TK-Gesundheitsreport 2021 zu Corona: Zahlen zur "zweiten Welle" widersprechen massiv RKI-Daten

Die Techniker Krankenkasse (TK) liefert in ihrem Gesundheitsreport Informationen zu den Corona-Maßnahmen. Eine Umfragereihe belegt, dass viele Menschen von Burnout bedroht sind. Zudem stehen die TK-Zahlen offenbar im Widerspruch zu Daten des RKI hinsichtlich der "zweiten Welle".
TK-Gesundheitsreport 2021 zu Corona: Zahlen zur "zweiten Welle" widersprechen massiv RKI-DatenQuelle: www.globallookpress.com

Ein Kommentar von Dagmar Henn

Dieses Jahr enthält der jährlich veröffentlichte Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK) einige besonders spannende Daten. Es lohnt sich also, ihn genau zu betrachten.

Der Report befasst sich ausführlich mit den Folgen der Corona-Maßnahmen; dies tut er mithilfe einer Umfrage, die 2020 in insgesamt sechs Wellen durchgeführt wurde, also einen recht guten Einblick in die Entwicklung gibt. Das ist auch der Punkt, an dem sich die Ergebnisse von jenen anderer Berichte unterscheiden, die zwar ebenfalls feststellen, dass die Menschen unter den Maßnahmen leiden, aber nicht, ob und inwieweit sich dieses Leid vom ersten zum zweiten Lockdown erhöht hat.

Diese Dynamik ist aus zwei Gründen wichtig. Zum einen, weil sie es ermöglicht, zumindest die psychischen Folgen eines weiteren Lockdown ungefähr einzuschätzen, zum anderen, weil sie belegt, dass sich diese Folgen akkumulieren. Es gab im vergangenen Jahr eben keine Erholungsphase, in der sich alles wieder normalisiert hätte. Und beide Punkte sollten eigentlich Teil der gesellschaftlichen Debatte über Schaden oder Nutzen der Maßnahmen sein, wenn eine solche denn stattfinden könnte.

Betrachten wir erst einmal diese Folgen; dann kommen wir auf die Frage der Legitimität dieser Maßnahmen zu sprechen, zu der dieser Report ebenfalls interessante Daten enthält.

Der Kernpunkt bei der Untersuchung der Maßnahmefolgen ist im TK-Gesundheitsreport der Begriff "emotionale Erschöpfung", der einen Teil dessen umfasst, was als "Burnout" bekannt ist. Vielleicht klärt sich dieser Begriff mit einem kleinen Beispiel: Wenn man sich in seiner Lebenssituation gefangen fühlt und weiß, dass ein Treffen, ein Gespräch mit Freunden helfen würde, aber die Energie oder gar die Zuversicht nicht hat, dieses Gespräch zu suchen, dann ist das emotionale Erschöpfung. Das Problem liegt darin, dass man Kraft braucht, um wieder Kraft gewinnen zu können. Wenn sich Belastungen über eine bestimmte Schwelle hinaus aufgehäuft haben, ist ein Mensch nicht mehr imstande, sich wieder "aufzuladen".

Nun waren während der Lockdowns gerade die Möglichkeiten, wieder Energie, Freude und Zuversicht zu gewinnen, äußerst begrenzt. Das heißt logischerweise, dass eine höhere Belastung nicht aufgefangen werden kann. So beschreibt das der Report:

"Aktivitäten, die der Erholung dienen, können auch die psychosozialen Belastungen durch die Coronapandemie mildern. Seit Anfang November 2020 sind viele solcher Aktivitäten jedoch kaum noch durchführbar, da viele Freizeiteinrichtungen wie Fitnesscenter, Vereinssporteinrichtungen, Theater, Museen, Kinos, Konzert- und Veranstaltungshäuser, Stadien, Gastronomiebetriebe, Clubs, Wellnesseinrichtungen und Schwimmbäder geschlossen sind. Somit haben diese Schließungen weitreichende Konsequenzen für einen Großteil der Gesellschaft. Die psychologische Forschung der letzten Jahrzehnte zeigt, wie wichtig Möglichkeiten zur Erholung für das psychische Wohlbefinden von Menschen sind. Dabei kann Erholung auf ganz unterschiedliche Art und Weise erfolgen: gedankliches Abschalten, Entspannung, Selbstbestimmtheit sowie das Erleben und Meistern neuer Herausforderungen."

