Meinung

Der Fall Fachrisadeh: Was den Mossad im Nahen Osten antreibt

Fachrisadeh ist nicht der erste Naturwissenschaftler, der unter mysteriösen Umständen den Tod fand, auch war Iran nicht das einzige Land in der Region, das in den letzten Jahrzehnten zum Ziel wurde, etwa von Sabotage seiner Atomanlagen oder der Ermordung von Wissenschaftlern.
Der Fall Fachrisadeh: Was den Mossad im Nahen Osten antreibtQuelle: AFP © Iranian Defence Ministry Office

von Seyed Alireza Mousavi

Aktuell wird der israelische Geheimdienst verdächtigt, den iranischen Nuklearphysiker Mohsen Fachrisadeh ermordet zu haben. Zwar hat bislang niemand die Verantwortung für die gezielte Ermordung dieses Wissenschaftlers übernommen, aber es machen Berichte die Runde, dass mutmaßlich Israels Auslandsgeheimdienst Mossad das Attentat auf diese Hauptfigur des iranischen Atomprogramms initiiert habe. Israel betrachtet bekanntlich das iranische Atomprogramm als eine "existenzielle Gefahr". Aus diesem Grund erklärte Israels Ministerpräsident es zur Priorität, das Programm zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Für die Umsetzung dieses Ziel kommt in erster Linie der Mossad infrage. 

Fachrisadeh ist nicht der erste Naturwissenschaftler, der unter mysteriösen Umständen den Tod fand: In den vergangenen Jahren starben iranische Physiker und Chemiker etwa durch Schüsse in ihre Autos oder durch Bomben. Bereits im Januar 2010 wurde der iranische Atomphysiker Massud Ali-Mohammadi durch eine gezielte Explosion getötet. Am 29. November 2010 starb bei einem Anschlag der Forscher Madschid Schahriari und wurde – am selben Tag (!) bei einem Angriff andernorts – der Atomphysiker Fereidun Abbassi verletzt. Im Juli 2011 wurde schließlich der Physiker Dariusch Rezaie (pers.: Rezai-Neschad) ermordet.

Im November 2011 erfolgte dann eine verheerende Explosion auf einem Raketentestgelände der Iranischen Revolutionsgarde. Dabei fand General Hasan Tehrani Moghaddam den Tod. Er war für die Entwicklung weitreichender ballistischer Raketen Irans zuständig. Im Januar 2012 starb der Chemiker Mostafa Roschan, der Leiter der Anlage in Natanz durch einen Bombenanschlag. Und nunmehr erfolgte wieder nach demselben Muster ein neuer Anschlag auf einen weiteren iranischen Wissenschaftler. Bei dem jüngsten Anschlag besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied darin, dass der Mord an dem iranischen Atomphysiker Fachrisadeh erstmals mit einem per Satellitenkommunikation ferngesteuerten Maschinengewehr verübt worden sein soll. Dabei kam eine "fortschrittliche Kamera mit Künstlicher Intelligenz zum Einsatz", um gezielt in das Gesicht des Wissenschaftlers zu schießen, erklärte vor Kurzem der Sprecher der Iranischen Revolutionsgarde.

Iran ist allerdings keineswegs das einzige Land in der Region, das in letzten Jahrzehnten zum Ziel solcher Angriffe wurde – etwa der  Sabotage der Atomanlagen oder der Ermordung von Wissenschaftlern, egal welcher Nationalität. Um Länder in der Region davon abzuhalten, nukleare Infrastruktur oder weitreichende Raketen herzustellen, setzt sich Israel längst für eine umstrittene Präventionsstrategie –  angefeuert vom Mossad – ein, um damit die eigene "Überlegenheit" als "eine Säule der Abschreckung gegenüber den anderen aufstrebenden Mächten" im Nahen Osten nicht zu verlieren.

Yahya El Mashad war beispielweise ein ägyptischer Atomwissenschaftler, der das irakische Atomprogramm geleitet hatte. Er wurde im Juni 1980 in einem Pariser Hotelzimmer bei einer Operation ermordet. Seinerzeit wurde vermutet, dass der Mossad hinter dem Anschlag steckte. Die einzige Person, die den Wissenschaftler am Vorabend traf, war eine Prostituierte, die sich Marie Express nannte. Und diese wurde wenige Wochen später bei einem Unfall ermordet. Der Täter sei nie gefunden worden, berichtete die amerikanische Zeitschrift The Atlantic im Jahr 2005. In den nächsten Monaten nach diesem Vorfall starben noch zwei weitere irakische Atomwissenschaftler bei separaten Vergiftungsvorfällen. Der Beginn der irakischen Nuklearforschung reichte bis in das Jahr 1959 zurück, als mit der Sowjetunion ein Abkommen über die Lieferung eines kleinen Atomreaktors für Forschungszwecke vereinbart wurde.

