Meinung

Ukraine, Urheberrecht, Treuhand: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Wahlen in der Ukraine, das EU-Urheberrecht und ein Streit um die Bewertung der Treuhand. Vor allem diese Themen boten den Mainstreammedien in dieser Woche Anlass für eine verzerrende Berichterstattung.
Ukraine, Urheberrecht, Treuhand: Ein Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: AFP © Odd Andersen

von Thomas Schwarz


Über die realen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände in der Ukraine wurde nach dem Putsch 2014 ein Mantel des Schweigens ausgebreitet. Eben jene Medien, die in den Monaten zuvor exzessiv über angebliche "Misswirtschaft" und "Korruption" durch die rechtmäßige Regierung Janukowitsch zu berichten wussten, verstummten nach dem Umsturz fast über Nacht. Das ist nachvollziehbar, denn der bodenlose wirtschaftliche und moralische Absturz des Landes war bereits 2014 deutlich abzusehen, und er war von zahlreichen Personen prognostiziert worden. Wenn Medien heute angemessen über diese Abgründe und deren Vorbedingungen berichten wollten, so müssten sie ihre eigene Mitverantwortung an dem Putsch thematisieren und mindestens schwere Irrtümer, wenn nicht gar völkerrechtswidriges Handeln, bei sich selbst einräumen.

Ukraine: Realität in absurdem Kontrast zu westlichen Demokratie-Phrasen

Also schweigen sie lieber – eben weil die heutige ukrainische Realität in absurdem Kontrast zu den Demokratie-Phrasen und anderen Versprechungen steht, die westliche Medien und Politiker den Maidan-Demonstranten gemacht hatten. Dieses Schweigen lässt sich aber nicht permanent durchhalten. Es gibt Ereignisse, da richtet sich automatisch das internationale Interesse auf sonst medial begrabene Länder. Eine Präsidentschaftswahl ist so ein Ereignis, und die stand an diesem Sonntag in der Ukraine an. Das Datum müsste für deutsche Medienkonzerne eigentlich ein Grund zum Feiern sein, denn zu dem Anlass könnten sie den Kritikern des Maidan-Putsches aufs Brot schmieren, wie vorbildlich sich die westlich inthronisierte "Demokratie" in der Ukraine entwickelt. Angesichts der ukrainischen Realitäten wird das Datum aber zu einem Tag der Schande für weite Teile des deutschen Journalismus. 

Die zum Scheitern verurteilten Versuche zahlreicher Medien, selbst im ukrainischen Chaos noch "positive Tendenzen" oder "endlich greifende Reformen" zu entdecken, sollen hier ignoriert werden. Hervorgehoben werden soll aber ein besonders klägliches Stück Journalismus zum Thema. So hat der Deutschlandfunk den aus der Ukraine berichtenden Christoph Brumme zum "unglaublichen Wahlkampf" im Land befragt – und der Sender lässt dabei selbst unglaubliche Antworten kritiklos stehen. 

Die "historischen Verdienste" des Poroschenko 

DLF: Sie vermuten, dass es dann auch wieder zu Gewalt kommen kann?

Brumme: Das ist schwer einzuschätzen. Viele sagen, wenn Selensky gewinnt, wäre das das Ende der Ukraine. Er würde die Ukraine preisgeben, quasi an Moskau verkaufen. Viele sagen: Ich werde emigrieren. Viele sagen: Ich werde kämpfen, ich werde das Ergebnis nicht akzeptieren. Es ist für viele Ukrainer eine sehr schwierige Situation.

DLF: Kommen wir zum nächsten Kandidaten. Poroschenko setzt sehr stark auf die Identitätskarte. Sein Wahlspruch: Armee, Sprache, Glauben. Er zielt darauf ab, einen deutlichen Kampf gegen Russland zu führen, für die ukrainische Sprache und die ukrainische Orthodoxie. Trifft er damit den anderen Teil der Bevölkerung, der sich stark von Russland abgrenzen will?

Brumme: Also, es gibt nicht nur zwei Teile in der ukrainischen Gesellschaft. Sie ist viel vielfältiger und viel widersprüchlicher. Poroschenko ist der Kandidat mit dem höchsten Anti-Rating. Etwa 50 Prozent der Ukrainer sagen, sie würden ihn auf keinen Fall wieder wählen. Das ist ein wichtiger Fakt. Andererseits ist Poroschenko der einzige Kandidat, wo man sagen muss, wenn er gewinnt, steigt wieder die Kriegsgefahr, weil Russland genau weiß, dass mit Poroschenko die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine erhalten bleiben wird, dass Reformen stattfinden werden.

Poroschenko ist sicherlich der beste Präsident, den die Ukraine je hatte. Er hat sich zweifellos historische Verdienste erworben. 

