ein neues Parlament. Im Westen Europas und in Nordamerika drängen einflussreiche Organisationen auf einen "Regimewechsel". Sie geben Anweisungen über die Einhaltung demokratischer Regeln, die sie selbst unerhört verletzen.
Einmischung hier schlecht, dort gut: Westliche Verlogenheit vor den Wahlen in RusslandQuelle: AFP © Olga Maltzewa

von Glenn Diesen

In den vergangenen Jahren haben die Medien obsessiv von angenommenen Versuchen der Einflussnahme auf die US-Wahlen durch Russland berichtet. Während sich die Vorwürfe als vollkommen unbegründet herausgestellt haben, bemüht sich der Westen ganz offen um Einflussnahme bei Wahlen fernab.

Der Unterschied: Wenn die USA und ihre Alliierten das tun, wird es "Unterstützung für die Demokratie" genannt. Gegenwärtig wird eine Kampagne zur Infragestellung der Legitimität der Wahlen, die im September in Russland abgehalten werden, ausdrücklich auf Machtpolitik bezogen. Jede Kritik an dieser Herangehensweise wird als Angriff auf die demokratischen Werte selbst abgetan. Sie wird sogar genutzt, um die Einmischung noch einmal zu begründen.

Regimewechsel

Die USA halten den Rekord auf diesem Gebiet der Einmischung. In Washington, D.C. hatte man sich öffentlich gerühmt, 1996 Einfluss auf die Wahlen in Russland genommen zu haben, um Boris Jelzin im Amt zu halten und die Kommunisten dort ein für alle Mal von der Macht auszuschließen. Allerdings sieht die Sache anders aus, wenn Washington sich darum bemüht, eine nicht genehme Regierung aus dem Amt zu jagen, statt sie dort zu halten. Dann wird ein großer Apparat unter dem Vorwand in Gang gesetzt, die "Zivilgesellschaft" und die Demokratie in fernen Ländern zu unterstützen.

Frühere Operationen von Geheimdiensten wurden durch eine breite Vielfalt an "internationalen Nichtregierungsorganisation" (NGO) ersetzt, die nahezu vollständig von der US-Regierung finanziert und mit Experten besetzt werden, die mit US-Diensten in Verbindung stehen. Während sie große Proteste für Demokratie und gegen Korruption veranstalten, wird solcher Aufruhr stets als vorgeblich in jenen Ländern entstanden dargestellt. Angeblich streben diese Protestbewegungen einen geostrategischen Wandel an, beispielsweise den Beitritt zur NATO.

Zu diesen Organisationen gehören das National Endowment for Democracy (NED – Nationale Stiftung für Demokratie), Freedom House, die United States Agency for International Development (USAID – US-Agentur für Internationale Entwicklung), von George Soros die Open Society Institute (etwa: Institut für eine offene Gesellschaft), das International Republican Institute (IRI) und das National Democratic Institute (NDI). Diese Institutionen unterstützen "demokratische Revolutionen" von außen, indem sie diese mit politischer Legitimität versehen, finanziell ausstatten, beim Organisieren von Antiregierungsprotesten anleiten, die Opposition unter einer bestimmten Führerschaft vereinen sowie Slogans, Symbole und Botschaften für sie formulieren.

Selbstverständlich richten sie ihre Anstrengungen nur auf Länder, bei deren Regimewechseln die USA gewinnen würden. Daher sieht man sie nicht in Saudi-Arabien, Polen oder der Türkei, um nur drei Beispiele zu nennen.

Das US-gesponserte Drehbuch für das Manipulieren der Zivilgesellschaften war in Serbien (im Jahr 2000), in Georgien (2003), in der Ukraine (2004 und 2014) sowie in Kirgisistan (2005) erfolgreich. WikiLeaks hatte ans Licht gebracht, dass eine ähnliche Taktik für einen Regimewechsel in Syrien bereits ab 2006 von den USA unterstützt worden war. Dort war Misstrauen in die Regierung gesät und Propagandamaterial über Komplotte im Staat in Umlauf gebracht worden, die die Möglichkeit einer "selbstzerstörerischen Überreaktion" erhöht hatten.

