Europa

"Dammbruch für automatisierte Kriegseinsätze": Europäisches Megarüstungsprojekt FCAS in der Kritik

Das Future Combat Air System (FCAS) hat neben einem beeindruckenden Titel einen enormen Finanzierungsbedarf. In höchster Eile sollten die Gelder für die nächste Entwicklungsphase bewilligt werden. Woher diese kommen sollen, ist nicht die einzige offene Frage.
"Dammbruch für automatisierte Kriegseinsätze": Europäisches Megarüstungsprojekt FCAS in der KritikQuelle: www.globallookpress.com © Imago-images /Global Look Press

Für das seit Jahren von Befürwortern vorangetriebene "europäische Luftkampfsystem der Zukunft" (Future Combat Air System, FCAS) sollen noch vor der Bundestagswahl für die kommende Projektphase die benötigten Gelder freigegeben werden. Doch zeigen sich aktuell neben der Finanzierungsplanung offenbar eine Reihe weiterer Schwachstellen an dem Projekt, das vonseiten der Friedensbewegung als exorbitant teures und gefährliches Rüstungsprojekt kritisiert wird. Dabei ist es für die Befürworter von enormer Bedeutung.

Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz bezeichnete das FCAS bei einer Tagung des "Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie" (BDLI) im Januar 2021 als das "größte europäische Rüstungsprojekt überhaupt". Schon Ursula von der Leyen hatte sich als Bundesverteidigungsministerin zusammen mit ihrer französischen Amtskollegin Florence Parly dafür starkgemacht.

An dem Projekt sind die Industrien Deutschlands, Frankreichs und Spaniens beteiligt. Der vollständige Name lautet Next Generation Weapon System innerhalb eines Future Combat Air System (NGWS/FCAS). Es umfasst ein Kampfflugzeug der sechsten Generation (Next Generation Fighter, NGF), das von bewaffneten und unbewaffneten Drohnen (Remote Carrier, RC) begleitet werden soll. Eine Netzwerkplattform (Air Combat Cloud, ACC) soll den Austausch von Daten zwischen NGF, RC und anderen Systemen gewährleisten und Überlegenheit in der Informationslage verschaffen.

Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) beschreibt das unübersichtliche Gesamt­system FCAS durch eine Anordnung konzentrischer Kreise:

"Im Zentrum steht der NGF als Kampfflugzeug der nächsten Gene­ra­tion (NGF). Im inneren Kreis bildet dieser mit den Remote Carrier das Next Generation Weapon System (NGWS), das über die Air Combat Cloud (ACC) verbunden ist und gesteuert wird."

Im äuße­ren Kreis ist das NGWS mit vielen unterschiedlichen Syste­men vernetzt:

"Darunter fallen sowohl Kampfflugzeuge wie der Eurofighter oder die französische Rafale, aber auch Tankflugzeuge, Marineschiffe, Satelliten und Mittel der anderen eingebundenen Streit­kräfte. Dieser Verbund ist das Future Combat Air System, in dem alle Elemente ständig miteinander kommunizieren müssen, um ein Team zu bilden."

Verschiedene Organisationen der Friedensbewegung sind seit Langem wegen des Vorhabens alarmiert und warnen vor dem Aufbau eines europäischen rüstungsindustriellen Komplexes und der Entwicklung autonomer "Killerroboter". Für Kriegsgegner wie Elsa Rassbach von der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) zeichnet sich dies bei FCAS bereits ab, handele es sich doch um ein "von künstlicher Intelligenz durchdrungenes System (...),  das mit Atomwaffen bestückt werden kann und mit bewaffneten Eurodrohnen sowie tödlichen autonomen Drohnen-Schwärmen verbunden ist".

Am 23. Juni wird hierzulande über den nächsten großen Finanzierungsschritt des Luftkampfsystems abgestimmt. Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr, die eine Höhe von 25 Millionen Euro übersteigen, müssen durch den Haushalts- und den Verteidigungsausschuss des Bundestages bewilligt werden. Dieses gigantische Projekt wird die 25-Millionen-Marke voraussichtlich um ein Vielfaches knacken.

Dreistellige Milliardensummen

Laut der französischen Zeitung La Tribune könnte sich der Betrag für Deutschland auf mehr als 800 Millionen Euro belaufen. In der Zeitschrift Internationale Politik heißt es, dass allein der Bau eines flugfähigen Prototyps, den die Hersteller Dassault Aviation und Airbus Defence bis 2027 planen, neun Milliarden Euro kostet:

"Soll der Zeitplan eingehalten werden, müsste der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode einen Finanzierungsplan freigeben mit dem deutlichen Hinweis: Hier wird nicht mit Millionen, sondern Milliarden gerechnet."

