Deutschland

"Werde nicht tatenlos zusehen" – Merkel geht auf Ministerpräsidenten los

Nach ihrer öffentlichen "Entschuldigung" schaltet die Bundeskanzlerin nun medienwirksam wieder auf Angriff. In der "ARD"-Sendung "Anne Will" kritisierte Merkel geplante Lockerungen in einzelnen Bundesländern – und drohte den Ministerpräsidenten indirekt mit Entmachtung.
"Werde nicht tatenlos zusehen" – Merkel geht auf Ministerpräsidenten losQuelle: AFP © Michael Kappeler

Bundeskanzlerin Angela Merkel will keine Lockerungen. Die CDU-Politikerin übte am Sonntagabend in der ARD-Sendung Anne Will massiven Druck auf die Länder aus, um diese zum Umsetzen der "Notbremse" und noch schärferer Maßnahmen zu bewegen. Merkel deutete auch an, dass der Bund tätig werden könnte, wenn die Länder nicht die nötigen Maßnahmen ergreifen sollten.

"Wir müssen mit einer großen Ernsthaftigkeit jetzt die geeigneten Maßnahmen einsetzen. Und einige Bundesländer tun das, andere tun es noch nicht." Wenn das nicht "in sehr absehbarer Zeit" geschehe, müsse sie sich überlegen, wie sich das vielleicht auch bundeseinheitlich regeln lasse. "Das ist mein Amtseid, das ist meine Verpflichtung", so Merkel. Eine Möglichkeit sei, "das Infektionsschutzgesetz noch mal anzupacken und ganz spezifisch zu sagen, was muss in welchem Fall geschehen". Merkel wörtlich: "Ich werde jetzt nicht 14 Tage lang tatenlos zusehen!"

Merkel betonte, sie denke darüber noch nach und habe sich noch nicht abschließend entschieden. Außerdem seien für alle Entscheidungen am Ende Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat erforderlich. Bund und Länder müssten zusammen handeln. "Wir können nichts ohne einander beschließen." Aber: "Wir sind verpflichtet, qua Gesetz, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Und im Augenblick ist die Eindämmung nicht da."

Söder mit an Bord

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder stellte anschließend in den ARD-Tagesthemen klar, dass er sich mehr Kompetenzen in Bundeshand vorstellen kann. Er habe schon immer gesagt: "Ich hätte mir mehr Kompetenzen des Bundes über das Infektionsschutzgesetz vorstellen können, das die Länder auch zu klaren Regeln zwingt. Ich bin da sehr dafür und offen", sagte der CSU-Chef in den ARD-Tagesthemen.

Konkret wurde Söder bei den nächtlichen Ausgangssperren, die es unter anderem in Bayern schon seit Längerem gibt. Diese seien rechtlich bundesweit nicht durchsetzbar, sagte Söder. Aber: "Wenn die Kanzlerin die Initiative ergreifen würde, eine Initiative auf nationaler Ebene, Recht zu ändern und klare Vorgaben zu machen, hätte sie meine Unterstützung." Merkel nannte Ausgangsbeschränkungen in Regionen mit besonders hohen Infektionszahlen am Sonntagabend als ausdrücklich vorstellbar, diese "können ein ganz wirksames Mittel sein".

Merkel wie auch Söder kritisierten am Abend andere Ministerpräsidenten. Dabei traf es unter anderem auch Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD): "Ich weiß jetzt wirklich nicht, ob Testen und Bummeln, wie es jetzt in Berlin heißt, die richtige Antwort auf das ist, was sich zur Zeit abspielt", so Merkel.

Laschet kriegt eins mit

NRW-Ministerpräsident und CDU-Chef Armin Laschet bescheinigte Merkel, wenn auch erst auf erneutes Nachhaken der Interviewerin, einen Verstoß gegen die Notbremse. Auch der Blick ins Saarland fiel pikiert aus. Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) will nach Ostern in einem Modellprojekt umfangreich das ganze Land unter Einbeziehung von Tests öffnen. Obwohl, wie Merkel unterstrich, die Infektionszahlen dort nicht stabil seien. "Deshalb ist das nicht der Zeitpunkt, jetzt so was ins Auge zu fassen", so die Kanzlerin. Die ungewöhnlich direkte Kritik der Kanzlerin an ihren Parteifreunden stieß auch in den sozialen Netzwerken auf Befremden.

Söder kritisierte, dass derzeit in einigen Bundesländern viele der Maßnahmen, die man schon beschlossen habe, nicht umgesetzt würden. Viele wendeten die beschlossene Notbremse nicht an oder täten sich schwer in der Umsetzung. Er habe "kein gutes Gefühl dabei". Einer neuen Ministerpräsidentenkonferenz erteilten Merkel wie auch Söder am Sonntagabend eine Absage. "Es bringt nichts, sich beispielsweise auf einer neuen Konferenz zusammenzusetzen und zu lamentieren, sich auszutauschen und am Ende dann doch wieder das zu tun, was jeder für richtig hält", sagte Söder.

