Meinung

Auslandsdeutsche und ihr Wahlrecht: Ein Hürdenlauf mit vielen Hindernissen

Zwar gibt es keine genauen Zahlen, wie viele Deutsche im Ausland leben. Aber eins ist dennoch klar: Sie könnten bei Bundestagswahlen das Zünglein an der Waage spielen. Doch die Teilnahme an Wahlen in Deutschland erweist sich für Auslandsdeutsche als ein wahrer Hürdenlauf.
Auslandsdeutsche und ihr Wahlrecht: Ein Hürdenlauf mit vielen HindernissenQuelle: www.globallookpress.com © Oliver Zimmermann via www.imago-images.de

von Lisa Nikolaev

Die deutsche Sprache hat bekanntlich eine große Vorliebe für Präzision. Oder besser gesagt, sie duldet keine Ungenauigkeit. Deshalb gibt es solche Begriffe wie Frühstücksei, damit man bloß nicht verwechselt, für welchen Zweck das Ei vorgesehen ist. Oder Auslandsdeutsche. "Auslandsdeutsche sind Deutsche mit Wohnsitz außerhalb Deutschlands", erklärt Wikipedia.

Verschiedenen Schätzungen zufolge leben mehrere Millionen deutsche Staatsangehörige im Ausland, genau statistische Daten dafür gibt es aber nicht. Dafür sind die Erfassungsmethoden zu unterschiedlich. Schon allein die Frage, ab wann jemand als Zuwanderer gilt, ist nicht ganz klar zu beantworten. Deswegen schwanken die Zahlen zwischen einer Million und 10-15 Millionen, je nachdem, welche Quelle der jeweiligen Statistik zugrunde liegt.

Nach den im Jahre 2015 veröffentlichten Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lebten mehr als drei Millionen deutsche Auswanderer in OECD-Ländern, davon 1,1 Millionen in den USA. Als Hauptzielländer für Deutsche gelten auch die Schweiz, Österreich, Spanien, Großbritannien, Italien oder Kanada. Fast 90 Prozent der deutschen Auswanderer verteilen sich auf 12 Länder. Dies entspricht etwa vier Prozent der in Deutschland lebenden Bevölkerung.

Laut Statistischem Bundesamt sind im Jahr 2019 rund 1.232.000 Personen ins Ausland weggezogen. Allerdings handelt es sich dabei sowohl um ausländische als auch um deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger, die das Land verlassen oder (wieder) nach Deutschland ziehen. 2019 sind 58.000 Deutsche mehr ins Ausland als nach Deutschland gezogen.

Deshalb kann auch die Frage, wie viele Deutsche im Ausland wahlberechtigt sind, nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Aber wozu diese Statistik? Was spielt es für eine Rolle, wo ein deutscher Staatsbürger wohnt, denn alle haben das Wahlrecht und alle können es zu gleichen Bedingungen ausüben? Das ist allerdings nicht ganz der Fall. Oder besser gesagt, es ist überhaupt nicht der Fall.

Laut Bundeswahlgesetzt können nur diejenigen wählen, die in ein Wählerverzeichnis eingetragen sind. Deutsche, die nicht in Deutschland gemeldet sind, werden auch nicht automatisch in ein Wählerverzeichnis eingetragen. Wollen also Auslandsdeutsche an Bundestagswahlen teilnehmen, haben sie einen schriftlichen, förmlichen und aus drei Seiten bestehenden "Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis für im Ausland lebende Deutsche" bei der zuständigen Gemeinde" zu stellen. Und zwar vor jeder Wahl.

Die Anträge auf Eintragung in das Wählerverzeichnis müssen spätestens am 21. Tag vor der Wahleingegangen sein, die Frist kann nicht verlängert werden. Übrigens, eine Eingangsbestätigung des Antrages bekommt man nicht. Am 26. September 2021 ist der Wahltag. Wessen Antrag nicht bis spätestens 5. September bei den entsprechenden Ämtern eingegangen ist, hat Pech gehabt.

Das heißt, es geht im Prinzip nur um die Möglichkeit einer Briefwahl, die allerdings eine Reihe von Vorteilen hat. Wer beispielsweise weit entfernt von Konsulaten oder Botschaften seines Landes wohnt, braucht keine langen Wege auf sich zu nehmen, um am Wahltag hinzureisen. Außerdem bieten deutsche Auslandsvertretungen aufgrund langer Postwege im Gastland bestimmt Kurierwegbenutzung für die Übersendung der Anträge auf Eintragung in das Wählerverzeichnis oder zumindest Rücksendung der Wahlbriefe aus dem Ausland an die Wahlämter in Deutschland an. Sollte man zumindest annehmen. Das ist aber immer die Glücksache. Bei weitem nicht alle Konsulate bieten diesen Service an.

Wer zum Beispiel in Dakar oder Moskau lebt, muss zusehen, wie er/sie seine Unterlagen entsendet. Wäre es nicht einfacher, Wahlurnen in den Auslandsvertretungen zu stellen? Doch eine Urnenwahl für Auslandsdeutsche ist gesetzlich nicht vorgesehen. Natürlich aus ganz praktischen Gründen. Denn die Einrichtung einer derartigen Wahlmöglichkeit sei laut einem Papier des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags "mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand nicht nur für die Auslandsvertretungen, sondern auch für die wahlberechtigten Auslandsdeutschen verbunden". Weiter heißt es darin:

"Für die meisten Auslandsdeutschen sei die Wahlteilnahme per Briefwahl deutlich einfacher als eine Wahl in Botschaften oder Konsulaten, da so eine unter Umständen weite Anreise zu den Auslandsvertretungen entfalle. Zudem würde sich für die wenigen Auslandsdeutschen, denen eine Stimmabgabe in einer Auslandsvertretung leichter falle als eine Briefwahl, der hohe organisatorische Aufwand nicht rechtfertigen.

