Europa

Wie Deutschland und andere Länder ihre Minderheiten in der Ukraine umwerben

Das russische Dekret zur Erleichterung des Einbürgerungsverfahrens für Menschen aus den selbstausgerufenen "Volksrepubliken" wurde von einigen Ländern verurteilt. Dabei stellen seit Jahren die EU-Nachbarn der Ukraine großzügig ihre Pässe für ukrainische Bürger aus.
Wie Deutschland und andere Länder ihre Minderheiten in der Ukraine umwerbenQuelle: AFP © Olga Matseva

von Zlatko Percinic

Die ukrainische Gesetzgebung ist in dieser Frage eindeutig: Nach Verfassungsartikel 4 ist eine Doppelstaatsangehörigkeit nicht erlaubt. Dennoch sind es vor allem die Oligarchen und Regierungsvertreter, denen dieses Gesetz egal ist. Am deutlichsten zeigte der nach dem Putsch in Kiew zum Gouverneur der Dnipropetrovsk-Oblast (heute nur noch Dnipro) ernannte Igor Kolomoiski seine Verachtung zu dieser Vorschrift, als er im Oktober 2014 zugab, sogar über drei Pässe zu verfügen: einen aus der Ukraine, einen aus Zypern und einen aus Israel. "Die Verfassung verbietet Doppelstaatsbürgerschaft. Eine Dreifache ist nicht verboten", sagte er grinsend.

Nach dem Zerwürfnis zwischen Kolomoiski und dem an die Macht gekommenen Petro Poroschenko, musste sich der Mann mit den drei Pässen aus der aktiven Politik zurückziehen. Auch Poroschenko soll Gerüchten zufolge über mehrere Staatsbürgerschaften verfügen, welche das sind, wollte er allerdings bis jetzt nicht offenlegen. Es wird gemutmaßt, dass es – neben der ukrainischen – auch noch die israelische und spanische Staatsbürgerschaft sein sollen. Ministerpräsident Wladimir Groisman nimmt es ebenfalls nicht so genau mit dem Gesetz, auch er verfügt über eine Doppelstaatsbürgerschaft (Ukraine/Israel). Andere Politiker wie Andrej Teteruk (Russland/Ukraine), Aleksander Granowsky (Ukraine/Rumänien; wird in Israel wegen Betrugs in Millionenhöhe gesucht) oder Ulana Suprun (USA/Ukraine) sehen es auch nicht so eng mit der ukrainischen Verfassung.

Es sind jedoch nicht nur Politiker, Oligarchen oder Geschäftsmänner, die sich und ihre Familien im Ausland absichern lassen. Länder wie Polen, Rumänien und Ungarn, versuchen aktiv, ihren jeweiligen ethnischen Minderheiten in der Ukraine die eigene Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Laut der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2001 leb(t)en in der Ukraine 156.600 ethnische Ungarn, 150.900 Rumänen und 144.000 Polen in jenen historisch umstrittenen Gebieten, die vor der Gründung der Sowjetunion und der daraus resultierenden Erweiterung des ukrainischen Territoriums zu den jeweiligen Monarchien oder Republik gehörten.

Vor allem die genannten hetigen EU-Staaten wissen um die Attraktivität einer Staatsbürgerschaft ihrer Länder gegenüber der der Ukraine und werben auch aktiv damit. Sie alle heben hervor, dass man mit einem EU-Pass ohne Beschränkung in Europa reisen, in einem Land eigener Wahl nach Arbeit suchen und obendrein von Sozialleistungen profitieren kann. Es haben sich daher auf die Bearbeitung derartiger Einbürgerungsverfahren spezialisierte Unternehmen in der Ukraine niedergelassen, die für einen "gewissen Betrag" die Menschen in diesem Prozess begleiten. So kann man beispielsweise für 1.500 Euro einen rumänischen Pass erhalten, wenn man nachweisen kann, dass wenigstens ein Elternteil oder Großelternteil rumänischer Abstammung ist. Es werden nicht einmal Sprachkenntnisse vorausgesetzt.

Ungarn hat seit 2011 ein neues Gesetz zur "Rückführung" von ethnischen Ungarn erlassen, die selbst – oder deren Vorfahren bis 1920 oder zwischen 1938 und 1945 – in der südlichen Slowakei, Transsilvanien (Rumänien), Transkarpatien (Ukraine) und Wojwodina (Serbien) gelebt haben. Ab 5.000 Euro kostet das Einbürgerungsverfahren für ukrainische Bürger, wenn sie den Nachweis ungarischer Vorfahren erbringen können. Für ganz vermögende Ukrainer gibt es zudem die Möglichkeit, noch einfacher über ein Investitionsprogramm zu einem ungarischen Pass zu kommen. Wenn sie für mindestens 300.000 Euro eine Staatsanleihe kaufen und fünf Jahre behalten, garantiert der ungarische Staat den Rückkauf der Anleihe inklusive Zinsen. Außerdem erwirbt man sich damit das Recht auf einen Aufenthalt in Ungarn und kann dann nach zwei Jahren die Staatsbürgerschaft beantragen. Auch in diesem Fall sind durch derartige Investoren keine weiteren Kriterien mehr zu erfüllen.

