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Ist der jüngste Öldeal ein neuer "Raubfrieden" oder ein kluger Schachzug gewesen?

Die Förderkürzungen im Rahmen des OPEC+-Formats wollte Moskau vorerst nicht mehr verlängern, nur um vier Wochen später noch größeren Kürzungen zuzustimmen, als es zuvor gefordert wurde. Die Frage, die sich viele stellen: Warum vollzog Putin diese 180-Grad-Wendung?
Ist der jüngste Öldeal ein neuer "Raubfrieden" oder ein kluger Schachzug gewesen?Quelle: AFP © Emmanuel Dunand, Jim Watson

von Zlatko Percinic

Am 12. April vereinbarten 22 von 24 Ländern des Ölpreiskartells OPEC+ die größten Förderkürzungen in der Geschichte des Kartells. Rund zehn Prozent der globalen Produktion sollen so vom Markt genommen werden, um den Ölpreis zu stabilisieren, nachdem er seit dem 7. März zusammengebrochen war.

Dem ging die Entscheidung Russlands voraus, die im Jahr 2019 vereinbarten Förderkürzungen nach dem Auslaufen der Frist am 1. April nicht mehr verlängern zu wollen, was zur Überflutung eines ohnehin aufgrund sinkender Nachfrage übersättigten Marktes durch Saudi-Arabien führte. Diese Überflutung der Märkte mit Rohöl aus strategischen Reserven der Saudis sorgte schließlich für den Börsencrash am 10. März, nachdem auch der Ölpreis auf ein Niveau gesunken war, auf dem er sich zuletzt im Jahr 1999 befand.

Dass die Nachfrage nach dem schwarzen Gold zu diesem Zeitpunkt bereits erheblich nachgelassen hatte, war dem Umstand geschuldet, dass China aufgrund der Corona-Pandemie seine Wirtschaft heruntergefahren und Italien sich zum ersten europäischen Hotspot entwickelt hatte.

Der ausgelöste Ölpreiskrieg sorgte insbesondere in den USA für blankes Entsetzen, nachdem die vielfach auf Pump finanzierten Produzenten von Schieferöl und -gas nicht mehr kostendeckend fördern konnten und Milliardenverluste hinnehmen mussten. Doch der saudische Ölminister, Prinz Abdulaziz bin Salman, wiegelte die auch von russischer Seite geäußerten Vorwürfe in einem kürzlichen Interview ab:

Ich habe klargestellt, dass wir es nicht auf unserem Radar hatten oder es nicht unsere Absicht war, ihrer Industrie (der US-amerikanischen Ölindustrie/Anm.) irgendeinen Schaden anzurichten.

Die Entscheidung Moskaus, die Ölförderkürzungen nicht mehr verlängern zu wollen, fand in Russland nicht überall Anklang. Insbesondere Lukoil, der größte Ölproduzent in privater Hand, bewertete den Ausstieg Russlands aus dem OPEC+-Kartell äußerst kritisch. Deshalb begrüßte der Vizepräsident des Unternehmens, Leonid Fedun, den Sinneswandel der Regierung von Präsident Wladimir Putin und die Rückkehr an den Verhandlungstisch insbesondere mit Saudi-Arabien.

Fedun erklärte sich Putins 180-Grad-Wendung damit, dass wenn diese Förderkürzungen am 12. April nicht getroffen worden wären, die weltweiten Öllager innerhalb der nächsten 40 bis 45 Tage voll gewesen wären. Das hätte wiederum zur Folge gehabt, dass Russland seine Ölfelder hätte "einfrieren" und das bereits im Überfluss produzierte Öl für 15 bis 20 US-Dollar pro Barrel hätte verkaufen müssen. So könne man aber davon ausgehen, dass der Ölpreis sich zwischen 30 und 40 US-Dollar pro Barrel einpendelt und dem Staat tägliche Einnahmen zwischen 70 und 80 Millionen US-Dollar einbringt.