Ein vielleicht überraschendes Ergebnis der Befragung war, dass im Vergleich zwischen Männern bzw. Frauen, die im Homeoffice bzw. nicht im Homeoffice arbeiten, die Männer, die nicht im Homeoffice waren, die geringste Erschöpfung aufwiesen. Frauen mit Kindern zeigten die höchste emotionale Erschöpfung, und bei ihnen gab es beim zweiten Lockdown keinen Unterschied mehr zwischen jenen, die im Homeoffice waren, und jenen, die "normal" arbeiteten.

Die Fragen, die gestellt wurden, um die emotionale Erschöpfung zu ermitteln, stammen aus dem Copenhagen Burnout Inventory (CBI), einem Fragenkatalog zur psychologischen Diagnose. Im Bereich "emotionale Erschöpfung" handelt es sich um insgesamt sechs Fragen wie "Wie oft fühlen Sie sich körperlich erschöpft?" oder "Wie oft denken Sie: Ich halte das nicht mehr aus?" Das Gesamtergebnis lag für die am stärksten belastete Gruppe, die Frauen mit Kindern, auf einer Skala von 1 bis 5 bei einem Durchschnittswert von 3,25 am Ende des ersten Lockdown. Um diesen Wert zu erreichen, muss jemand auf vier von sechs Fragen mit "manchmal" und auf zwei mit "oft" antworten. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass es der Durchschnitt ist; es dürfte ein nennenswerter Anteil dieser Gruppe Antworten gegeben haben, die einer behandlungsbedürftigen Erschöpfung zumindest nahekommen.

Anders formuliert: Die Umfrage beweist, dass bereits der zweite Lockdown zumindest für diese Gruppe eine nennenswerte Gefahr eines Burnout geschaffen hat. Dabei sollte man nicht vergessen, dass die gesellschaftlichen Kosten, wenn Frauen mit Kindern "ausbrennen", wesentlich höher sind, als wenn dies bei einem alleinstehenden Mann geschieht – schließlich muss dann nicht nur die Mutter, sondern es müssen auch die Kinder unterstützt werden.

Die Umfrage versuchte ebenfalls, zu bestimmen, welche Faktoren die emotionale Erschöpfung mildern können. Hier half eine hohe Unterstützung durch den Partner, wobei die Männer davon gerade im zweiten Lockdown deutlich mehr profitierten als die Frauen. Auch eine hohe Unterstützung durch die Kollegen verminderte die Erschöpfung, doch selbst dabei nahm zumindest bei den Frauen die Wirkung im Zeitverlauf ab. Das mag ein Hinweis darauf sein, dass bei unserer nach wie vor recht starken Geschlechtertrennung in der Arbeitswelt die Frauen einander schlicht nicht mehr wirksam stützen können, weil sie alle unter dem gleichen Problem leiden und am Ende ihrer Reserven sind. Sollte das der Fall sein, wäre die Wirkung eines dritten Lockdown noch wesentlich massiver, weil dann diese "Puffer" weitgehend wegfallen.

Den größten Einfluss auf die emotionale Belastung hatte die Einsamkeit. Und auch hier hat sich die Reaktion vom ersten auf den zweiten Lockdown verändert. Im ersten gab es eine Abnahme der Einsamkeitsgefühle von April bis Juni; von November bis Januar gab es bei allen eine deutliche Zunahme.

Am Ende der zweiten Befragungswelle, im März 2021, fühlten sich 44 Prozent der Frauen und 40 Prozent der Männer stark durch Corona (und die Maßnahmen) belastet. 89 Prozent erklärten, Freunde und Verwandte nicht treffen zu können, sei die größte Belastung. Das stimmt damit überein, dass Sozialkontakte emotionale Erschöpfung vermindern; wenn sie fehlen, macht sich das notwendigerweise bemerkbar.

60 Prozent nannten die Angst vor der Ansteckung von Familienangehörigen und Freunden als Belastung. Da zeigt sich einer der Faktoren, die durchaus vermeidbar gewesen wären. Die Angst bezieht sich eher nicht auf die Befragten selbst; bei der gesonderten Abfrage erklärten nur 26,4 Prozent, sie hätten Angst, selbst zu erkranken; aber 59,7 Prozent machten sich Sorgen um Angehörige oder Freunde.