Auch Abstand zum Maidan-Rausch schafft keine gedankliche Distanz 

Man kann festhalten: In einem wichtigen deutschen Medium wird unwidersprochen festgestellt, Poroschenko habe sich Verdienste erworben und von ihm seien "Reformen" zu erwarten. Der Deutschlandfunk steht mit dieser Aufgabe seiner journalistischen Ethik beileibe nicht allein da. Die Hoffnung, dass die großen deutschen Medien mit zeitlicher Distanz zum Maidan-Rausch auch eine gedankliche Distanz zu den unrühmlichen Vorgängen entwickeln würden, kann also als vergeblich bezeichnet werden.

Wie bodenlos das Vertrauen der Ukrainer in ihre Regierung gesunken ist, liest man darum nicht in den deutschen Mainstreammedien, sondern das zeigt eine Umfrage von Gallup . Demnach haben nur noch neun Prozent der Ukrainer Vertrauen in ihre Regierung. Das ist laut Gallup der niedrigste Vertrauenswert weltweit: 

91 Prozenz in der Ukraine sagen, dass Korruption in der Regierung weit verbreitet ist. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen am 31. März gehen die Ukrainer mit weniger Vertrauen in ihre Regierung zur Wahl als alle anderen Wähler der Welt. Nur neun Prozent der Einwohner haben Vertrauen in die nationale Regierung, das niedrigste Vertrauensniveau der Welt im zweiten Jahr in Folge. 

Angesichts dieser Zahlen kann man die westlichen Redakteure, Politiker und Konzernlenker, die den Ukrainern 2014 die "echte" Demokratie geschenkt haben, wirklich nur beglückwünschen. Sie haben ein funktionierendes Land in ein wirtschaftlich, politisch und moralisch zerrüttetes Areal verwandelt, wo Wahlen inzwischen zur Farce geworden sind. Insofern passt auch die weitgehend unterbliebene (reale) Berichterstattung zum Ereignis. Die aktuelle Präsidentschaftswahl in der Ukraine kann als fast schon irrelevant für die weitere gesellschaftliche Entwicklung des Landes angesehen werden. 

Propagandaschlacht ums Urheberrecht 

Eine wahre Propagandaschlacht lieferten sich in dieser Woche die Verfechter und die Gegner der gerade beschlossenen Urheberrechts-Richtlinie der EU. Aus Protest gegen die Reform waren zuletzt zehntausende Menschen auf die Straße gegangen. Die Polemik, die den Demonstranten von medialer und politischer Seite entgegenschlug, war gnadenlos. So erinnerten die Demonstranten die Welt "beinahe an den Hurrapatriotismus junger Kriegsbegeisterter früherer Zeiten." Das wurde noch übertroffen vom Vorwurf des CDU-Europaabgeordneten Daniel Caspary, einige Demonstranten seien "gekauft". Auch EU-Parlamentarier Elmar Brok (CDU) beklagte in Interviews eine "massive und von Algorithmen gesteuerte Kampagne der großen Internetkonzerne" gegen das Vorhaben. Er habe in den vergangenen Tagen Tausende gleichlautende Briefe und E-Mails erhalten, die sämtliche Postfächer verstopften. Das sei "kein normaler demokratischer Prozess mehr."

Neben einem Lobbyismus der US-Internet-Konzerne gegen die Reform konnte auch einmassiver Kampagnen-Journalismus für die Reform verzeichnet werden, auf den etwa Stefan Niggemeier im Deutschlandfunk hingewiesenhat. Niggemeier nannte die Kampagne einen"intensiven Lobbyismus in eigener Sache"durch die großen Verleger in Deutschland. Zu diesem Lobbyismus kann auchein Appell gezählt werden, mit dem sich Chefredakteure deutscher Zeitungen an ihre Europaabgeordneten gewandt haben. Und auch die Nachrichtenagentur dpaschloss sich ganz offiziell einer Pro-Urheberrechtsreform-Allianz zahlreicher Agenturen an. 

Erpressung durch Medienverlage? 

"Solche Dinge halte ich schon für ungewöhnlich und letzten Endes auch schädlich für die Debatte", sagte etwa Piratin Julia Reda über den Pro-Reform-Lobbyismus vieler Medien. Sie erinnerte an die "große Verantwortung"der Medien. In ihrem Kampf für das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverlage hätten Verlage und Nachrichtenagenturen "die Trennung zwischen Lobbyismus und Redaktion aufgegeben." In einem Interview spricht sie von offener Erpressung: "Ich weiß zum Beispiel von Kollegen, dass ihnen teilweise Zeitungen und Verlage mit schlechter Berichterstattung drohen, wenn sie keine bestimmte Position einnehmen." 

Dass die Fronten beim Urheberrecht nicht ganz so eindeutig festzulegen sind, wie von beiden Seiten suggeriert wird, stellen die NachDenkSeiten fest: 

Die gerade erlebte Machtdemonstration der deutschen Medienkonzerne hat nochmals verdeutlicht, wie wichtig eine alternative Medienlandschaft im Internet ist. Alles, was das Internet als möglichst unbeschränkte Informationsquelle bedroht, ist höchst skeptisch zu betrachten. Nach dieser Abwägung der Rechtsgüter muss auch die jetzt leider beschlossene Urheberrechtsreform (in der jetzigen Fassung) als destruktiv bezeichnet werden. ... Dass die neue Internet-Öffentlichkeit in der Hand von skrupellosen Privatkonzernen liegt, ist allerdings ebenfalls ein drängendes Problem. Zwar deckt sich im Moment das Geschäftsinteresse der Internet-Konzerne teilweise(!) mit denen einer zahlungsunwilligen 'Netzgemeinde'und eben auch mit den Nutzern kritischer neuer Medien. Diese Sympathien sollten über den unhaltbaren Zustand der privaten Machtfülle und der potenziellen privaten Meinungskontrolle durch Facebook, Youtube und Co. aber nicht hinwegtäuschen. 