Denn die Wahl der Auslandsdeutschen müsste unter Zuordnung der Stimmzettel zu den Bundestagswahlkreisen erfolgen. Logistisch problematisch sei dabei, dass alle 226 Auslandsvertretungen genügend Stimmzettel für alle 299 Wahlkreise und darüber hinaus aktuelle Wählerverzeichnisse bereithalten müssten. Weiterhin müsste, um eine doppelte Stimmabgabe zu vermeiden, entweder vorher ein Wahlschein beantragt und bei der Wahl abgegeben werden oder aber die Auslandsvertretungen untereinander vernetzt werden, um die bereits erfolgten Stimmabgaben abzugleichen."   

Die nächste Hürde liegt im Begriff der "zuständigen Gemeinde". Damit ist wohl der Ort gemeint, wo man vor der Auswanderung niedergelassen war. Was ist aber mit denjenigen, die noch nie in Deutschland eine offizielle Adresse hatten? Beim Auswärtigen Amt heißt es dazu:  

 "Für Auslandsdeutsche, die zu keinem Zeitpunkt in Deutschland gemeldet waren, ist die Gemeinde zuständig, mit der sie am engsten verbunden sind, was ihre Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Betroffenheit von diesen politischen Verhältnissen betrifft. Dies wird üblicherweise der Ort sein, an dem sich die persönliche Betroffenheit eines/einer Auslandsdeutschen von den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland schwerpunktmäßig manifestiert. Denkbar ist, dass ein/e Auslandsdeutsche/r seine/ihre Berufstätigkeit schwerpunktmäßig an diesem Ort beziehungsweise für einen dort ansässigen Auftraggeber ausübt oder dort durch sein/ihr Engagement in Verbänden, Parteien und sonstigen Organisationen in erheblichem Umfang am politischen und gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik Deutschland teilnimmt."

Nun, haben wir auch dies geklärt. Nur noch eine kleine Anmerkung, bevor das Thema ganz abgeschlossen werden kann. Die "zuständige Gemeinde" entscheidet übrigens im Endeffekt, ob jemand überhaupt wahlberechtigt ist. "Hierüber entscheidet die zuständige Gemeinde. Gegen diese Entscheidung kann schriftlich oder zur Niederschrift Einspruch bei der Gemeindebehörde eingelegt werden. Gegen die sodann ergehende Entscheidung der Gemeindebehörde kann Beschwerde an den Kreiswahlleiter eingelegt werden", erklärt der Bundeswahlleiter.

Aber die Hindernisse für die Stimmabgabe aus dem Ausland enden auch dort nicht. Es stellt sich heraus, dass gar nicht alle Auslandsdeutschen wahlberechtigt sind. Um sich an Bundestagswahlen zu beteiligen, muss man "mindestens drei Monate ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland gelebt haben" und dieser Aufenthalt darf "nicht länger als 25 Jahre" zurückliegen.

Liegt der Auslandsaufenthalt länger als 25 Jahre zurück, wird dem Bürger das Wahlrecht entzogen. Das ist die Regel. Allerdings gibt es Ausnahmen. Denn solche Deutsche haben die Möglichkeit nachzuweisen, dass sie "persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben und von ihnen betroffen sind". So heißt es im Merkblatt zu dem Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis für im Ausland lebende Deutsche. Passiver Medienkonsum reicht dabei nicht aus. Man muss also begründen, warum man an den Wahlen teilnehmen möchte und ist damit mehr oder weniger der Willkür deutscher Beamter ausgeliefert.

Wie auch immer man es betrachtet, eines ist klar: die Auslandsdeutschen werden nicht uneingeschränkt zu Wahlen zugelassen, sondern nur unter bestimmten Bedingungen. Der Gründer und Leiter der Internationalen Medienhilfe (IMH), Björn Akstinat, merkt dazu an: "Im Ausland leben über 1,5 Millionen Wahlberechtigte. Sie könnten das Zünglein an der Waage sein." Laut Akstinat haben an den Bundestagswahlen ungefähr 100.000 Auslandsdeutsche teilgenommen. "Durch das komplizierte Verfahren werden Auslandsdeutsche praktisch um ihr Wahlrecht gebracht", so sein Fazit.

Bei den Bundestagwahlen im September sind nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes etwa 60,4 Millionen Deutsche wahlberechtigt. Die Rede ist dabei aber von Wahlberechtigten "im Bundesgebiet". Es ist sehr schwierig, aktuelle Zahlen darüber zu finden, wie viele im Ausland lebende Deutsche sich an Wahlen beteiligen. Laut dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags haben beispielsweise bei der Bundestagswahl im Jahre 2009 insgesamt 65.731 Auslandsdeutsche Anträge auf Eintragung in das Wählerverzeichnis gestellt. "Die Zahl der rückläufigen Wahlbriefe aus dem Ausland wird nicht erhoben. Daher lässt sich die Wahlbeteiligung von Deutschen, die sich bei den letzten Bundestags- und Europawahlen Briefwahlunterlagen an eine Adresse im Ausland haben schicken lassen, nicht feststellen", heißt es dort.   

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