Meinung

Ein Baumarkt-Einkauf im Lockdown: Schlange stehen, Abstand halten, Maske tragen und schweigen

"Schlange stehen", so wenigstens das Klischee, prägte den Alltag der Menschen in der DDR. Aber auch im Lockdown-Deutschland ist Schlange stehen mittlerweile Normalität geworden – nur mit Maske und schweigendem Egozentrismus. Eine Reportage über einen Besuch im Baumarkt.
Ein Baumarkt-Einkauf im Lockdown: Schlange stehen, Abstand halten, Maske tragen und schweigenQuelle: www.globallookpress.com © Ralph Peters via www.imago-images.de

von Mark Hadyniak

Nach den derzeitigen Lockdown-Regeln ist es gewöhnlichen Kunden verboten, in Baumärkten einzukaufen. Diese haben zwar geöffnet, aber nur für Handwerker. Allen übrigen bleibt, online zu bestellen und die Waren am Geschäft abzuholen.

Ich ziehe gerade um. Deshalb brauche ich ein paar Dinge aus dem Baumarkt. Nach der zeitaufwändigen Onlinesuche will ich die Sachen schnell vor der Arbeit abholen. An einem grauen Berliner Vormittag mache ich mich auf den Weg zum Baumarkt.

Von der Ferne sieht alles aus wie immer – Schiebetüren öffnen und schließen sich, Menschen gehen hinein und heraus. Ein paar Personen stehen vor dem Eingang, manche unterhalten sich. Ich gehe auf den Treppenaufgang zu. Schließlich wird mir bewusst: Es stehen eine Menge Menschen hier.

Vor der Tür steht ein Schild mit zwei Pfeilen: Nach links "Handwerker", nach rechts "Abholer". Ein Absperrband trennt beide Bereiche. Während links Personen ein- und ausgehen, formiert sich vor der rechten Hälfte des Eingangs eine lange Warteschlange. Etwa 30 Personen umfassend schlängelt sie sich die Treppen hinab, um die Ecke, die Liefereinfahrt des Parkplatzes entlang bis fast zur Seitenstraße. Anderthalb bis zwei Meter Abstand zwischen den Menschen verlängert sie um ein Vielfaches.

Warten ist mir zuwider, aber ich brauche die Waren. Ich nehme meinen Platz am Ende der Schlange ein – nicht zu früh. Bevor ich einen Platz aufrücken kann, wachsen der Schlange weitere Köpfe an ihrem Ende.

Schlange stehen während des Lockdowns

Ich schaue mich um. Soweit ich sehen kann, tragen alle Leute Masken – überwiegend FFP2. Ein großes Schild fordert dazu auf, auf dem gesamten Parkplatz eine medizinische Maske zu tragen. Ich trage ungern Masken – noch mehr unter freiem Himmel. Ich schätze frische Luft. Die Frau vor mir in der Reihe dreht sich zu mir um und verzieht ihr maskiertes Gesicht. Ich setze meine Maske auf und denke: Kann ja nicht zu lange dauern. Ein Trugschluss.

Da stehen wir also im kapitalistischen Einheitsdeutschland Schlange so wie früher in der DDR. Die Liefereinfahrt ist eng. Neben der Schlange passen die Lkws gerade so vorbei. Hier stehen wir Fast-Zerquetschten.

Es fängt an zu regnen. Gut, dass ich einen Regenschirm dabei habe. Ich setze meinen Rucksack ab, um ihn zu suchen. Die Frau hinter mir sieht meine Bewegung und geht erschrocken einen Schritt zurück. Ich potentieller Spreader wagte es, mich zu regen und ihren Anderthalb-Meter-Radius mit einer Fußbreite zu verletzen. Auf 1,65 Meter Abstand fühlt sie sich sicherer.

Schweigen im kräftigen Regen. Nur wenige haben Regenschirme dabei. Aber wie Soldaten stehen wir alle in Reih und Glied. Die Temperatur beträgt zwei Grad Celsius. Nässe und in der Kälte stehen, passen nicht gut zusammen mit Infektionsschutz.

Und wie Soldaten treten wir im Gleichschritt voran, aber quälend langsam. Immer wenn eine Person aus der Tür kommt, dürfen wir nachrutschen. Nach ein paar Durchgängen stehe ich an einem Schild. Es besagt: Keine Retouren – die Rückgabefrist ist bis Ende des Lockdowns verlängert. Das kann dauern. Für Weihnachten gekauft, nach Ostern zurückgegeben – der Baumständer passte nicht.

Nach langen Minuten erreiche ich den Treppenabsatz. Ich kann nun die groß dimensionierte Eingangshalle sehen. Trocken und warm – so nah und doch so fern. Elf Stufen bis dahin, drei Runden noch warten.