Das Ziel eines Regimewechsels fernab ist das Erringen eines geostrategischen Sieges, nicht so sehr das Etablieren einer Demokratie. Die "demokratische Revolution" in Georgien führte zu einer prowestlichen Regierung, die die Macht bei der Präsidentschaft konzentrierte und die Opposition niederhielt. Wiktor Janukowitsch, der Präsident der Ukraine, der in von der OSZE als frei und fair charakterisierten Wahlen gewählt worden war, wurde in einer "demokratischen Revolution" 2014 verdrängt, die keine Unterstützung durch eine demokratische Mehrheit in der Bevölkerung erfuhr.

Die gegenwärtige vom Westen gestützte Regierung in Kiew hat den Oppositionsführer verhaftet und unterdrückt unabhängige Medien. Im Falle Weißrusslands wird die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja als legitime Präsidentin geführt, obwohl nur vier Prozent der Bevölkerung sagen, sie würden sie mit der Führung des Landes betrauen. Unterdessen schmachtet die populärste Figur der Opposition, Wiktor Babariko, in einem Gefängnis in Minsk, und die internationale Presse nimmt kaum Notiz davon.

Offenheit als Deckmantel

Unverhohlene Einflussnahme bei Wahlen ist nur als "demokratische Unterstützung" möglich, während von Eliten fabrizierte Shows der Unterstützung als "Macht durch das Volk" verpackt werden. Die neuen Machthaber in diesen Ländern müssen erkennen, dass ihre Machtübernahme ohne die Unterstützung von Leuten aus dem Westen nicht möglich gewesen wäre. Daher stehen sie in deren Schuld.

In den 1980er Jahren begann die CIA mit der Übertragung von Verantwortung für verdeckte Operationen an "demokratische NGOs". Allen Weinstein, ein Mitbegründer des NED, gab zu, dass "eine Menge von dem, was wir heute tun, vor 25 Jahren von der CIA verdeckt getan" worden war. R. James Woolsey Jr., ein ehemaliger Direktor der CIA, war der Kopf von Freedom House, das eine entscheidende Rolle in der Organisierung der Orange Revolution 2004 in der Ukraine spielte. Michael Kozak, ein ehemaliger US-Botschafter in Weißrussland (zwischen 2000 und 2003), gab sogar damit an, dort das zu tun, was er zuvor in Nicaragua getan hatte.

Die USAID erklärte, dass "Mittel- und Osteuropa sowie die ehemalige Sowjetunion" wegen der Bedeutung dieser Regionen für die USA zu hauptsächlichen Zielen von IRI und NDI erklärt worden seien. Es hat sich gezeigt, dass auch Organisationen wie Bellingcat von der Regierung finanziert und mit Geheimdiensten verbunden sind, um als Desinformation zu erklären, was im Widerspruch zu Ratschlägen des US-geführten NATO-Blocks steht. Jedenfalls sollen sie ihr Feuer nicht auf die USA und deren Alliierten richten, es sei denn, um den Anschein von Ausgewogenheit zu erzeugen.

Zielscheibe Russland

Die politischen Eliten in den Medien machen deutlich, dass es wünschenswert ist, Wladimir Putin von der Macht zu verdrängen. In dieser Richtung stünden sie der Opposition bei. Gleichzeitig beharren sie darauf, dass das nichts mit Einflussnahme auf Wahlen zu tun hat.

Carl Gershman, Präsident des NED, hatte im September 2013 – also fünf Monate vor dem Staatsstreich in Kiew – geschrieben, die "Ukraine ist der größte Gewinn", und die Möglichkeit, dieses Land für den Westen zu gewinnen, würde bedeuten, den Kampf auch nach Russland zu tragen. Er stellte klar: "Putin möge sich am kürzeren Ende des Hebels wiederfinden, und zwar nicht nur in den benachbarten Ländern, sondern auch in Russland." Gershman bezog sich auf die Oppositionsfigur Alexei Nawalny als einen populären Nationalisten, der den Staat herausfordern könne. Im Jahr 2016 forderte er die politische Klasse der USA auf, "ihren Willen zu vereinen", um Putin zu stürzen.