Merkel sagte, die Anfang März vereinbarten stufenweisen Öffnungsschritte seien ein Kompromiss gewesen. "Ein Kompromiss mit Treu und Glauben darauf, dass die Notbremse auch wirklich umgesetzt wird. Wenn sie das jetzt nicht wird, ist das sozusagen ein Verstoß gegen die Beschlüsse, die wir getroffen haben."

Verbündete findet die Kanzlerin vor allem bei den Grünen. Strengere Corona-Maßnahmen sind auch aus Sicht von Grünen- Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt unausweichlich und waren absehbar. "Dass trotz aller Warnungen wochenlang nicht gehandelt wurde, hat uns im Kampf gegen das Virus meilenweit zurückgeworfen und für einen massiven Vertrauensverlust gesorgt", sagte Göring-Eckardt den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Dass jetzt strengere Maßnahmen unausweichlich sind, war absehbar und ist die unweigerliche Folge des inkonsequenten Hin-und-Her. So kann und darf es nicht weitergehen."

Grüne üben schon mal Schwarz-Grün

Die Grünen-Politikerin forderte die Bundesregierung auf, einen "Wellenbrecher-Plan" vorzulegen, "mit dem Kontakte und Infektionen reduziert werden und der dann am besten von Bundestag und Bundesrat beschlossen wird".

Göring-Eckardt sieht zudem einen Missbrauch von Corona-Modellprojekten. "Genau jetzt die Idee von Modellprojekten zu missbrauchen und großflächig zu öffnen, ohne echte Sicherheit bieten zu können, ist absolut unverantwortlich und ein gefährliches Spiel mit der Gesundheit vieler Menschen", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Modellprojekte müssen dazu dienen, in kontrollierbarem Rahmen Erfahrungen zu sammeln, nicht um breite Lockerungen schönzureden.

Leise Kritik gibt es von SPD-Chef Norbert Walter-Borjans, der Lockerungsprojekte mit freiwilligen Tests gegen Kritik verteidigte. Die Lücke zwischen Infektionsanstieg und ausreichender Immunisierung der Bevölkerung müsse vor allem durch die Ausweitung der Corona-Tests verkleinert werden, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) am Montag. "Dazu können die in Aussicht gestellten Modellprojekte einen Beitrag leisten." Ansteckungsgefahr lasse sich nur mit flächendeckendem Testen senken.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken kann sich hingegen eine bundeseinheitliche Regelung für Corona-Maßnahmen per Gesetz vorstellen und hat den Bund zum Handeln aufgefordert. "Man kann es im Infektionsschutzgesetz festlegen – ist mir auch recht. Hauptsache, es ist ein einheitlicher Rahmen", sagte Ramelow am Montag gegenüber der Nachrichtenagentur dpa

Ramelow spricht von "Affront"

Ramelow betonte, die Thüringer Landesregierung erwarte seit Februar von der Bundesregierung, dass ein deutschlandweit einheitlicher Stufenplan beschlossen werde. Dies sei dem Bund auch schriftlich mitgeteilt worden. "Das Kanzleramt ist seit Februar gefordert, den Rahmen- und Stufenplan einfach abzuschreiben. Das könnte ein Praktikant machen – die bestehenden Stufenpläne aus Deutschland übereinanderlegen und dann gucken, ob das den Regeln entspricht, die das Kanzleramt sich wünscht", sagte Ramelow.

Er forderte den Bund mit Nachdruck zum Handeln auf. "Im Februar habe ich gefordert, dass das gemacht wird. Ich sage im März und April immer noch: Dann macht es doch endlich! Es geht um das Tun und nicht um das Reden", sagte Ramelow.

Der Linken-Politiker kritisierte Merkels Auftritt bei Anne Will in Teilen. "Wenn man schon mit den Ministerpräsidenten ins Gericht geht, dann sollte man wenigsten den Mut haben und Rosse und Reiter nennen", sagte Ramelow. Bayern etwa habe die Baumärkte ohne jegliche Rücksprache mit seinen Nachbarländern geöffnet. "Das war ein Affront gegen Baden-Württemberg und ein Affront gegen Thüringen", sagte Ramelow.

Die Deutsche Gesellschaft für Immunologie sprach sich mit Blick auf die Infektionszahlen dafür aus, Dosen für Zweitimpfungen nicht mehr zurückzulegen. "Impfstoff zurückzulegen, ist angesichts der aktuellen Situation nicht mehr tragbar und kostet Menschenleben", sagte Generalsekretär Carsten Watzl der Augsburger Allgemeinen am Montag. "Es würde jetzt viel helfen, alles zu verimpfen, was da ist und die Zweitimpfung dann zu machen, wenn die spätere Lieferung erfolgt."

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(rt de/dpa)

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