Deutschland

Der "Beginn einer neuen Epoche": Grüne bekennen sich auf Bundesparteitag zu Macht-Gen

Als "Protestpartei" betraten die Grünen vor vier Jahrzehnten die politische Bühne. Jetzt kämpft man "um die Macht". Basis und Klimaschützer warnen derweil vor Verrat an alten Idealen. Der Unmut der Basis wurde in den Farben der Beliebigkeit übertüncht. So ist auch die grundsätzliche Ablehnung der Gentechnik passé.
Der "Beginn einer neuen Epoche": Grüne bekennen sich auf Bundesparteitag zu Macht-GenQuelle: www.globallookpress.com

Während in der Corona-Krise weiter durchregiert wird, machte die Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock auf dem digitalen Bundesparteitag aus der Not eine Tugend:

In diesem schlimmen Jahr zeigt sich, auf welch rauer See wir leben, was alles passieren kann. Doch was das Virus kann, das können wir schon lange!", führt die Grünen-Chefin aus, als sie am Freitagabend den Parteitag der Grünen eröffnete.

Doch Gott sei Dank, habe die Menschheit einen Impfstoff gefunden.

Wir können Wunder bewirken", schwärmte daher auch Baerbock von ihrer eigenen Partei.

Damit ist der Ton gesetzt für eine Rede, die Mut machen soll zum "sozial-ökologischen" Umbau einer ganzen Gesellschaft. Und dazu braucht es Verbündete.

Wir müssen ehrlich sein: Wir Grünen können eine sozial-ökologische Marktwirtschaft nicht alleine bauen – nicht mit 20 Prozent, auch nicht mit 30. Dazu braucht man in einer Demokratie Mehrheiten, eine grundsätzliche Akzeptanz und die Bereitschaft der Menschen mitzumachen", erklärt Baerbock, deren Partei auf eine Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl im kommenden Herbst hofft.

Damit liegt die Grünen-Vorsitzende ganz auf Linie mit neuen "grünen" Vordenkern wie etwa Klaus Schwab, dem Gründer des Weltwirtschaftsforums, das kommendes Jahr unter dem Motto "The Great Reset" (Der Große Neustart) stattfinden wird.

Der 1938 in Ravensburg geborene Schwabe verfasste passend zum Thema gerade ein Buch ("COVID-19: Der Große Umbruch"). Darin beschreibt er, wie das Virus sowohl die wirtschaftliche als auch die soziale Infrastruktur zerstöre und "welche Veränderungen notwendig sein werden, um eine inklusivere, widerstandsfähigere und nachhaltigere Welt zu schaffen".

Nun gehe es darum, das bestehende System zu optimieren.

Ich plädiere nicht für eine Systemänderung. Ich plädiere für eine Systemverbesserung", stellte Schwab klar.

Dass die Corona-Krise zum Augenblick des Aufbruchs in eine "neue Marktwirtschaft" werden könnte, davon ist auch Baerbock überzeugt:

Wir können uns neu sortieren, uns neu entscheiden – grundsätzlich. Machen wir 2021 zum Beginn einer neuen Epoche", forderte sie in ihrer Eröffnungsrede.

Abwegig sei das alles keineswegs, so Baerbocks Botschaft nach außen:

Fürchtet euch nicht, diese Klima-Revolution ist in etwa so verrückt wie ein Bausparvertrag. Das Wirtschaftssystem neu aufzustellen bedeutet keinen Klima-Umsturz, sondern ist purer Selbstschutz".

Baerbock verbreitet die frohe Botschaft auf dem digitalen Grünen-Parteitag, der von Freitagabend bis Sonntagnachmittag stattfindet. Damit sind Bündnis 90/Die Grünen Vorreiter unter den deutschen Parteien.

Auch Parteichef Robert Habeck sieht seine Partei als Vorreiter, so etwa wenn es um Fragen des eigenen Machtanspruchs geht.

Optimistisch arbeiten wir an Lösungen. Und für diese Lösungen kämpfen wir um die Macht", so die selbstbewusste Ansage.

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik kämpfe eine dritte Partei ernsthaft um die Führung des Landes.

Damit entledigte man sich endgültig des Nimbus der "Protestpartei".

Und aufgrund des eigenen politischen Machtanspruchs wurden dann auch in Sachen Klimaschutz am Samstag die Karten auf den Tisch gelegt. Das Klima soll weiterhin gerettet werden, doch die Bürde der Macht, die man hoffentlich bald in Händen hält, erfordert schon jetzt, ein gerüttelt Maß an  Kompromissbereitschaft zu signalisieren. Das "Klima" ist da nach wie vor hervorragend geeignet, um sich irgendwo in dieser diffusen Mitte zu positionieren und trotzdem noch als "grün" durchzugehen.

Aus dem "1,5-Grad-Ziel", also das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen, wurde die Notwendigkeit, "auf den 1,5 Grad-Pfad zu kommen" gezimmert. Im ursprünglichen Entwurf des Programms hatten die Grünen noch von einer Begrenzung "auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad" gesprochen. So sieht nunmehr ein Sieg der sogenannten Parteibasis aus.