Dass bis zum Jahr 2027 ein fliegender "Demonstrator" entwickelt werden soll, haben Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und ihre Amtskolleginnen Florence Parly (Frankreich) und Margarita Robles (Spanien) bereits im Mai öffentlich erklärt. Wie auch die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) hat Kramp-Karrenbauer die baldige Notwendigkeit einer Ausrüstung der NATO mit Drohnen und Drohnenabwehrsystemen mit dem Bergkarabach-Krieg begründet, der gezeigt habe, dass Soldaten ohne Luftabwehr gefährdet seien. Die Eile rührt aber auch daher, dass nach den Bundestagswahlen der Wahlkampf in Frankreich beginnt, der den Zeitplan des Projekts noch mal verändern könnte.

Laut Reuters wird bei Europas größtem Rüstungsprojekt mit einem geschätzten Gesamtvolumen von rund 100 Milliarden Euro gerechnet. Das Netzwerk Friedenskooperative gibt jedoch "zu bedenken, dass insbesondere bei großen Rüstungsvorhaben die Kosten nachträglich noch stark steigen können und (...) dass die Entwicklung sowie die Beschaffung der neuen Flugzeuge, Drohnen etc. weit mehr als 300 Milliarden Euro" betragen könnten.

Diese Summe erwähnte auch der Airbus-Betriebsrat im Zusammenhang mit dem trinationalen Hochtechnologieprojekt:

"Mit einem Volumen von 300 Milliarden Euro ist es das größte Verteidigungsprojekt der kommenden Jahre – und damit zugleich auf absehbare Zeit eines der größten industriepolitischen Projekte in Europa."

Während das Kampfflugzeug (NGF) im Zentrum des Projekts unter französischer Führung entwickelt wird, soll die Eurodrohne MALE RPAS (Medium-altitude, long-endurance remotely piloted air system) unter Führung des deutschen Rüstungskonzerns Airbus D&S zusammen mit Dassault Aviation und der italienischen Leonardo sowie der spanischen Airbus S.A.U. entwickelt werden. Insgesamt übernimmt Airbus bei drei von sechs Projektentwicklungssäulen mit jeweils einem Hauptentwickler die Führung (Drohnen und Cloud unter deutscher, Tarnung unter spanischer Regie). So erklärt sich wohl auch, warum Airbus entsprechend die Werbetrommel für das Projekt rührt:

Schon seit Längerem hat der Konzern bei deutschen Entscheidungsträgern für das Projekt lobbyiert, wie es bei La Tribune heißt:

"Nach unseren Informationen hat Airbus bereits damit begonnen, Briefe an einflussreiche Politiker in Deutschland zu schicken, um die Bedeutung dieser Vereinbarung und die entscheidende Rolle der deutschen Industrie in diesem Programm zu erklären."

Dem Münchner Triebwerksbauer MTU dürfte dessen Beteiligung an der Herstellung und Betreuung des Triebwerks vom NGF-Kampfflugzeug – zusammen mit der französischen Safran Engines und der spanischen ITP Aero – geholfen haben, trotz der "schwersten Krise unserer Branche weiterhin profitabel" zu sein, wie es in diesem Jahr verkünden konnte.

Dazu dürften bereits einige Millionen öffentlicher Gelder beigetragen haben. Im Februar 2020 wurden rund 78 Millionen Euro jeweils von Paris und Berlin für die Entwicklung der FCAS-Technologie bewilligt, also sowohl für den Kampfjet als auch für Begleitdrohnen. Insgesamt brachten Deutschland und Frankreich bisher rund 215 Millionen Euro in das Gesamtsystem ein.

Allein das Budget des FCAS-Programms für die kommende Phase 1 B (2021–2024) soll laut dem französischen Wirtschaftsmagazin Challenges etwa 3,5 Milliarden Euro betragen, wovon demnach 990 Millionen Euro auf Frankreich, 970 Millionen auf Deutschland und 940 Millionen auf Spanien entfallen. In der FAZ hieß es allerdings Anfang April 2021 unter Berufung auf "Verteidigungskreise", die Kosten für die nächste Projektphase "könnten sich für die drei Nationen auf insgesamt rund zehn Milliarden Euro belaufen". Die Deutsche Sektion der "Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung" (IPPNW) sehen die Drohnenbewaffnung und die Entwicklung der Eurodrohne als Voraussetzungen für das Future Combat Air System (FCAS); diese wurde demnach bereits im Jahr 2019 in die "Ständige Strukturierte Zusammenarbeit" (PESCO) der EU überführt und soll auch mit EU-Mitteln querfinanziert werden.

Während die gesamte deutsche Beteiligungssumme für das Projekt unklar bleibt, ist der Wunsch des Verteidigungsministeriums umso deutlicher, diese neben dem Verteidigungsetat (knapp 47 Milliarden Euro) auch aus dem allgemeinen Haushalt abzuschöpfen. Ressortchefin Kramp-Karrenbauer legte im Februar eine Liste mit 51 sogenannten 25-Millionen-Vorlagen zur Abstimmung vor, für die Gelder eingeplant waren und 15 weitere, ohne dass diese finanziell vom Verteidigungshaushalt abgedeckt wären – darunter das FCAS.

