Lateinamerika

Mexiko: Bilanz der ersten Amtswochen des neuen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador

Der neue mexikanische Präsident trat sein Amt am 1. Dezember 2018 an: Seit dem wurden wichtige Wahlversprechen bereits in Angriff genommen. Dabei stehen der Kampf um den Energiesektor und die staatliche Ölfirma PEMEX im Vordergrund.
Mexiko: Bilanz der ersten Amtswochen des neuen Präsidenten Andrés Manuel López ObradorQuelle: Reuters © Daniel Becerril

von Maria Müller 

Der neue Präsident Mexikos hat eine titanische Aufgabe übernommen. Er will die strukturelle Wirtschaftskrise seines Landes überwinden und es auf den Weg eines sozialen Rechtsstaates zurückführen. Angesichts der weithin herrschenden Macht des organisierten Verbrechens, der massenhaften Gewaltopfer, der von Korruption durchsetzten Verwaltung und Justiz und der Misserfolge bei den Privatisierungen staatlicher Bereiche muss man dem mutigen Regierungsvorhaben Respekt und Anerkennung, aber auch Skepsis zollen. Das Ziel scheint hoch gesteckt.

Der Arbeitsrhythmus des Andrés Manuel López Obradorer ist intensiv. Im Volksmund nennt man ihn AMLO, nach den Anfangsbuchstaben seines langen Namens. Im ersten Monat gab er 20 Pressekonferenzen und besuchte zehn der 31 Bundesstaaten mit normalen Verkehrsflügen. Er tauscht sich jeden Morgen mit seinem Sicherheitskabinett aus und wöchentlich mit den Ministern, den Abgeordneten und Senatoren seiner Partei.

López Obrador hat bereits einige seiner wichtigsten Projekte in die Wege geleitet: Dazu gehören eine alternative Transportroute durch den Isthmus von Tehuantepec zwischen dem Atlantik und dem Pazifik. Dadurch würden die Kosten gegenüber dem Warentransport durch den Panamakanal stark reduziert. Autostraßen, eine Zugstrecke, gar eine Pipeline sind geplant. Das Projekt benötigt allerdings eine Bauzeit von mindestens zehn Jahren. Vor allem China soll an der Investition stark interessiert sein.

Der "Maya-Zug" und eine neue Sozialpolitik

Des Weiteren plant er eine Freihandelszone an der Grenze zu den Vereinigten Staaten, in der vor allem Migranten Arbeit finden sollen, um eine Alternative zur Einreise in die USA zu schaffen. Diese Sonderzone soll Erleichterungen bei den Produktionskosten erhalten und den weit billigeren Energiepreis der USA nutzen können.

Als drittes Großprojekt will AMLO den "Maya-Zug" bauen, mit dem die Halbinsel Yucatán touristisch und für den Warentransport erschlossen werden soll. Doch es regt sich bereits entschlossener Widerstand dagegen. Die indigenen Einwohner kritisieren, dass das einzigartige Ökosystem der Wälder Yucatáns dadurch schwer geschädigt und ihr eigener Lebensraum negativ verändert werde. Die Nutznießer des Projekts seien einzig die internationalen Tourismusunternehmen.

Neue Anforderungen werden an Baufirmen in öffentlichen Ausschreibungen gestellt. Sie werden ab jetzt nicht nur für den Bau eines Projektes unter Vertrag genommen, sondern auch bis zu 30 Jahre lang für dessen Instandhaltung. Gleichzeitig sollen unabhängige Firmen den Arbeitsprozess und die Finanzen kontrollieren und bescheinigen.

Des Weiteren hat López Obrador den ökonomisch, ökologisch und technisch riskanten Bau eines neuen Flughafens für die Hauptstadt storniert. Themen wie die Reform des Erziehungswesens, die Grundversorgung und die Rentenreform als Teile der neuen Sozialpolitik sind bereits in Gesetzesvorlagen ins Parlament eingegangen. Die Reform des unter Peña Nieto zurückgeschraubten Arbeitsrechts soll nun vorankommen.