Zu der Strategie, Russland durch die Manipulation seiner zivilen Gesellschaft zu destabilisieren, raten Thinktanks mit Verbindungen zu Geheimdiensten. Die RAND Corporation rät dazu, die Legitimität der russischen Regierung durch "Wahlaufrufe, Massenproteste und zivilen Ungehorsam" zu unterminieren. Sie schätzt Nawalnys Fähigkeit hoch ein, Proteste aufkommen zu lassen. Zugleich warnt sie aber: "Es ist nicht ratsam für westliche Dienste, direkt mit Anti-Korruptions-Organisationen wie der von Nawalny zu kooperieren. Eine solche Kooperation würde die Wirksamkeit dieser Organisationen in Russland verringern." Die jetzt beiseitegeschobene Anti-Korruptions-Stiftung wird vom russischen Justizministerium als ausländischer Agent geführt und zur extremistischen Organisation erklärt.

Wahlen am Horizont

Die Wahlen zur Duma werden im kommenden Monat stattfinden, und das bekannte Banner vom Regimewechsel wird wieder aufgezogen. Beiträge in den Medien legen bereits nahe, dass sie illegitim sein werden, da die Regierung Druck auf NGOs ausübt. Weiterhin wird die Wahlbeobachtungsorganisation der OSZE keine Wahlbeobachter entsenden, da die Regierung deren Anzahl mit Verweis auf die COVID-19-Pandemie begrenzt hat. Das wird die Möglichkeit einschränken, echte Wahlmanipulation festzustellen, und zugleich die Aussicht verbessern, das Ergebnis der Abstimmung für illegitim zu erklären.

Natürlich gibt es legitime Besorgnis (in Russland), dass Wahlurnen verschwinden, wie sie die oppositionelle Kommunistische Partei ausspricht. Diese wird jedoch von den westlichen Medien und Politikern nicht beachtet, die für ihre Version der Geschichte offenbar keine Unterstützung brauchen.

Wie wird die Wahl in Russland wohl dargestellt? Dafür hatte das EU-Parlament den Ton bereits im Mai vorgegeben. Im Vorfeld wie auch nach den Wahlen zum Parlament in Russland im September 2021 "führt Putin einen Feldzug gegen das russische Volk, genau wie Lukaschenko in Weißrussland", erklärte das EU-Parlament. Die EU müsse sich darauf vorbereiten, "das Parlament Russlands nicht anzuerkennen und Russland von internationalen Organisationen auszuschließen, falls die Parlamentswahlen als betrügerisch qualifiziert werden". Dieselben Politiker, die Proteste initiieren und unterstützen, werden darauf bestehen, dass das in keiner Weise eine Einflussnahme auf Wahlen darstellt, die Russland destabilisieren soll.

Demokratie nur für einige wenige

Willkommen in der "regelbasierten" internationalen Gemeinschaft, die weder Regeln noch eine Ordnung kennt. Offene Einmischung des Westens in Russland wird als legitime Förderung von Demokratie verkauft, während eine vergleichbare russische Einflussnahme im Westen als illegitim und als Angriff auf die Demokratie gebrandmarkt wird. Wenn die russischen Machthaber ein System ablehnen, das auf Ungleichheit basiert, dann bezeugt das nur ihre Gegnerschaft zur Demokratie und macht einen Regimewechsel nur umso dringender.

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Übersetzt aus dem Englischen.

Glenn Diesen, Professor an der Universität von Südost-Norwegen und Herausgeber der Zeitschrift Russia in Global Affairs. Folgen Sie ihm auf Twitter @glenndiesen

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