Trotz des dahinterstehenden Kalküls – und der damit verbundenen Einnahmen auch für sein Unternehmen – verglich der Lukoil-Vizepräsident diese Rückkehr mit dem sogenannten "Raubfrieden" von Brest-Litowsk, der am 3. März 1918 unterzeichnet wurde:

Die Bolschewiken mussten eine Vereinbarung mit Deutschland treffen, was erniedrigend und nur schwer zu akzeptieren war.

Mit diesem Friedensvertrag schied Sowjetrussland als Kriegsteilnehmerin aus, was offiziell das Ende des Ersten Weltkrieges markierte. Damit einhergehend verloren die Sowjets auch die Kontrolle über das Baltikum und Polen an Deutschland sowie die südlichen Gebiete von Ardahan, Batumi und Kars an das Osmanische Reich, weshalb es zu dem Begriff "Raubfrieden" kam.

Folgt man dieser Interpretation von Leonid Fedun, dann musste sich Putin den äußeren Umständen geschlagen geben, die durch die Corona-Krise ausgelöst wurden. Doch die seit dem 30. März geführten Einzelgespräche zwischen dem russischen Präsidenten und seinem Amtskollegen im Weißen Haus in Washington, Donald Trump, lassen auch eine weitere Erklärung zu.

Insgesamt fünfmal telefonierten Putin und Trump seit Ende März bisher – und damit mehr als im gesamten letzten Jahr. Als die Vereinbarung dann stand, twitterte Trump:

Der große Öldeal mit OPEC Plus ist geschafft. Dies wird Hunderttausende Jobs im Energiebereich in den Vereinigten Staaten retten. Ich möchte dem russischen Präsidenten Putin und dem saudischen König Salman danken und gratulieren. Ich habe soeben mit ihnen aus dem Oval Office gesprochen. Großartiger Deal für uns alle!

Indem Russland diese Kehrtwende vollzogen hat, kann Moskau auch angesichts der explizit ausgedrückten Dankbarkeit zur Rettung "Hunderttausender Jobs" in den USA diesen Punkt als Argument benutzen, um von Trump im Gegenzug etwas einzufordern, was im strategischen Interesse Moskaus ist: eine Verlängerung des New-START-Abkommens.

Schon seit Ende 2019 drängt Russland darauf, dass dieses letzte verbliebene Abrüstungsabkommen, mit dem die Verringerung von strategischen Nuklearwaffen vereinbart wurde, über den 21. Februar 2021 hinaus verlängert wird. Doch bisher verliefen die russischen Angebote stets im Sande. Selbst ein Treffen zwischen Rechtsexperten der beiden Atommächte wurde von US-amerikanischer Seite Ende Februar abgelehnt. Dabei bekräftigte Putin immer wieder, dass Russland "ohne Vorbedingungen" bereit sei, dieses Abkommen zu verlängern, und nur auf Washington wartet, auf diesen Zug aufzuspringen.

Obwohl es in der Erklärung des Kremls nach dem vierten Telefongespräch zwischen Putin und Trump am 12. April nicht direkt kommuniziert wurde, könnte aber genau das Gegenstand der Gespräche gewesen sein, nachdem Themen der "strategischen Sicherheit" auf der Agenda standen.

Andrei Baklitsky, ein Analyst für die russische Denkfabrik PIR Center, mahnte in einem Kommentar für die Financial Times hingegen zur Vorsicht. Zwar würde "Moskau gerne eine Verbesserung in amerikanisch-russischen Beziehungen sehen", aber die Vergangenheit habe gezeigt, dass trotz bilateraler Treffen zwischen den beiden Präsidenten keine wirkliche Verbesserung zustande kommen konnte. Dafür sind die Widerstände innerhalb der Regierung und insbesondere auch im Kongress viel zu stark, die selbst Trump nicht übergehen kann. Wenn Russland aber als Partner in einer Notlage präsentiert werden kann, der zudem auch noch "Hunderttausende Jobs" rettet, könnte es den Widerstand vielleicht etwas aufweichen. 

Zu verlieren hat Putin trotz Kehrtwende in der Energiepolitik nicht viel, aber Russland – und die Welt – könnte mit der Verlängerung des nuklearen Abrüstungsabkommens Zeit gewinnen, um ein besseres Abkommen auszuhandeln.    

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