"Gewalt kann nicht mit Gewalt beenden"

Auch Sparmaßnahmen gehören zum Regierungsprogramm. AMLO habe bereits eine Reihe von staatlichen Organismen geschlossen, die Arbeitslosenrate ist nun gestiegen. In Bezug auf den Kampf gegen das organisierte Verbrechen in Mexiko hat Präsident López Obrador zwar im Wahlkampf ein grundsätzliches Umdenken gefordert:

Gewalt kann man nicht mit Gewalt beenden, Feuer nicht mit Feuer löschen", sagte er noch bei seiner Amtseinführung.

Er wollte das im Drogenkrieg von seinen Vorgängern eingesetzte Militär zurück in die Kasernen holen, da sie keine positiven Resultate brachten und stattdessen die mörderische Gewalt nur noch weiter erhöhten. Doch inzwischen entpuppt sich das Vorhaben als halbherzig. Marine und Militärpolizei sollen zu einer neuen "Nationalgarde" fusioniert werden. Dazu bedarf es jedoch einer Verfassungsreform. Die neuen Sicherheitskräfte unterstünden zivilrechtlichen Normen, so der Präsident. Außerdem sei die Staatsgewalt nur einer der Faktoren in seinem Konzept. Insgesamt sollen nun 15 staatliche Stellen die Ölförderung und -verteilung überwachen.

Eine umfangreiche Amnestie für Inhaftierte ist angesagt, die wegen Kleindelikten im Drogenbereich verurteilt wurden, darunter oft von der Mafia zum illegalen Drogenanbau gezwungene Bauern. Auch geständige Gefangene, die Hinweise auf ungelöste Verbrechen geben, können mit ihrer Freilassung rechnen. Gerade im Fall der 42 verschwundenen Studenten von Ayotzinapa soll das gelten. Bereits in den ersten Tagen seiner Amtszeit hat AMLO eine neue Sonderkommission in diesem Fall eingerichtet.

Unsere Gefängnisse sind völlig überfüllt, wir können so nicht weitermachen", hatte er im Wahlkampf erklärt.

Doch in den höheren Rängen der Mafia und der mit ihnen kooperierenden Beamten und Politikern herrschte bisher weitgehend Straflosigkeit. López Obrador hatte versprochen, deswegen die Immunität für sich selbst und hohe Regierungsbeamte abzuschaffen. Am ersten Tag seiner Amtszeit hat er einen entsprechenden Antrag auf Verfassungsänderung ins Parlament eingebracht, der bereits verabschiedet wurde.

Nun kann dem Präsidenten nicht nur wegen Landesverrats und schweren Verbrechen der Prozess gemacht werden, sondern auch wegen Korruption und Vergehen gegen das Wahlgesetz. Allerdings muss eine Zweidrittelmehrheit im Senat die Unantastbarkeit des Präsidenten aufheben. Eine Verfassungsänderung zum Beseitigen der Immunität der Abgeordneten fand bisher keine entsprechende Mehrheit.

Weitere Schritte im Drogenkampf sollen den persönlichen Marihuanakonsum und kleine Anpflanzungen nach dem Vorbild Uruguays und Kanadas legalisieren. Kritiker weisen darauf hin, dass der Großteil des Drogengeschäfts jedoch mit Kokain, Heroin und synthetischen Drogen vor sich geht.

Herausforderung Energiesektor

Doch die stärksten Kopfschmerzen bereitet dem neuen Präsidenten in diesen Tagen der Energiesektor Mexikos. Der Zustand des von der Regierung Peña Nieto ab 2015 teilweise privatisierten staatlichen Mineralölkonzern PEMEX ist desolat. Die mit lukrativen Verträgen versorgten Konzerne wie Repsol, ExxonMobil, Shell, Chevron, Total, Statoil und ENI sollten mit neuen Technologien riesige Ölvorkommen in der Tiefsee vor Mexikos Küste erschließen.