Von der linken Seite ist eine Rampe verlegt. Zwischen Handwerkern mit Einkaufswagen quält sich ein älterer Mann mit Rollator hoch. Vor der Eingangstür wird er von einem Security-Mann abgefangen. Nein, er hat keinen Handwerksausweis, er will etwas abholen. Dann müsse er sich in die Schlange stellen. Er könne doch die Treppen nicht steigen. Vielleicht könne er sich einreihen zwischen zwei Wartenden. Nein, das geht nicht. Der Sicherheitsabstand muss eingehalten werden. Die ganze Schlange kann nicht nach hinten rutschen. Der Mann gibt frustriert auf und rollt langsam die Rampe herab.

"Herzlich willkommen"

Der Regen wird stärker. Zum Glück bin ich fast in der Eingangshalle. Die Frau vor mir huscht hinter die Schiebetür ins Trockene. Die Security sieht das und fordert sie auf, wieder vor die Tür zu gehen. Es dürfen nur drei Personen in der Eingangshalle warten. Die Frau geht zehn Zentimeter zurück. Über der Eingangstür steht: "Trotz der aktuellen Lage heißen wir Sie herzlich willkommen".

Die Schlange steht jetzt für zwei, drei Minuten unbewegt – etwas läuft nicht glatt an der Kasse. Ich trete von einem Fuß auf den anderen. So nah vor dem Regen- und Kälteschutz werde ich allmählich ungeduldig. Eine Baumarkt-Mitarbeiterin kommt in die Eingangshalle und sagt etwas. Ich verstehe sie nicht. Zwischen Maske und Schiebetür zerlaufen die Informationen.

Endlich geht es weiter. Ich komme unters Dach. Hinter mir ist die Schlange weitergewachsen, ich kann ihr Ende nicht sehen. Sie windet sich hinter der Lieferausfahrt weiter die Straße entlang.

Ein Mitarbeiter kommt und will meine Bestellnummer sehen. Ich habe eine Bestätigungs-Email bekommen und zeige ihm diese auf dem Handy. Er ist nicht zufrieden, will noch etwas anderes sehen. Er tritt an mich heran, nimmt sich mein Handy und scrollt zu dem entscheidenden Code. Er trägt keine Handschuhe. Touchscreens sind Tummelplätze für Bazillen.

Der Mann zwei Positionen vor mir erreicht die Ausgabestelle. Er hat übergroße Bretter bestellt und kann sie nicht tragen. Er fragt nach einem Wagen. Die stehen am Parkplatz und sind derzeit nur für Handwerker vorgesehen. Beratschlagung. Es gibt genau einen Wagen im Kassenbereich. Er kann ihn bekommen, muss aber seinen Personalausweis hinterlegen. Früher reichte ein Euro oder ein Chip.

Die Frau vor mir erreicht die Kasse – gleich bin ich dran. Aber dann stockt es wieder. Die Frau hat Probleme. Sie hat einen riesigen Eimer Farbe bestellt und kann ihn nicht bewegen. Der einzige Wagen ist weg. Ratlosigkeit. Ich biete an zu helfen, wenn ich meine Bestellung im Rucksack habe. Die Frau ist erschrocken, verneint schnell und tritt zurück. Ich vergaß: Ich war der Spreader ohne Maske am Ende der Schlange.

Endlich bin ich dran. Ich werde mit dem Vornamen aufgerufen – seltsam, wie in der Grundschule. Na ja, vielleicht konnten sie meinen Nachnamen nicht aussprechen. Hauptsache, es zu Ende bringen. Ich gehe vorbei an der Frau, die mit den Füßen den Eimer Farbe vor sich herschiebt.

Bei mir geht es schnell, zwei Produkte bestellt, zwei bekommen. EC Karte anhalten und fertig. Ich schaue auf die Uhr: 45 Minuten investiert, um eine Duschbrause und ein Paket Spachtelmasse abzuholen. Beim Einpacken bemerke ich, dass der Regen mittlerweile einen dichten Vorhang bildet.

Eine ältere Frau – die vierte in der Reihe – schlüpft hinter die Schiebetür ins Trockene. Der Security-Mann bemerkt das und fordert sie auf, draußen zu warten. Er habe das doch schon mehrfach gesagt. Was er nicht versteht: Was der Kopf der Schlange hört, kommt am Hals nicht mehr an. Die Frau weigert sich. Sie fragt, ob er denn wolle, dass sie weiter im Regen stehen müsse. Es ist ihm unangenehm. Er schimpft in gebrochenem Deutsch: "Kann nichts dafür – ich Regeln nicht gemacht – fragen Bundesregierung."

Beim Verlassen des Gebäudes denke ich, der Mann hat recht. Genau das müssen wir tun – immer wieder. Bevor wir alle zu schweigenden, unsolidarischen Duckmäusern werden, die wie Soldaten im Regen stehen und warten, bedient zu werden.

Mehr zum Thema - Berlin: Unendliche Warteschlangen kurz vor dem harten Lockdown

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.