Meinung

Alea iacta est: "Scholz for Kanzler!?"

Die Würfel sind gefallen. Die SPD schickt Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz ins Rennen ums Kanzleramt. Scholz ist bundesweit bekannt und bei den Deutschen laut Umfragen beliebt. Doch in Zeiten des Wandels stellen sich grundsätzliche Fragen.
Alea iacta est: "Scholz for Kanzler!?"Quelle: Reuters © FABRIZIO BENSCH

von Falko Looff

Zuletzt waren es viele in SPD-Spitzenämtern, die sich für Olaf Scholz als Kanzlerkandidat bei den Bundestagswahlen im nächsten Jahr ausgesprochen hatten – angefangen von Bundesaußenminister Heiko Maas bis hin zum nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Sebastian Hartmann. Die beiden Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hielten sich lange bedeckt. Nur dass sie selbst nicht nach dem Amt strebten, war zu vernehmen. Seit Montag ist es raus – Scholz geht für die SPD ins Rennen ums Kanzleramt. Doch es stellen sich – jenseits der politisch-inhaltlichen Dimension – drei grundsätzliche Fragen.

Erstens: Braucht die SPD überhaupt einen Kanzlerkandidaten?

Ein Bundeskanzler wird in Deutschland ja nicht direkt gewählt. Vielmehr sind es die Abgeordneten des Bundestags, die aus ihrer Mitte mittels Wahl einen Kandidaten bestimmen, der dann vom Bundespräsidenten ernannt wird. Das unterscheidet uns gegenüber Präsidialsystemen. Nun hat es sich aber eingebürgert, dass die aussichtsreichsten Parteien dem Wahlvolk vorab einen Kandidaten präsentieren. Doch genau hierin liegt für die SPD das Dilemma. Denn: Handelt es sich bei der SPD eigentlich um eine aussichtsreiche Partei?

Als aussichtsreiche Parteien galten ja bisher stets die sogenannten Volksparteien. Ob eine Partei als Volkspartei gelten darf oder nicht, bemisst sich dabei an zwei eher "weichen" Kriterien. Gemeint ist hier zum einen die Fähigkeit, breite Schichten anzusprechen, und zwar sowohl in Bezug auf die eigene Mitgliedschaft wie auch auf den Erfolg bei Wahlen. Von beidem kann jedoch bei der SPD spätestens seit Schröders Agenda-Politik und dann noch einmal seit dem Agieren als Merkels Steigbügelhalter bei einer Politik der völlig ungesteuerten Masseneinwanderung aus fremden Kulturkreisen nur noch regional die Rede sein. Die Verankerung in breiten gesellschaftlichen Schichten ist mittlerweile massiv erodiert; insbesondere der traditionell SPD-affine "kleine Mann" – durch beide Entscheidungen von allen Gruppen der Gesellschaft am stärksten benachteiligt – wählt längst nicht mehr sozialdemokratisch.

Damit zusammenhängend wäre, bezüglich der Charakterisierung als Volkspartei, auch noch der Blick auf die schiere quantitative Größe einer Partei anzuführen – und zwar hier ebenso sowohl in Bezug auf die eigene Mitgliedschaft wie auch auf den Erfolg bei Wahlen. Nun gilt die SPD zwar mit mehr als 410.000 Mitgliedern noch immer (wenn auch mit relativ geringem Abstand zur CDU) als mitgliederstärkste Partei Deutschlands. Doch waren es vor gut 20 Jahren noch ungefähr doppelt so viele. Und bei der Bundestagswahl erreichte die Partei 1998 noch stolze 40,9 Prozent der Stimmen, 2017 dagegen nur noch 20,5 Prozent – also in etwa die Hälfte.

Es ist folglich eine schwierige und für die SPD sehr ernst zu nehmende Frage, die Sache mit der Kanzlerkandidatur. Maas beispielsweise wollte vor allem deswegen einen eigenen Kandidaten, um der "Selbstverzwergung" seiner Partei vorzubeugen. Das könnte schon zu spät sein. Wie sehr hatte man doch einst gegen Guido Westerwelle gewettert, weil der als offizieller FDP-Kanzlerkandidat das "Projekt 18" (gemeint waren 18 Prozent der Stimmen) verfolgte. "Ein Werbegag, wie peinlich", unkte man damals – nicht nur bei der SPD – landauf, landab. Die SPD liegt in Umfragen derzeit im Schnitt bei 15 Prozent und schaut heute – wie einst die FDP – "von unten" auf die 18. Ja, in der Tat, das könnte peinlich werden.