Sie müssten vertragsgemäß auch die Produktivität des jahrelang vernachlässigten Betriebes wieder ankurbeln. Die Vereinbarungen wurden bisher nicht erfüllt. Mexiko kaufte 2018 rund 75 Prozent seines Treibstoffbedarfs von den USA, da die eigenen sieben Raffinerien wegen Schäden durch mangelnde Wartung die Arbeit einstellen mussten. Zum Vergleich: Zwischen 2006 und 2013 konnte Mexiko mit seinem Export hingegen rund ein Drittel des Staatshaushaltes finanzieren. Die PEMEX-Produktion fiel seitdem schrittweise von täglich 3,3 Millionen Barrel auf 1,7 Millionen im Jahr 2018.

Nun will AMLO den internationalen Konzernen eine Frist von drei Jahren geben, um die vertraglich zugesagte Produktion vorzuweisen. Ansonsten will er ihnen die Lizenzen entziehen. Er setzt darauf, dass PEMEX aus eigener Kraft wieder zu seiner alten Größe zurückfinden könnte.

Mit den Firmenverträgen haben sie bis heute kein einziges Barrel Rohöl rausgeholt. Wenn es keine Investitionen gibt, und vor allem, wenn es keine Produktion gibt (...), können wir auch unser Territorium nicht länger zur Verfügung stellen", bemerkte López Obrador vor kurzem.

Heute ist PEMEX der Ölkonzern mit dem weltweit höchsten Schuldenberg: Er verdoppelte sich unter Präsident Peña Nieto von fast 64 Milliarden US-Dollar im Jahr 2006 auf 106 Milliarden 2018. Kurz vor Ende seiner Amtszeit fügte er noch mal zwei Milliarden Dollar hinzu. Unter seiner Regierung hat sich die Last der Auslandsverpflichtungen Mexikos insgesamt verdoppelt.

Diebstahl und Korruption

Doch nicht nur die Privatisierungen und der Aderlass von Gewinnen ins Ausland führten zu großen Verlusten. Das Phänomen des "Benzindiebstahls" (huachicoleo) in vielfältigen Formen innerhalb Mexikos hat in diesen Jahren ein riesiges Ausmaß angenommen. Es fügt der mexikanischen Staatskasse jährlich zwischen drei bis vier Milliarden Dollar Verluste zu.

Das landesweit verzweigte Netz an Rohrleitungen für Rohöl, Benzin und Gas von 17.000 Kilometern Länge ist nur schwer vor dem illegalen Anzapfen zu schützen. In den Grenzstaaten mit den USA führen zahlreiche lokale Mafia-Firmen die Piraterie in grossem Ausmaß durch. Das entwendete Benzin geht billig in den Nachbarstaat, und zwar in so hohem Ausmaß, dass zahlreiche US-Raffinerien damit bedeutende Gewinne einfahren konnten.

Am 11. August 2010 eröffnete das US-amerikanische Justizministerium ein Verfahren gegen mehrere US-Raffinerien. Die kriminellen Organisationen hätten sogar eigene Pipelines gebaut, mit denen jährlich Öl im Wert von Hunderten von Millionen US-Dollar geraubt wurde. Auch ein illegales Verteilernetz habe dazu beigetragen. Damals zahlten die USA 2,4 Millionen Dollar an die mexikanische Steuerbehörde zurück.

In drei weiteren Verfahren von PEMEX gegen 23 US-Firmen wegen illegalen Transaktionen mit geraubtem mexikanischem Öl waren auch zwei Tochterfirmen der BASF angeklagt (BASF Corporation und BASF FINA Petrochemicals). Der Schaden wurde nie zurückerstattet.

Auch die Einwohner von Ortschaften in der Nähe der Leitungen verdienen am Rohstoffklau. Der aktuelle – tragische – Beweis ist die Tragödie vom 18. Januar. Obwohl der Abschnitt von Militärs bewacht war, konnten Einwohner der Ortschaft Tlahuelilpan vor deren Augen ein Rohr anzapfen. Die Menschen kamen mit Flaschen und Eimern, um das Benzin aufzufangen. Doch inmitten des Getümmels von mehreren Hundert Personen entzündete sich der Stoff und schlug eine 200 Meter hohe Stichflamme. Bis heute starben 95 Menschen an Verbrennungen, weitere Dutzende lebensgefährlich Verletzte befinden sich in Krankenhäusern, einige wurden in die USA verbracht.

