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Spahn will zeitlich unbegrenzte Machtbefugnisse – Corona-Sonderrechte sollen "verstetigt" werden

Die Opposition beklagt den mangelnden Einfluss des Bundestages bei den Corona-Verordnungen, die das Bundesgesundheitsministerium im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes beschließt. Das Gesetz gilt bis Ende März 2021 – doch Gesundheitsminister Spahn will es nun "verstetigen".
Spahn will zeitlich unbegrenzte Machtbefugnisse – Corona-Sonderrechte sollen "verstetigt" werdenQuelle: www.globallookpress.com © Mika Schmidt/Keystone Press Agency

Die COVID-19-Pandemie hat Jens Spahn zum mächtigsten Minister des Kabinetts unter Kanzlerin Angela Merkel gemacht. Die vom Bundestag im März beschlossene "Epidemische Lage von nationaler Tragweite" im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes ermächtigt den Bundesgesundheitsminister zu Sonderrechten, die vor einem Jahr aus verfassungsrechtlicher Sicht noch undenkbar gewesen wären. Doch dann kam Corona.

Als der Bundestag im Mai die bestehenden gesetzlichen Sonderrechte "zum Schutz der Bevölkerung in einer epidemischen Lage" verlängerte, gab es aus den Reihen der Opposition schwere Bedenken. Die FDP-Abgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus begründete die Weigerung ihrer Partei, der Verlängerung der Sondermaßnahmen zuzustimmen, folgendermaßen:

Als Bundestagsfraktion fragen wir uns schon, ob die auch in diesem Gesetz vorgesehenen Blanko-Ermächtigungen für das Bundesministerium für Gesundheit noch verhältnismäßig sind, und es ist auch sehr wichtig, ob die Regelungen datenschutzrechtlich mit unserem Grundgesetz vereinbar sind.

Die geplanten Handlungsmöglichkeiten des Gesundheitsministeriums seien "verfassungsrechtlich äußerst bedenklich", da sich der Bund "hier erhebliche Kompetenzen für den Fall einer epidemischen Notlage sichern" wollen würde, bei der die "Beteiligungs- und Kontrollrechte des Parlaments eindeutig auf der Strecke" blieben, so Aschenberg-Dugnus, die von "Blanko-Ermächtigungen" sprach, die dem Bundesgesundheitsministerium eingeräumt würden.

Auch Verfassungsrechtler schlugen Alarm. So warnte der Professor für Öffentliches Recht an der Berliner Humboldt-Universität Christoph Möllers vor einer "Verschiebung der rechtlichen Maßstäbe". Zwar entscheide der Bundestag selbst, wann "eine epidemische Lage von nationaler Tragweite" vorliege, sei diese aber gegeben, bekomme der Bundesgesundheitsminister weitreichende Sonderbefugnisse. "Auf einmal vollzieht der Bund Gesetze, genauer gesagt sogar nur ein einziger Bundesminister, und die Länder spielen keine Rolle mehr", so Möllers in der Welt am Sonntag.

Dort warnte auch der Göttinger Verfassungsrechtler Hans Michael Heinig, "dass sich unser Gemeinwesen von einem demokratischen Rechtsstaat in kürzester Frist in einen faschistoid-hysterischen Hygienestaat" verwandeln könne. 

Auch Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, äußerte damals seine Bedenken. Man müsse "wirklich aufpassen", dass das Grundgesetz nicht durch Ad-hoc-Notstandsregelungen ausgehebelt werde, mahnte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung und verwies dabei beispielhaft auf den Entwurf des Epidemiegesetzes in Nordrhein-Westfalen. Demnach sollten dort Ärzte und Pfleger zu bestimmten Arbeiten verpflichtet werden können, was nach Artikel 12 des Grundgesetzes aber nicht möglich ist. "Selbst in Kriegszeiten werden die Grundrechte nicht angetastet", sagte Papier, und das "muss in der jetzigen Notlage erst recht gelten". Zwar seien die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen für den Moment im Sinne des Infektionsschutzgesetzes rechtmäßig, aber sie dürfen nicht für einen längeren Zeitraum in Kraft bleiben.