Treuhand und Schocktherapie nach 1989: Die offene Wunde

Der wirtschaftliche Kahlschlag durch die Treuhandanstalt nach 1989 in Ostdeutschland muss aufgearbeitet werden. Die damalige Schocktherapie, die mit einer arroganten und neoliberalen Medienkampagne verbunden war, ist ein wichtiger Grund für heutige gesellschaftliche Unruhen. So lange diese Wunde nicht geschlossen ist, so lange keine Entschuldigung an die Ostdeutschen ausgesprochen wurde, so lange die damalige Wende-Politik nicht glasklar und offiziell als radikaler Irrweg bezeichnet wird – so lange braucht man sich auch über Erfolge der AfD nicht zu wundern.

In dieser Woche wurde jedoch schmerzlich bewusst gemacht, wie weit die Politik von diesen überfälligen Schritten der Versöhnung entfernt ist. Denn eine Antwort des (SPD-geführten!) Finanzministeriums auf eine Anfrage der Linkspartei zur Bewertung der Treuhand und der von ihr ausgelösten sozialen Katastrophen kann nur als kalt und verzerrend bezeichnet werden.

Die skandalöse Weißwaschung der Treuhand 

So wird echte Kritik am Unwesen der Treuhand verweigert. Stattdessen wird die dramatische Umwälzung zum "geregelten Privatisierungsprozess"schöngeredet, mit dem "die Unternehmen möglichst schnell mit dem erforderlichen Kapital und marktwirtschaftlichem Know-how ausgestattet werden"sollten, "um ihre Wettbewerbsfähigkeit und somit ihren Fortbestand und den Erhalt bzw. die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu sichern." Die NachDenkSeiten bezeichnen das als "fortgesetztes Verschanzen hinter lange als Propaganda überführten Floskeln", was von den Menschen, denen die damals "gesicherten"Arbeitsplätze weggenommen wurden, "als weitere Ohrfeige empfunden werden" muss.Auch der Rest der Antwort des Ministeriums muss als skandalös bezeichnet werden. 

Bei der Treuhand verhält es sich ähnlich wie beim Thema Ukraine. Da viele Medien als Mittäter bezeichnet werden müssen, sind diese Medien nun nicht frei, um über die Missstände zu berichten, weil sie sich selbst belasten würden. Denn die Schocktherapie gegen Ostdeutschland nach 1989 wäre ohne die intensive Schützenhilfe der deutschen Medienkonzerne nicht möglich gewesen. Also werden die Treuhand und die mit ihr verbundenen mutmaßlichen Verbrechen nicht angemessen thematisiert – so auch weitgehend in dieser Woche. 

Medien: Infame Flucht nach vorn

Einigen Medien war jedoch das verschämte Schweigen über selbst mitverursachte soziale Verwerfungen nicht genug – sie traten die Flucht nach vorn an. Als Negativ-Beispiel soll hier die ThüringerAllgemeine dienen. Die bezeichnete die aktuelle Kritik der Linkspartei an Treuhand und Finanzministerium als "Besserwessi-Keule" und als "armselig". Der folgende Absatz zeigt nicht nur, dass der Redakteur wie viele seiner Kollegen das leidige Kapitel "Treuhand" endlich schließen möchte. Es zeigt auch die Unwilligkeit, die heutigen Spannungen im Land aus der jüngeren Geschichte herzuleiten und eine Versöhnung einzuleiten – etwa durch eine Entschuldigung:

Was soll ein gefordertes Eingeständnis der Bundesregierung bringen, dass sie 'den Auftrag und die Ausrichtung der Arbeit der Treuhand als einen politischen Fehler der Nachwendezeit betrachte'? Millionen von verlorenen Jobs kehren dadurch nicht zurück. Vielmehr reißen alte Wunden auf.

Wie radikal sich der Artikel gerade mit dem letzten Satz auf dem Holzweg befindet, verdeutlichen die NachDenkSeiten

Das Wirken der Treuhandanstalt gegen die ostdeutsche Volkswirtschaft nach 1989 ist eine noch immer offene gesellschaftliche Wunde. Dass die damaligen Massenentlassungen und andere Demütigungen bis in die Gegenwart hineinwirken, lässt sich nicht ignorieren. Die politisch-wirtschaftlichen Verletzungen wurden zusätzlich durch eine die Ostdeutschen herabsetzende Medienpropaganda verschlimmert, die den Kahlschlag nach der Wende begleitet hatte und diesen bis in die Gegenwart in Schutz nimmt.

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