Doch wesentlich strengere Auflagen gibt es dagegen für ethnische Polen in der Ukraine. Sie müssen zuerst eine sogenannte "Karte der Polen" beantragen, die bestätigt, dass man zur "polnischen Nation gehört". Solch eine Karte können ethnische Polen aus allen ehemaligen UdSSR-Republiken beantragen, wenn sie nachweisen können, dass wenigstens ein Elternteil oder Großelternteil polnischer Nationalität war oder ist oder wenn sie den Nachweis ihrer Teilnahme über mindestens drei Jahre in einer polnischen kulturellen Vereinigung erbringen können. Zudem müssen sie in der Gegenwart eines polnischen Konsuls oder eines von ihm bevollmächtigen Vertreters eine schriftliche Erklärung unterzeichnen, dass sie der polnischen Nation angehören.

Mit der "Karte der Polen" dürfen ukrainische Bürger dann kostenlos eine polnische Staatsbürgerschaft beantragen, dürfen ohne Arbeitsgenehmigung einer Arbeit in Polen nachgehen oder das polnische Bildungssystem in Anspruch nehmen. Am Ende müssen die Bewerber dennoch ein mindestens 60-minütiges Prüfungsgespräch mit einem polnischen Staatsbeamten führen, in welchem sie ihre kulturellen und politischen Kenntnisse über Polen unter Beweis stellen müssen.

Im Vergleich dazu hätten es die 103.600 ukrainischen Juden (Stand nach Volkszählung 2001) viel einfacher. Das israelische "Rückkehrgesetz" aus dem Jahr 1950 gibt jedem Juden das Recht, die israelische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Dieses Gesetz betrachtet "grundsätzlich überall alle Juden als israelische Bürger", wie die Jewish Agency auf ihrer Internetseite schreibt. Dennoch zieht es die Mehrzahl der Juden weltweit offenbar vor, Bürgerinnen und Bürger ihrer Herkunftsländer zu bleiben, weshalb sich verschiedene Organisationen größte Mühe geben, sie zur "Alija" nach Israel zu bewegen.

Eine solche Organisation ist das International Fellowship of Christians and Jews (IFCJ), die mit dem Programm "Wings of Eagles" (Flügel der Adler) bei der Übersiedlung der Ausreisewilligen auch finanzielle Hilfe bietet. In den vergangenen zwanzig Jahren hat IFCJ mehr als 750.000 Menschen nach Israel gebracht und investierte dafür über 200 Millionen US-Dollar. Der Krieg in der Ostukraine hat dazu geführt, dass sich IFCJ nun verstärkt um die "Olim" aus der Ukraine kümmert, wie diejenigen genannt werden, die die Emigration nach Israel in Angriff nehmen. Erst Ende Dezember 2018 traf wieder eine Gruppe von 250 ukrainischen Juden in Tel Aviv ein, von denen viele einfach vor Krieg und Perspektivlosigkeit geflohen sind. Wladimir Zezehov und seine Frau Valentina schilderten dabei die Zustände durch den Beschuss der ukrainischen Streitkräfte ihrer alten Heimatstadt Donezk:

Granaten und Splitter(geschosse) wurden wahllos auf irgendeinen Teil der Stadt abgefeuert. Wir waren gezwungen, regelmäßig in improvisierten Bunkern Schutz zu suchen. Die Wahrheit ist, dass dieser Krieg nach wie vor andauert und wir ständig mit der Angst von erneuten Kampfhandlungen leben.

Nicht nur Israel und die bereits zuvor genannten Länder machen es ukrainischen Bürgern leicht, eine andere Staatsangehörigkeit anzunehmen. Auch Deutschland definiert mit Artikel 6 die "Volkszugehörigkeit" im "Bundesvertriebenengesetz". Damit spricht die Bundesrepublik unter anderem gezielt die 33.000 ethnischen Deutschen (Stand 2001) in der Ukraine an. Deutsch ist "im Sinne dieses Gesetzes, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird."

Aufgrund dieses Gesetzes kamen bereits rund 3,2 Millionen sogenannte "Spätaussiedler" (Stand 2016) aus verschiedenen Ländern nach Deutschland "zurück", davon allein 1,5 Millionen aus Gebieten der früheren Sowjetunion. Es ist deshalb besonders unglaubwürdig, wenn ausgerechnet Deutschland (zusammen mit Frankreich) nun das russische Dekret zur Erleichterung des Einbürgerungsprozesses (auch für Ukrainer) verurteilt.

Von den 8,3 Millionen Menschen, die sich 2001 als ethnische Russen in der Ukraine bezeichnet haben und vornehmlich im Osten des Landes leben, haben seit dem Putsch 2014 über eine Million Zuflucht in Russland gesucht und gefunden. Wenn also Länder wie Deutschland, Israel, Polen, Rumänien und Ungarn ihren jeweiligen Minderheiten in der Ukraine die Möglichkeit zur Aufnahme der entsprechenden Staatsbürgerschaft bieten, dann wirft es die Frage auf, weshalb bei Russland derselbe Schritt verurteilt wird.

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