Ägypten war einer der ersten Staaten im Nahen Osten und der erste arabische Staat überhaupt, der ein Kernforschungsprogramm förderte. Der Versuch wurde seinerzeit unentwegt vonseiten Israels blockiert. 1967 wurde der ägyptische Atomwissenschaftler Samir Naguib bei einem Autounfall in den USA ermordet. Naguib soll Berichten zufolge geplant haben, auf dem Höhepunkt der Konflikte mit Israel nach Ägypten zurückzukehren, um beim Start des ägyptischen Atomprogramms zu helfen. Rammal Hassan Rammal, ein libanesischer Physiker der kondensierten Materie, starb im Jahr 1991 unter mysteriösen Umständen in Frankreich. Israel hat bislang seine Beteiligung an all diesen Mordanschlägen stets weder bestätigt noch bestritten.

Ohne darüber zu spekulieren, ob der Mossad hinter diesem oder jenem Mordanschlag auf muslimische Wissenschaftler steht oder nicht, bleibt es eine Tatsache, dass Israel daran arbeitet, seine mutmaßliche Überlegenheit im Bereich der Sicherheit und der Wissenschaften im Nahen Osten zu bewahren. Dabei leistet der Mossad seinen entsprechenden Beitrag zu diesem Konzept, nämlich zur "Sicherheit Israels".

Die geopolitischen Machtverhältnisse im Nahen Osten haben sich seit der iranischen Revolution 1979 stückweise verschoben. Obwohl Gamal Abdel Nasser in 1960er Jahren den arabischen Raum für seine panarabischen Ideen begeistern konnte, nämlich alle Araber in einem Nationalstaat zu vereinen, und Ägypten sich als eine Herausforderung für Israel erwiesen hatte, reduzierte sich faktisch diese Kampfansage gegen Israel auf Nassers panarabische Leidenschaft. Denn es gelang den nach dem ersten Weltkrieg vom osmanischen Reich abgelösten arabischen Ländern nämlich  bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht, solche Machtstrukturen zu entwickeln, um damit das Kräfteverhältnis in der Region wirklich zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Iran bildete hingegen seit der islamischen Revolution ein Widerstandskonzept heraus, das auf der systematischen Entwicklung des Landes in den Bereichen Sicherheit und Wissenschaften beruht.

Geopolitisch betrachtet gewann Iran in letzten Jahren in der Region und zwar in Syrien und im Irak die Oberhand. Die Iranische Revolutionsgarde als ein nahezu unsichtbarer Machtkomplex in Syrien ist somit weiterhin politisch, kulturell und wirtschaftlich auch nahe an der Grenze zu Israel aktiv. Die israelische Luftwaffe meldete bislang zwar mehrfach, "iranische Ziele" in Syrien angegriffen zu haben, aber dies änderte bis dahin nicht den Status des iranischen Einflusses in Syrien, wo Iran zum Teil die neuen syrischen Strukturen im Bereich der Sicherheit mitgestaltet. Genauso wenig kann die Ausschaltung der iranischen Nuklearwissenschaftler dem Fortschreiten der iranischen Nuklearindustrie Einhalt gebieten. Denn Irans Atomprogramm wird dadurch nicht zurückgeworfen. Die nukleare Infrastruktur ist im Land breit aufgestellt und nicht abhängig von ein oder zwei Einzelpersonen. Die überwiegend tief unter der Erde liegenden iranischen Atomanlagen sind zudem – laut vielen Expertenmeinungen – nicht einfach zu zerstören, sonst hätten Israel und deren Verbündete sie längst entsprechend angegriffen. Sabotageakte in den Atomanlagen wie der Brand in der Atomanlage in Natanz im Juli können nur als eine Spielart der psychologischen Kriegsführung bezeichnet werden.

Israel und Saudi-Arabien würden allerdings vermutlich bis zum Ende von Trumps Amtszeit zu gern Fakten schaffen, um Trump noch dazu zu bewegen, iranische Ziele direkt anzugreifen. Damit könnten sie womöglich auch eine wie auch immer geartete Rückkehr der USA zum Atomabkommen unter einer Regierung von Joe Biden zunichtemachen. Hierbei ist zu bemerken, dass im Januar vor knapp einem Jahr erst Israel den US-Präsidenten Trump zu dem Schritt gedrängt haben soll, den Mord am iranischen Top-General Qassem Soleimani durch US-Drohnen anzuordnen. Nun hängt alles von der Reaktion Irans und der Entscheidungsträger in der Führung in Teheran ab, wie und wann angemessen auf Ermordung Fachrisadehs reagiert wird, um nicht Israel und Saudi-Arabien in dem vermuteten Sinne noch in die Hände zu spielen.

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