Meinung

Ein Mann sieht rot: Juso-Chef Kühnert will Großbetriebe wie BMW enteignen

"Enteignung" mausert sich wohl zum "Wort des Jahres". Eine Bürgerinitiative in Berlin möchte die Immobilienfirma Deutsche Wohnen enteignen. Juso-Chef Kevin Kühnert will nun gar Unternehmen wie BMW vergesellschaften. Es ist noch nicht Weihnachten, aber bald Wahltag.
Ein Mann sieht rot: Juso-Chef Kühnert will Großbetriebe wie BMW enteignenQuelle: www.globallookpress.com

von Timo Kirez

"Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", schreibt Goethe im ersten Teil des "Faust". Profaner drückte mal "der Kaiser" Franz Beckenbauer seinen Unglauben in einem Werbespot aus: "Ja is' denn heut scho' Weihnachten?". Dabei ist der Vergleich mit Faust in diesem Fall vermutlich passender - schließlich handelt es sich sowohl bei Faust als auch bei der SPD, um eine Tragödie. In einem Interview mit der Zeit am Mittwoch sagte der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert unter anderem so unerhörte Dinge wie, dass er für eine Kollektivierung großer Unternehmen "auf demokratischem Wege" eintrete. Denn – Freunde des freien Marktes müssen jetzt ganz tapfer sein – anders sei die "Überwindung des Kapitalismus nicht möglich", so Kühnert.

Und dann legte der nun völlig entfesselte Jung-Sozi nach, gleich Messi am Mittwoch-Abend gegen Liverpool: Es sei kein "legitimes Geschäftsmodell", mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. "Konsequent zu Ende gedacht, sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt." Noch besser seien genossenschaftliche Lösungen, im Optimalfall gebe es überhaupt keine privaten Vermietungen mehr.

"Boah, der hat 'enteignen' gesagt! Der muss weg!" würde Harald Schmidt jetzt vermutlich witzeln. Doch die ersten Reaktionen weniger Humorversessener waren alles andere als amüsiert. Im Gegenteil, die Bourgeoisie legte ungeniert den sonst so diskreten Charme ab und ging instantan zum Angriffsmodus über. Wenig überraschend echauffierte sich stellvertretend der CSU-Generalsekretär Markus Blume über "systemverändernden Sozialismus-Fantasien des Juso-Vorsitzenden" und diagnostizierte, das sei "ein schwerer Rückfall der SPD in klassenkämpferische Zeiten". 

"Die SPD-Spitze muss sich deutlich von solchen Hirngespinsten distanzieren", so Blume gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Kühnert solle doch in die Linkspartei eintreten:

Mit solchen Leuten ist kein Staat zu machen und kann eine Regierung nicht funktionieren.

Wie funktionstüchtig die Regierung im Augenblick noch ist, sei zwar mal dahingestellt, aber: Das kommt davon, wenn man den Bayern an ihr Allerheiligstes, also BMW, will. Die Nackenschläge prasselten jedoch nicht nur von den Höhen der politischen Konkurrenz auf Kühnert nieder. Auch in der Mutterpartei gab man Kevin Saures. 

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs twitterte: "Was für ein grober Unfug. Was hat der geraucht? Legal kann es nicht gewesen sein." Weiß Kahrs etwas über Drogen, was wir nicht wissen? Und wenn ja: Wo kann man genau dieses Zeug bekommen?

Später twitterte er deutlich ausgenüchtert, dass Kühnerts Rausch "nix mit der Realität zu tun" habe und "so etwas Unsolidarisches" ginge gar nicht. Es sei "ätzend", dass der Juso-Chef mitten im Wahlkampf Wähler verschrecke. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Kann man SPD-Wähler noch verschrecken? Das kriegt vermutlich selbst Stephen King nicht mehr hin.

Entspannter und deutlich großväterlicher, wir wollen nicht paternalistischer sagen, reagierte der SPD-Vizevorsitzende Ralf Stegner. Er bedauerte, ebenfalls via Twitter, dass nun "alle" über Kühnert und sein Interview herfielen. "Man muss nun wahrlich nicht alle Positionen teilen, aber mir ist ein Juso-Chef, der links von der SPD steht, allemal lieber als eine Junge Union, die ihre Mutterpartei noch rechts überholt", ergänzte Stegner.