Diese Vorhaben sollten aus dem allgemeinen Bundeshaushalt finanziert werden. Gerechtfertigt sei dies nach Ansicht einiger Verteidigungspolitiker, wie auch des Airbus-Betriebsrates, durch eine besondere industriepolitische Bedeutung des Rüstungsprojekts. Wie mehrere Parlamentarier darlegten, sind jedoch für einen Großteil dieser 15 Vorlagen im Verteidigungshaushalt 2021 sowie in der aktuellen Finanzplanung bereits entsprechende Mittel veranschlagt und in den geheimen Erläuterungen entsprechend ausgewiesen.

Dammbruch für atomare KI-Kampfsysteme

Abgesehen von der Unklarheit hinsichtlich der womöglich immensen Belastung des öffentlichen Haushalts kritisierte die IPPNW im Frühjahr nicht nur die Vorgehensweise, bei der parlamentarischen Abstimmungen vorgegriffen wurde, sondern zudem, dass die sogenannte "Eurodrohne" alles andere als eine harmlose Aufklärungsdrohne sein werde,

Auch Thomas Wiegold vom bundeswehrnahen Online-Portal Augen geradeaus! führt die Beschreibung als "Aufklärungsdrohne" vorrangig auf das Bestreben des BMVg zurück, die erforderliche Zustimmung innerhalb der Regierung zu erhalten, also der einer Bewaffnung gegenüber ablehnenden Sozialdemokraten – auch wenn es innerhalb der Partei wie auch bei den JuSos mittlerweile Befürworter bewaffneter Kampfdrohnen gibt. Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung betonte ebenfalls:

"Trotz aller verbalen Klimmzüge, die Eurodrohne ist und bleibt eine Kampfdrohne."

Lühr Henken, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, kritisierte es vor allem hinsichtlich der längerfristigen Entwicklungen derartiger Rüstungsprojekte:

"Die Anschaffung bewaffneter Drohnen würde einen Dammbruch darstellen, der zu automatisierten Kriegseinsätzen und damit nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit führt."

Die Friedenskooperative verweist auch darauf, dass das FCAS laut einer Studie des französischen Senats sowohl als Trägersystem für französische Atomwaffen als auch für B61-Atombomben dienen kann.

Auch der KI-Experte Jakob Foerster warnte in einem Interview mit Telepolis, das FCAS-Rüstungsprojekt sei beispielhaft für die Gefahr, dass damit die Voraussetzung für teil- und vollautonome Waffensysteme geschaffen wird. Nach früheren Angaben aus dem Verteidigungsministerium bestand in der Tat Einigkeit unter den drei beteiligten Staaten, dass die vereinbarten Regelungen der Nutzungsrechte auch auf das geplante Bodenkampfsystem MGCS (Main Ground Combat System) – den Panzer der Zukunft – übertragen werden. Die Friedensbewegung will unter anderem in einer aktuellen Kampagne aktiv gegen die Finanzierung der anstehende Phase des Projekts vorgehen.

Zwar war das FCAS laut SWP bereits Ende letzten Jahres "too big to fail". Doch abgesehen vom Gegenwind innerhalb der eigenen Länder und der Bedeutung des Projekts ist die vermeintliche Einigkeit zwischen den beiden Führungsnationen Deutschland und Frankreich offenbar brüchiger, als es noch Mitte Mai schien.

So kamen Experten des Koblenzer Beschaffungsamts der Bundeswehr (BAAINBw) jüngst zu dem Schluss, dass der Vertrag mit Frankreich und Spanien "aus technisch-wirtschaftlicher Sicht nachverhandelt werden muss", er sei in seiner jetzigen Form "nicht zeichnungsreif".

Es bestehe das "signifikante Risiko, dass kritische Technologien nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in ausreichendem Maß reif gemacht werden" und damit die Zeitvorgaben nicht eingehalten werden könnten. "Innovative Technologieansätze" seien "kaum erkennbar". Es bestehe das Risiko, "dass essenzielle Technologien entweder gar nicht oder erst in späteren Phasen betrachtet werden und dann nicht finanzierbar" seien. Dies ging aus einer geheimen Stellungnahme für das Verteidigungsministerium hervor, aus der der Spiegel zitierte. Demnach würden mit dem Vertrag "Strukturen und Regeln" fortgeschrieben, die "nicht im deutschen Interesse sind und nahezu ausschließlich französischen Positionen genügen". Unter anderem ging es um die "französische Dominanz im Programm".

Auch ein geheimer Sachstandsbericht des Bundesverteidigungsministeriums kam nach der verkündeten Einigung zwischen Paris und Berlin zu einem ähnlichen Schluss. Demnach würde die "starke französische Positionierung" dazu führen, dass das Ziel verfehlt werde, "ein Kampfflugzeug der 6. Generation zu entwickeln" und das Projekt stattdessen zu einem "Rafale-Plus-Ansatz mit deutschen und spanischen Haushaltsmitteln" werde. Zwischenzeitlich zeigte sich Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer optimistisch, einige Finanzierungslücken schließen zu können, nachdem ihr Ressort jüngst mehr Geld bewilligt bekam.

Mehr zum ThemaAKK setzt sich durch: Vier Milliarden Euro zusätzlich für Rüstungsprojekte

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.