Deutschland

Europa als Geisel der konfrontativen US-Politik: Politikwissenschaftler Werner Ruf im Interview

Die Aufkündigung des INF-Vertrages seitens der USA hat eine Welle der Entrüstung ausgelöst und viele Fragen aufgeworfen. Wie wird sich das Kräfteverhältnis in Europa ändern? Wie verhält sich die Bundesregierung? Was können friedliebende Menschen dagegen tun?
Europa als Geisel der konfrontativen US-Politik: Politikwissenschaftler Werner Ruf im InterviewQuelle: www.globallookpress.com © imago stock&people/Klaus Rose

Die Auswirkungen der Kündigung des INF-Vertrages durch die USA, gefolgt von Russland, werden vor allem Europa treffen. RT Deutsch sprach darüber mit dem Politikwissenschaftler und Friedensforscher Professor Werner Ruf. Das Gespräch führte Hasan Posdnjakow.

Welche Motive stecken Ihrer Meinung nach hinter der Kündigung des INF-Vertrages durch die USA?

Ich sehe zwei Gründe: Nach der NATO-Osterweiterung und dem gewaltigen konventionellen Aufmarsch an den Grenzen Russlands soll mit der Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in West-Europa der Druck auf Russland erhöht werden. Zweitens wird diese Kündigung dazu führen, die gesamte Rüstungskontrollstruktur, die Ende des vergangenen Jahrhunderts errichtet wurde, ins Wanken zu bringen.

Wie würde sich die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa auf die Stabilität des Friedens in Europa und das Kräfteverhältnis zwischen der NATO und Russland auswirken?

Die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Westeuropa würde das prekäre Gleichgewicht definitiv zuungunsten Russlands verändern. Europa (d.h. auch Russland!) aber würde zum Schlachtfeld unter Einsatz US-amerikanischer (auch nuklearer) Waffen - kurz: Europa würde zur Geisel einer auf Konfrontation angelegten US-Politik werden. In diesen Kontext gehört die Aufstellung neuer Raketen-Abwehrsysteme in Europa ebenso wie die in der Nuclear Posture Review der USA von 2018 vorgesehene und bereits begonnene Modernisierung der (immer noch vorhandenen) US-Atomwaffen. Diese sollen "miniaturisiert" werden, und zwar durch die Bereitstellung sogenannter "mini-nukes" vom Hiroshima-Format, also von Waffen, die besonders geeignet erscheinen für den Einsatz auf dem europäischen Glacis.

Wie verhält sich die Bundesregierung bislang im diplomatischen Streit zwischen den USA und Russland um den INF-Vertrag?

Ich denke, der Bundesregierung ist diese Gefahr voll bewusst, und es gibt Anzeichen dafür, dass sie innerhalb der NATO versucht, Verhandlungen über die Einhaltung des INF-Vertrags (wie im Vertrag vorgesehen) zwecks dessen Erhaltung zu erreichen – auch, weil sie ein Wiedererstarken der Friedensbewegung fürchtet. Andererseits gilt es (für sie), die Geschlossenheit der NATO zu erhalten und unter Beweis zu stellen: Schließlich hat Deutschland als zweitgrößter Truppen-Bereitsteller des Bündnisses ein großes Gewicht und versucht, die NATO für ihre eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Dazu gehört auch, die BRD als westeuropäische Großmacht gegen Russland in Stellung zu bringen. Das geht nicht ohne die NATO.

Wie bewertet die deutsche Friedensbewegung die neue Situation angesichts der sehr akuten Gefahr eines dauerhaften Rückzugs der USA aus dem INF-Vertrag?

Ich spreche nicht im Namen der - im übrigen sehr heterogenen - Friedensbewegung. Doch weiten Kreisen der Bevölkerung wird wohl immer klarer, dass diese Vertragskündigung Europa zur Geisel der Politik des "America First" macht.

Wie könnte eine neue Massenbewegung gegen neue Mittelstreckenraketen in Europa (wie in den 1980er Jahren) entstehen?

Dies habe ich in meinen vorigen Antworten bereits angedeutet. Es muss jetzt darum gehen, die deutsche und europäische Öffentlichkeit aufzuklären - gegen die Macht der deutschen Leitmedien. Die diesjährigen Ostermärsche könnten dafür zu einem Schlüssel werden.

Vielen Dank!

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