Unter der Regierung von Enrique Peña Nieto haben sich die Anzapfstellen von 3.278 zu Beginn seiner Amtszeit 2013 auf 12.581 Ende 2018 fast vervierfacht. All das ist nur aufgrund einer korrupten Komplizenschaft in den eigenen Reihen des Konzerns möglich, denn dafür sind technische Informationen aus dem Sicherheitsbereich der Staatsfirma nötig.

"Es gibt ein Sicherheitsprotokoll. Wenn die Techniker auf dem Monitor sehen, dass in einer Linie Druckabfall herrscht, und zwar von solchem Ausmaß (im Fall von Tausenden Litern), müssten sie die Ventile schließen. Die Kontrolleure sahen sechs bis neun Stunden lang auf dem Monitor den Druckabfall und schlossen keine Ventile", versicherte die mexikanische Energiesekretärin Rocío Nahle.

Hartes Durchgreifen der neuen Regierung

Am 18. Januar meldete die Zeitung El País, es seien bereits 400 Personen wegen Brennstoffraub festgenommen worden. Die Konten von 42 Firmen einschliesslich eines Teils von PEMEX seien unter Verdacht auf Geldwäsche blockiert.

Präsident López Obrador informierte in den vergangenen Tagen über die Festnahme von drei weiteren PEMEX-Mitarbeitern, die des Benzinraubs überführt wurden. Ein Netz korrupter Funktionäre werde untersucht. Er nannte jedoch keine Namen. Gegen den General Eduardo León, früherer Sicherheitschef von PEMEX, wird ebenfalls ermittelt. AMLO verkündete inzwischen, dass der Benzinraub seit Dezember stark zurückgegangen sei.

Allerdings musste er zu drastischen Massnahmen greifen: Einige Leitungen wurden gegen den Raub geschlossen und Tankstellen mit Tankwagen versorgt, was zu starken Engpässen und einigem Chaos führte. Dennoch besitzt der neue Präsident noch Vorschussvertrauen, er hat die meisten Stimmen in der Geschichte Mexikos erhalten. Heute stehen über 80 Prozent der Bevölkerung hinter seinem PEMEX-Programm.

Er will in Zukunft Tragödien wie die in Tlahuelilpan mit einem besonderen Sozialplan vermeiden. Er gilt für 91 Orte in den Zonen der Pipelines, um das Motiv der extremen Armut für den Benzinraub auszuschließen. Des Weiteren bereist er selbst die Gegenden und spricht mit den Gemeinden.

Früher hieß es, wenn die da oben klauen, können wir das auch machen. Heute klauen die da oben nicht mehr, das ist vorbei. Ihr müsst mir versprechen, damit aufzuhören", so AMLO auf den Versammlungen.

Zum Schluss sei noch erwähnt, dass der internationale Währungsfonds (IWF) bereits negative Wirtschaftsdaten für Mexiko voraussagt, ohne die mexikanische Wirtschaftsentwicklung über einen längeren Zeitraum zu beobachten.

Er reduzierte die Wachstumsprognose für Mexiko für das Jahr 2019 von 2,5 Prozent auf 2,2 Prozent. Der Präsident López Obrador verwies hingegen auf die Stärkung des mexikanischen Peso gegenüber dem Dollar, auf die Stabilität an der Börse und die besseren Ölpreise. Es könnte sich herausstellen, dass der IWF erneut versucht, eine linksliberale Regierung auf diesem Gebiet zu schaden, wie es auch in anderen Fällen, z.B. in Chile, nach eigenem Bekunden geschah.

Wenn man bedenkt, das das "schwarze Gold" einem Land Reichtum bringen müsste, ist auch im Falle Mexikos feststzuellen, dass es gleichermaßen zu unermesslicher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Zerstörung beitragen kann.

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