Und dann noch dies: Wenn die SPD mit solchen Umfragewerten einen eigenen Kandidaten aufstellt, warum sollten es ihnen die Grünen dann nicht gleichtun? Die liegen in den Umfragen im Moment immerhin bei rund 19 Prozent und erhielten – nach derzeitigem Stand – in einer theoretischen rot-rot-grünen Konstellation den Kanzlerzuschlag. Auch für die AfD käme die Aufstellung eines eigenen Kanzlerkandidaten infrage – jedenfalls sofern sie sich von ihrem aktuellen Tief erholen und zu bis vor Kurzem gekannter Umfragestärke zurückkehren sollte. Komplizierte Überlegungen also, aber dann gibt es ja noch die andere Frage, nämlich

Zweitens: Wer wirft wann seinen Hut in den Ring?

Beides ist ja seit Montag im Prinzip geklärt. Doch ist Scholz der richtige Mann für den Job? Die Antwort darauf dürfte naturgemäß unterschiedlich ausfallen – je nachdem, wo man politisch steht. Lauscht man offiziellen Parteistimmen, gibt es jetzt allseits große Freude und breite Unterstützung für die Entscheidung. Das ist in Ordnung so, das ist Teil des politischen Geschäfts. Und gewiss, Scholz hat als Finanzminister und Vizekanzler nicht nur einen hohen Bekanntheitsgrad, sondern gehört nach Umfragen auch zu den beliebtesten Politikern Deutschlands. Das sind zweifelsohne große Pluspunkte.

Doch war Scholz parteiintern nicht erst vor Kurzem dem Duo Esken/Walter-Borjans beim Rennen um den Parteivorsitz in einer Urabstimmung unterlegen? Ging es hierbei letzten Endes nicht auch um eine Art Richtungsentscheidung bezüglich der inhaltlichen und strategischen Ausrichtung der Partei? Wollten seine Anhänger mit der Forcierung der Entscheidung jetzt gar zu Ende bringen, was im letzten Jahr noch nicht so recht gelang – sozusagen durch die Hintertür? Immerhin fiel schon auf, dass es im Vorfeld der offiziellen Nominierung vor allem namhafte Parteigranden waren, die auf schnelle Klärung der Personalie zugunsten von Scholz drängten. Nur die Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans hatten ihre Haltung bis zum Schluss nicht zu erkennen gegeben.

Man darf zumindest mutmaßen, dass gerade Parteilinke mit dem Agenda-Politiker und Warburg-Bank-Helfer Scholz so ihre Bauchschmerzen haben. Ist natürlich alles schon lange her und längst vergessen. Klar. Und seien wir doch mal ehrlich: Welche ernsthaften Alternativen hätte es denn jetzt eigentlich zu Olaf Scholz gegeben? Die meisten Leute aus dem Mittelfeld sind im Bund zu unbekannt, den Vorsitzenden selbst fehlt die gewisse "Kanzleraura" und Juso-Chef Kevin Kühnert ist einfach noch nicht so weit, der will jetzt erst mal in den Bundestag einziehen.

Und war der Zeitpunkt richtig gewählt? Die Antwort darauf lässt sich kurz und knapp zusammenfassen: Nein. Die Bekanntgabe zum jetzigen Zeitpunkt war geradezu töricht und wird der SPD zum Nachteil gereichen. Jede Wette. Hätte man sich hier nicht auch einmal von der Politikwissenschaft beraten lassen können? Dann hätte man zum Beispiel erfahren, dass es in unserer kurzlebigen "Mediendemokratie" immer auch ein bisschen darum geht, die Spannung zu halten. Kurz vor Weihnachten wäre ein guter Zeitpunkt gewesen oder im Januar. Eine zu frühe Bekanntgabe birgt die immense Gefahr, dass ein Kandidat das Publikum irgendwann langweilt, weil ein Spannungsbogen nun mal auch wieder abflacht.