Spahn will Sonderrechte "verstetigen" – Opposition will Bundestag wieder stärken

Jens Spahn will aber nun die Sonderrechte, die ihm der Bundestag bis März 2021 eingeräumt hat, auf unbestimmte Zeit verlängern. So heißt es laut einem dpa-Bericht in einem aktuellen Gesetzesentwurf, der jetzt zwischen den Ministerien abgestimmt wird, die bisherigen Regelungen sollten – "unter der Voraussetzung, dass dies zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch schwerwiegende übertragbare Krankheiten erforderlich ist" – "verstetigt" werden. Zur Frage, was das konkret heißt, wollte sich eine Ministeriumssprecherin am Montag in der Bundespressekonferenz nicht äußern.

Verfassungsrechtliche Bedenken angesichts der von ihm als "größte Freiheitseinschränkung in der Geschichte der Bundesrepublik" bezeichneten Sondermaßnahmen, die nun zeitlich entfristet werden sollen, lässt Spahn nicht gelten. "Natürlich müsse das im Bundestag weiter diskutiert werden", so der Gesundheitsminister in einem Interview mit dem ZDF-Morgenmagazin.

Das ist ja nicht irgendwie Willkür oder Zufall, dass es entsprechende Möglichkeiten für den Bund, für den Bundesminister gibt oder für die Länder, sondern das sind gesetzliche Grundlagen, vom Bundestag beschlossene Grundlagen.

Auf die Frage, warum die Rahmenbedingungen nach der akuten Übergangssituation nicht wieder vom Bundestag festgelegt werden sollten, sagte Spahn: "Das werden sie ja auch weiterhin, wie es ja auch in unserem vorgeschlagenen Infektionsschutzgesetz so wäre, dass der Bundestag die Regeln festsetzt."

Mit der Vorlage sollen dem Gesundheitsministerium weitgehende Befugnisse eingeräumt werden, berichtet das Deutsche Ärzteblatt, dem der Gesetzesentwurf vorliegt. Spahn soll demnach weiter eigenmächtig Verordnungen erlassen können, soweit dies "zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch schwerwiegende übertragbare Krankheiten erforderlich ist".

In der vergangenen Woche äußerten Verfassungsrechtler, darunter der Präsident des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz, erneut ihre Bedenken gegenüber dem weitgehend "exekutiven Regelungsregime der Corona-Verordnungen". Und auch aus den Reihen der Opposition wird die Kritik am Vorgehen der Bundesregierung immer lauter – und die Wiedereinsetzung des Parlaments als gesetzgebende Kraft gefordert, wie es die Verfassung vorsieht.  

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So kritisierte der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, dass alle Entscheidungen ohne ein Mitspracherecht des Bundestages von den Regierungen des Bundes und der Länder getroffen würden. Das Parlament müsse endlich an den Beschlüssen beteiligt werden, da es "allerhöchste Zeit für demokratische Legitimierung der Corona-Politik wird". Über die Grundlinien der Maßnahmen müsse im Bundestag diskutiert und entschieden werden und nicht nur in den Staatskanzleien:

Es wird zu viel verkündet und kaum noch etwas begründet", so Bartsch.

Auch die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth fordert eine stärkere Beteiligung des Bundestags bei Entscheidungen zu Corona-Maßnahmen. In einer Zeit, in der zwischen dem Schutz von Gesundheit und dem Schutz von Freiheit und Bürgerrechten abgewogen werden muss, müsse es ein Ringen um Lösungen geben, forderte die Grünen-Politikerin am Dienstag im Deutschlandfunk. "Das ist Aufgabe des Parlaments, wir können das tun, wir sollten das wieder zurückholen."

Roth sieht das Prinzip der staatlichen Gewaltenteilung in einer Schieflage:

Das ist eine wirklich gefährlich falsche Entwicklung, dass es weggeht von der Legislative hin zu klandestinen Exekutivveranstaltungen, dann auch noch mit wahlkämpfenden Ministerpräsidenten und unersättlichen Ministern.

Der Bundestag habe "sich selbst seiner Kompetenzen beraubt", befindet auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Kubicki. In einem Interview mit der Welt sagte er am Montag, dass nun die Phase eingetreten sei, "wo wir uns die Kompetenzen zurückholen müssen".

Man könne nun juristisch feststellen, "dass die epidemische Notlage von nationaler Tragweite beendet ist und der Bundestag bei allen grundrechtseinschränkenden Maßnahmen von wesentlicher Bedeutung zustimmen muss". Beispielhaft nennt Kubicki die Reisebeschränkungen. Wer in solchen Fällen den Bundestag außen vorhalten wolle, stelle "die demokratische Grundordnung prinzipiell in Frage".

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(rt/dpa)

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