Hier ist ein erster Exkurs nötig. Für 15- bis 59-Jährige war das Risiko, an Corona zu versterben, 2020 nämlich äußerst gering. Auch da liefert der TK-Report Zahlen. Nur 1,4 Prozent der in dieser Altersgruppe Verstorbenen sind an oder mit Corona verstorben. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Unfall umzukommen, lag zehnmal so hoch, und Unfälle sind bei Weitem nicht die häufigste Todesursache. Und nur ein Drittel der Befragten kannte selbst jemanden außerhalb des eigenen Haushalts, der positiv getestet worden war. Dennoch haben viele Deutsche Angst vor Corona.

Diese Angst wurde, wenn nicht gezielt geschürt, so doch mindestens nicht bekämpft. Eine Regierung, die das Wohl der Bevölkerung im Auge hat, sollte hier eher die Angst nehmen, schon allein, um die Belastung durch die Maßnahmen so gering wie möglich zu halten. Man kann nicht behaupten, dass das im vergangenen Jahr oder auch heute der Fall ist, im Gegenteil.

Kita- und Schulschließungen kamen bei den Befragten mit Kindern als Belastungsfaktor gleich nach der Angst vor Corona. Aber immer noch 44,1 Prozent haben Angst vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch in Deutschland – während nur 11,4 Prozent Sorge um den eigenen Arbeitsplatz haben.

Selbst das Thema Corona trägt noch zur Belastung bei. 49,7 Prozent hatten schon Konflikte wegen unterschiedlicher Ansichten zu Corona im privaten Umfeld, gar 73,1 Prozent im beruflichen, und nur 32,6 Prozent erklärten, noch keinen Konflikt deswegen erlebt zu haben.

Alle drei Faktoren – die Angst, die Kita- und Schulschließungen und die Streitigkeiten wegen Corona – können und könnten durch die Politik beeinflusst werden. Sie sind keine unvermeidlichen Folgen einer auftretenden mittelschweren Infektionskrankheit, sondern das Endprodukt politischer Entscheidungen, für die es logischerweise politisch Verantwortliche gibt.

TK-Zahlen im Widerspruch zu RKI-Daten zur "zweiten Welle"

Aber kommen wir zur anderen Seite der Geschichte: War dieser zweite Lockdown nötig? Auch hier liefert der Report überraschenderweise eine Antwort, auch wenn die Autoren davor zurückscheuten, sie explizit niederzuschreiben.

An dieser Stelle sollte man erst einmal den Originaltext für sich sprechen lassen, auch wenn es eine schwierige Lektüre ist:

"Augenscheinlich entspricht der Anstieg der AU-Fallzahlen in der ersten Märzhälfte noch weitgehend dem bevölkerungsbezogenen vermeldeten Anstieg der vom RKI erfassten SARS-CoV-2-Infektionen nach Meldedatum. Ab dem 16. März 2020 bis einschließlich zum 3. Mai 2020 liegen die Fallzahlen nach RKI-Angaben mit Zuordnung gemäß Meldedatum allerdings durchgängig und zum Teil erheblich über den populationsbezogen ausgewiesenen AU-Fallzahlen nach TK-Daten.

Während im Mai, Juni und Juli die basierend auf TK-Daten errechneten AU-Fallhäufigkeiten dann überwiegend auch wieder höher als die vom RKI gemeldeten Neuinfektionsraten liegen, übersteigen die vom RKI gemeldeten Infektionszahlen ab dem 26. Juli 2020 die Schätzungen basierend auf AU-Meldungen bei TK-versicherten Beschäftigten schließlich durchgehend für den Rest des Jahres. Insbesondere die im Zuge der zweiten Pandemiewelle im November und Dezember 2020 vom RKI gemeldeten Infektionszahlen übersteigen die gemeldeten AU-Fallzahlen mit COVID-19-Diagnosen erheblich (ab dem 10. Oktober um mehr als den Faktor vier, ab dem 6. November um mehr als den Faktor acht und ab dem 14. Dezember 2020 um mehr als den Faktor zehn)."