Man überlege einmal: Ein ganzes Jahr wird noch vergehen und die Bundestagswahl wird noch immer nicht stattgefunden haben. In der Politik ist ein Jahr ein sehr, sehr langer Zeitraum. Da kann viel passieren – Unvorhergesehenes zum Beispiel, nicht kalkulierbare Situationen oder auch einfach nur das dröge Alltagsgeschäft. Aber stets wird man wissen wollen: "Und was sagt eigentlich Herr Scholz dazu?". Vor allem ist es aber auch viel Zeit für Fehler und Fettnäpfchen, in die der beste Kandidat tappen kann. Und gerade bei einem, der sich – wie wahrscheinlich Scholz – ein bisschen mit der Partei reibt, birgt das nicht zu unterschätzende Risiken.

Steinbrück hats ja vorgemacht. "Hätte, hätte, Fahrradkette" ist dann zwar lustig, hilft aber gegenüber dem sensiblen Wahlvolk nicht weiter. Das möchte grundsätzlich lieber keine Unruhe, schon gar nicht für eine längere Zeit. Dafür dann aber viel Sicherheit – "Sie kennen mich." kommt gut an, das mag man. Und Schutz. Deswegen sind ja seit Corona bei so vielen alle Merkel-Schandtaten der letzten Monate und Jahre vergessen. Die CDU-Umfragewerte zeigen es deutlich. Sie sind mit denen aus Zeiten noch unmittelbar vor der hochgefährlichen Mega-Super-Über-Pandemie praktisch nicht zu vergleichen. Grandios im Übrigen, das mit all den guten Dingen zu unserem Schutz. Muss man erst mal drauf kommen. Und hier stellt sich dann auch schon eine weitere Frage, nämlich

Drittens: Gegen wen tritt der SPD-Kandidat denn überhaupt an?

Die Grünen werden sich noch ein wenig Zeit lassen, aber die Sache selbst dürfte eher unspektakulär sein – es wird Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen. AfD, Linke und FDP werden wahrscheinlich keine Kanzlerkandidaten aufstellen. Die AfD nicht, weil sie gerade mit sich selbst beschäftigt ist und sich das mittlerweile auch in den Zustimmungswerten niederschlägt. Linke und FDP nicht, weil beide in den Umfragen der letzten Monate stets unter 10 Prozent lagen und sich daher die Frage nach einer Kanzlerkandidatur ohnehin nicht ernsthaft stellt.

Ganz gewiss aber werden CDU/CSU jemanden als Kanzlerkandidaten präsentieren. Doch, wen? Großes Rätselraten. Der CDU-Parteitag zur Wahl eines neuen Bundesvorsitzenden ist weiterhin verschoben – gefühlt auf unbestimmte Zeit. AKK fällt ohnehin aus, von der Leyen ist schon versorgt. Um Friedrich Merz ist es still geworden, für Norbert Röttgen hatte der Zug nie so richtig Fahrt aufgenommen. Armin Laschet mit Kompagnon Spahn wäre noch zu nennen. Ja, mal schauen. Spätestens seit Laschet es in einer Anne Will-Sendung wagte, ein klein wenig gegen Corona-Maßnahmen aufzubegehren, hat sich der Wind gedreht. Offizielle Medien werden seitdem nicht müde, ihm mit Begriffen wie "unter Druck" oder "Popularität hat gelitten" die Aura von "kein Siegertyp" zu verleihen. Aktuell scheint nunmehr dagegen der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zum Kronprinzen zu avancieren und erweckt zunehmend den Eindruck, sich in dieser Rolle zu gefallen. Doch Vorsicht sei ihm geraten! Es gab schon so viele andere.

Aber wer bliebe sonst noch? Wer soll es richten für Deutschland? Es bliebe dann eigentlich nur jene eine Lichtgestalt: die Frau mit der Raute. Unwahrscheinlich? Verschwörungstheorie! Abwarten. Als Trump damals bei einem Treffen mit Merkel im Weißen Haus über sein "German blood" schwadronierte, sagte er – von den meisten überhört – noch mehr. Ausgangspunkt war die Frage einer Journalistin an den Präsidenten, ob er sich darüber sorge, dass die Welt nicht genug tue, um weibliche Führungspersonen zu fördern, da die G7 ja demnächst eine solche verlören. Darauf Trump:

Sie (Merkel) wird Sie vielleicht überraschen. Sie wird vielleicht noch lange hier sein. Ich kenne sie gut.

Also: Auf Genossen, zum Kampf! Und wenn es doch nicht klappen sollte, dann bleibt eben wieder der Platz am Katzentisch. Ist ja schon reserviert. Stabilität in Zeiten der Krise eben! Die Menschen mögen das.

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