Für die FDP stieg der FDP-Chef im Saarland, Oliver Luksic, in den medialen Ring und fragte sich per Twitter, ob es sich bei Kühnerts Forderung nach Kollektivierung um "DDR light oder DDR" handle.

Bei "light" mussten vermutlich die meisten Follower zwar nicht an DDR, sondern eher an die jüngsten Umfragewerte der FDP denken, aber geschenkt. Den ersten Preis im Empörungswettbewerb sicherte sich allemal ein anderer. Der Präsident des SPD-Wirtschaftsforums, Michael Frenzel, verlangte glatt die Höchststrafe: Kühnerts Parteiausschluss. Der Mann macht eben keine halbe Sachen. Kühnerts Äußerungen zur Vergesellschaftung von Unternehmen und Wohnungseigentümern seien "eine Steilvorlage, die SPD in die Nähe der alten SED zu rücken und uns von der Mitte weiter zu entfremden", sagte Frenzel gegenüber dem Handelsblatt. Das ist übrigens derselbe SPD-Politiker, der im Juli 2018 aus dem Aufsichtsrat der Deutsche Bahn AG zurücktrat. Mit der Begründung, dass das Unternehmen zunehmend von der Politik vereinnahmt werde.

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Dabei ist die ganze Aufregung völlig unnötig. Im Grundsatzprogramm der SPD ist vorsorglich schon lange keine Vergesellschaftung von Produktionsmitteln mehr vorgesehen. Zwar verweist Kühnert in einer ersten Reaktion auf Twitter zu Recht auf das geltende Programm mit der "Vision" eines "demokratischen Sozialismus":

Dennoch wird die soziale Marktwirtschaft als "herausragendes Erfolgsmodell" beschrieben, die "wirtschaftliche Stärke mit Wohlstand für breite Schichten" verbinde. Die über 150-jährige Partei beschreibt ihre Geschichte als "geprägt von der Idee des demokratischen Sozialismus". Eine Verwirklichung dieser "Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft" bleibe unerschütterlich eine Aufgabe der SPD.

Eine grundsätzliche Änderung der Eigentumsverhältnisse ist nicht Teil des Programms. Der "Markt" sei ein "notwendiges und anderen wirtschaftlichen Koordinierungsformen überlegenes Mittel", heißt es vielmehr. Er müsse aber vom Staat gesetzlich reguliert werden. So solle sozialdemokratische Steuerpolitik "Ungleichheit begrenzen und gleiche Chancen fördern", so immerhin das Ziel der SPD. Schon mit dem Godesberger Programm von 1959 hatte sich die SPD vom Marxismus und Begriffen wie Klassenkampf, Planwirtschaft und Vergesellschaftung von Betrieben endgültig "befreit". Sie wurden durch das Bekenntnis zu Marktwirtschaft und Wettbewerb sowie durch die Akzeptanz von privatem, jedoch immerhin am Gemeinwohl orientierten Eigentum abgelöst.

Aber: Es stehen in der EU "Europa"-Wahlen an. Und die Umfragewerte der SPD sind ungefähr so hochprozentig wie ein Frucht-Smoothie. Da kann man schon mal mit der Diktatur des Proletariats drohen. Nach der Wahl erinnert sich sowieso niemand mehr daran. Dass man selbst in unserer sogenannten "sozialen Marktwirtschaft" bei Bedarf ratzfatz enteignen kann, belegen manche Großprojekte, zum Beispiel Autobahnbau. Zum Bau von Autobahnen und Bundesstraßen laufen derzeit bundesweit 65 Enteignungsverfahren gegen Grundstücks-, Haus- und Wohnungsbesitzer.

"35 davon betreffen den Bau von Bundesautobahnen und 30 den Bau von Bundesstraßen", heißt es in einer Antwort des Verkehrsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Politikers Sven-Christian Kindler, wie der Tagesspiegel berichtet. Die Enteignungen werden mit dem Paragraphen 19 des Bundesfernstraßengesetzes begründet, nach dem Enteignung zulässig ist, "soweit sie zur Ausführung eines festgestellten oder genehmigten Bauvorhabens notwendig" und wenn sie entsprechend dem Artikel 14 des Grundgesetzes (hört, hört!) dem Wohle der Allgemeinheit dient. 

Wohl dem, der das Deutungsmonopol über das "Allgemeinwohl" besitzt.

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