Dazu liefert der Report auch eine Illustration:

Beides ist leicht übersetzungsbedürftig. Die unteren beiden Kurven (lila) zeigen die Anzahl der bei der TK gemeldeten Arbeitsunfähigkeiten, hochgerechnet auf Fälle je 100.000 Personen. Die oberen Kurven (blau) zeigen die Infektionszahlen des RKI.

Die TK stellt fest, dass bei der ersten Welle beide Kurvenpaare noch weitgehend parallel liefen, was zu erwarten wäre. Bei der zweiten Welle gibt es nur noch sehr wenig Korrelation zwischen den Kurvenpaaren.

Nun ist die Mitgliedschaft in der TK natürlich ein selektiver Ausschnitt aus der Bevölkerung. Sie gehört eher den oberen Gehaltsklassen an und arbeitet eher im Büro. Außerdem gibt es Arbeitsunfähigkeitsmeldungen natürlich nur bei Beschäftigten, also sind in dieser Zahl keine Rentner enthalten und schon gar keine Hochaltrigen.

Allerdings sind alle Faktoren, die den von der unteren Kurve erfassten Teil der Bevölkerung von der Bevölkerungsgesamtheit unterscheidet, über den gesamten Zeitraum unverändert geblieben. Man müsste also erwarten, dass auch das Ausmaß der Ähnlichkeit beider Kurvenpaare über den gesamten Zeitraum gleich bleibt. Die TK schreibt aber, dass ab Oktober die vom RKI gemeldeten Fallzahlen plötzlich auf ein Vielfaches der AU-Meldungen anstiegen. Erst auf das Vierfache, dann auf das Achtfache und zuletzt auf das Zehnfache der Zahlen, die der TK vorlagen.

Die Autoren des Reports bemühen sich, Gründe für diese Abweichung zu finden. Sie stellen fest, dass oftmals mehr als eine Diagnose für einen Fall gemeldet wird, und Fälle, in denen Corona nicht als Erstdiagnose auftritt, vielleicht untergegangen sind; also ermitteln sie eine Kurve für alle Fälle, in denen Corona irgendwo in der Diagnose auftaucht. Das ist die gepunktete lila Linie in der obigen Grafik. Wie man sieht, ändert diese Korrektur nichts an der gigantischen Abweichung.

Menschen, die in Quarantäne mussten, ohne erkrankt zu sein, tauchen übrigens in dieser Darstellung nicht auf, weil für die Quarantäne von Nicht-Erkrankten kein Krankengeld gezahlt wird. Die ganzen Quarantänefälle finden sich also im Feld zwischen den lila und den blauen Kurven.

Nun waren in der ersten Welle PCR-Tests noch vergleichsweise schwer zu bekommen; daher dürfte im Frühjahr 2021 ein gewisser Anteil der mit der Diagnose COVID-19 krank gemeldeten gar nicht in der Statistik des RKI auftauchen, eigentlich müsste die lila Kurve also in der ersten Welle näher an der blauen sein als in der zweiten. Tatsächlich geschah das Gegenteil. Die Zahl der vom RKI als infiziert Verzeichneten übersteigt die Zahl der arbeitsunfähig Geschriebenen um ein Vielfaches.

Nun ist der Anteil der Infizierten, die nicht erkranken, eine Konstante, die aus Eigenschaften des Erregers resultiert. Das heißt, sie hat sich von Mai bis Dezember nicht geändert. Damalige Untersuchungen wie die des Münchner Tropeninstituts kam auf dreimal so viele Infizierte auf einen Erkrankten mit Symptomen. Wenn man davon ausgeht, dass in der zweiten Welle die tatsächlich Erkrankten eher über- als untererfasst wurden (weil es auch unter ihnen Fälle gegeben haben muss, in denen eine Erkrankung vorlag, die nicht durch das Coronavirus ausgelöst wurde, auch wenn es per PCR-Test nachgewiesen werden konnte), ist eine Vervielfachung auf das Zehnfache auf keinen Fall erklärbar. Diese Zahlen, das ist die unausgesprochene Schlussfolgerung, müssen falsch sein.

Es waren aber nicht die Werte der unteren Kurve, der Krankschreibungen, die den Lockdown auslösten, sondern die Zahlen des RKI. All die angedeuteten (und immer noch anwachsenden) Folgen, die die Corona-Maßnahmen insbesondere für Frauen mit Kindern haben, beruhen auf diesen Zahlen. Das ganze Leid war und ist unnötig.

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