Zentrale Grundlage unserer Politik ist das Klimaabkommen von Paris sowie der Bericht des Weltklimarates zum 1,5-Grad-Limit, der verdeutlicht, dass jedes Zehntelgrad zählt, um das Überschreiten von relevanten Kipppunkten im Klimasystem zu verhindern. Es ist daher notwendig, auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Dafür ist unmittelbares und substanzielles Handeln in den nächsten Jahren entscheidend", so Baerbock.

Der interessante Titel des neuen Grundsatzprogramms "Veränderung schafft Halt", lässt sich also durchaus auch im Sinne des nun nach außen getragenen grünen Machtanspruchs interpretieren. Vielleicht erstrahlt daher die gesamte Kulisse des Parteitags auch nicht mehr in sattem Grün, sondern im nicht einheitlich definierten Farbton Türkis. Ob sich die flexible Geradlinigkeit auf lange Sicht bezahlt macht, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

Dann aber doch noch ein Hauch von Debatte, bei dem die Grünen am Ende freilich von ihrer grundsätzlichen Ablehnung der Gentechnik in der Landwirtschaft weiter abrückten. Am Samstagabend stimmte der digitale Bundesparteitag einer Passage für das neue Grundsatzprogramm zu, die betont, dass auch in diesem Bereich die "Freiheit der Forschung zu gewährleisten" sei. Ein Änderungsantrag hatte die Nutzung von Gentechnik in der Landwirtschaft noch strikt verbieten wollen.

Nicht die Technologie, sondern ihre Chancen, Risiken und Folgen stehen im Zentrum", ist von nun an grüne Politik.

Im ursprünglichen Vorschlag des Bundesvorstands hieß es sogar noch:

Forschung zu neuer Gentechnik soll ebenso gestärkt werden wie alternative Ansätze, die auf traditionelle Züchtungsverfahren setzen.

Das unterscheidet sich rhetorisch fundamental von früheren "unumstößlichen Standpunkten" der Grünen. Wie etwa zur Bundestagswahl 2009:

Wie die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher lehnen auch wir Grüne Gentechnik auf unserem Teller ab (...) Wir setzen uns deshalb für ein Verbot von Gentech-Pflanzen ein, die Menschen, Umwelt und die gentechnikfreie Produktion gefährden.

Und dann noch:

Wer Grün wählt, wählt Essen und Felder ohne Gentechnik.

Oder im Wahlprogramm 2013:

Wir Grünen setzen auf 100 Prozent Bio und regionale Produkte. Garantiert mit höchster Qualität (…) Auch Gentechnik hat auf Feldern und im Futtertrog nichts verloren.

Auch im Bundestagswahlprogramm im Bundestagswahlprogramm 2017 hieß es noch zum Thema:

Wir werden ein Gentechnikgesetz auflegen, das unsere Äcker und unsere Teller frei von Gentechnik hält, auch wenn sie sich als 'neu' tarnt.

Damit bezog man sich unter anderem auf die sogenannte CRISPR/Cas-Methode, auch Genschere genannt.

In einem Debattenbeitrag ("Grüne Gentechnik neu bewerten") vom Juli 2017, war dann jedoch schon von der Angst die Rede, man könnte am Ende als "Gentechnikleugner*innen" betitelt werden:

Insbesondere also den nicht-transgenen Einsatz (ohne Fremdgene) neuer gentechnischer Methoden können wir auf naturwissenschaftlicher Ebene nicht länger ablehnen, wenn wir nicht als 'Gentechnikleugner*innen' dastehen wollen.

Nicht umsonst bezeichnen sich Bündnis 90/Die Grünen auch als "Wissenschaftspartei".

CRISPR/Cas ist eine neue molekularbiologische Methode, um DNA gezielt zu "schneiden" und anschließend zu verändern. Auf diese Weise können einzelne Gene – genauer: DNA-Bausteine – umgeschrieben oder "editiert" werden. 

Auch heute noch ist auf dem Internetauftritt von Bündnis 90/Die Grünen zu lesen:

Die Agro-Gentechnik ist ein wesentlicher Treiber der industriellen Landwirtschaft. Sie schafft Monokulturen auf dem Acker, Abhängigkeiten von Chemiekonzernen und unkontrollierbare Risiken für Mensch und Umwelt.

Daher stehe man für "eine Landwirtschaft ohne Gentechnik".

Derweil zeigte sich Habeck auf dem Bundesparteitag äußerst angetan von der Geschlossenheit in den eigenen Reihen:

Nie waren die Grünen geschlossener. Unsere Stärke ist von Dauer. Unser Zuspruch gründet sich darauf, dass wir ein neues politisches Verständnis für eine neue Zeit verkörpern.

Dem eigenen Machtanspruch steht offenkundig nichts mehr im Wege. Keine Mehrheit fand sich am Sonntagnachmittag für Änderungsanträge, die etwa ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen und 30 km/h innerorts im Grundsatzprogramm verankern wollten. Auch das Thema bundesweiter Volksentscheide ist vom Tisch:

"Volksentscheide werden polarisieren", war sich Habeck zuletzt sicher.

Sie werden nicht den Diskurs in der Gesellschaft befördern, sondern die Spaltung der Gesellschaft.

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