Nahost

Interview mit russischem Chef-Analysten zu Syrien: "Russisches Militär drängt auf härtere Maßnahmen"

Der russische Syrien-Analyst Ruslan Mamedow im Gespräch mit RT Deutsch über das sich dramatisch ändernde Verhältnis zu Israel, die Rolle von Türkei und Iran in Syrien sowie die Pläne der USA, ein autonomes Protektorat im Osten des Landes zu errichten.
Interview mit russischem Chef-Analysten zu Syrien: "Russisches Militär drängt auf härtere Maßnahmen"Quelle: Sputnik

von Ali Özkök

Ruslan Mamedow ist Leiter der Nahost-Abteilung des Russischen Rats für internationale Angelegenheiten (RIAC). Das akademische Forschungszentrum berät unter anderem das russische Außenministerium.

Nach israelischen Luftangriffen auf Latakia hat die syrische Luftabwehr ein russisches Il-20-Flugzeug abgeschossen. Wie wird sich das Verhältnis Russlands zu Israel künftig gestalten?

Eine der Optionen, die Russland vorliegen, ist eine vollständige Sperrung des syrischen Luftraums für israelische Flugzeuge – ohne jegliche Möglichkeit für Israel, syrisches Territorium künftig zu bombardieren. Vernünftigerweise sollte Moskau auch untersuchen, warum diese 15 russischen Militärangehörigen in eine solch unsichere Lage geraten konnten. Dies ist eine Sache, die untersucht werden muss. In Russland ist übrigens ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden, und ich denke, letztendlich werden daraus Konsequenzen gezogen. Russland muss definitiv die Sicherheit seines Militärpersonals in Syrien verbessern.

Eine Reihe russischer Militärs ist sich sicher, dass härtere Maßnahmen ergriffen werden sollten – also sichere Grenzen um die russischen Stützpunkte Hmeimim und Tartus herum zu ziehen, vielleicht noch Latakia, die durch militärische Einheiten irgendwelcher Drittstaaten – also nicht-syrische und nicht-russische – auf keinen Fall übertreten werden dürfen.

Das sollte übrigens auch die Iraner betreffen, meiner Meinung nach wegen Israels Bemerkung, dass die Iraner ihre militärischen Objekte in der Nähe russischer Stützpunkte errichten, um sich vor israelischen Luftangriffen zu schützen. Die Frage hier ist, inwiefern das stimmt, denn wir können nicht bestätigen, dass es iranische Militäreinrichtungen in Latakia gibt, obwohl Israel solche Beweismaterialien vorgelegt haben will. Vieles hängt davon ab, wie die Gespräche zwischen den russischen und den israelischen Militärs verlaufen werden.

Ich hoffe, in Tel Aviv begreift man, dass das Vertrauen zwischen Russland und Israel in dieser Region von den Ergebnissen dieser Gespräche abhängt.

Kommen wir zu Idlib. Laut dem Sotschi-Abkommen zwischen Erdoğan und Putin, muss die Türkei die Autobahnstrecken der Region freigeben. Was ist der tieferliegende Sinn dieser Initiative, welche ökonomischen Auswirkungen wird dieser Schritt haben, und wo sehen Sie die Herausforderung bei der Umsetzung?

Die Öffnung der Autobahnstrecken M4 und M5 würde die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Regionen auf ein neues Niveau heben, aber auch das Vertrauen Russlands in die Türkei stärken und eine politische Lösung der Spannungen herbeiführen.

Zudem könnte es auch der Türkei helfen, sich ausgeprägter an der politischen Lösung des syrischen Konfliktes zu beteiligen. Vieles hängt davon ab, wie sich die Türkei in Idlib schlägt und wie gut sie die Vorgänge dort kontrollieren kann. Und letztendlich, ja, die Türkei könnte sich beim Wiederaufbau Syriens nützlich machen – dazu ruft die Russische Föderation auf: sich Gedanken zu machen über den Wiederaufbau, die Rückkehr der Flüchtlinge, darüber, die Lage in Syrien endlich zu stabilisieren.

Die Türkei hat sich verpflichtet, Terroristen von der Opposition zu trennen. Beide Seiten diskutierten auch viel darüber, welche bewaffneten Kräfte überhaupt als Opposition gewertet werden dürfen. Wie haben sich Moskau und Ankara geeinigt?

Russland hat der Türkei als Ergebnis der Verhandlungen ein Zugeständnis gemacht, und dieses Zugeständnis ist die zeitliche Frist. Russland gibt der Türkei Zeit, die Milizen in Idlib an die Leine zu nehmen.

Diese Zeit ist für die Türkei sehr gefährlich, denn obwohl die Türkei die Al-Qaida nahe al-Nusra-Front beziehungsweise Haiʾat Tahrir asch-Scham als Terroristen anerkannt hat - diese Einheit dominiert die Idlib-Region und kontrolliert die Provinzhauptstadt - handelt es sich um eine schlagkräftige Gruppierung mit Zehntausenden von gut ausgebildeten Kämpfern. Ein Großteil dieser Kämpfer ist nicht zu Kompromissen bereit.

Ankara kann auf Idlib einwirken, denn der Zugang zur Außenwelt der Region beschränkt sich auf die Türkei. Rüstungsgüter können nur über türkisches Territorium nach Idlib gelangen, genauso wie Lebensmittel und Medikamente. Dies war seinerzeit das Hauptproblem der syrischen Krise überhaupt – offene Grenzen, die weder Jordanien noch die Türkei geschlossen und gesichert haben und über die sie bewaffnete Milizen in Syrien unterstützten. Deswegen waren auch die Regionen mit den meisten Problemen der Norden und der Süden des Landes. Jetzt hält die Türkei den Schlüssel zu einer Lösung für Idlib in der Hand.

Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür, dass Russland sich auf den türkischen Vorschlag einließ, keine Militäroffensive auf Idlib zu starten?

Die Idlib-Region steht der Regierung in Damaskus seit langer Zeit in kompromissloser Opposition gegenüber. Zudem ist hier ab einem gewissen Moment auch der Faktor der Konfessionen hinzugekommen. Es gab eine Phase im Syrienkrieg, als die Radikalisierung dazu führte, dass die Trennung nach Konfessionen auf einmal sehr wichtig wurde. Idlib wird größtenteils von Sunniten bewohnt.

Die Position Russlands lässt sich so ausdrücken: Wenn man Krieg, Opfer und so weiter vermeiden kann, dann soll die Türkei das doch einmal probieren. Die zeitliche Dauer ist für Russland im Moment nicht prinzipiell wichtig.

In einem Tweet argumentieren Sie, dass Erdoğan große Zugeständnisse von Russland erhalten habe, die einen Preis hätten. Wird die Türkei nun auch außerhalb Idlibs mit Russland kooperieren?

Für die Türkei wäre die Entstehung einer autonomen oder halbautonomen Region in Syrien, die sich der Kontrolle von Damaskus entzieht, überhaupt nicht günstig. Die Türkei hat ein eigenes akutes Problem mit den Kurden im Inland und wird deshalb immer reagieren. Ankara fürchtet den Separatismus und Terror in Anatolien.

Dieser Faktor der Kurden in Syrien ist auch ein Langzeitfaktor in den Beziehungen zwischen der Türkei und den USA und erlaubt eine Kooperation zwischen Moskau und Ankara. Wenn das so weitergeht, wird es sicherlich mehr Gelegenheiten geben, dem Entstehen einer autonomen Region im Nordosten Syriens unter einem US-Protektorat entgegenzuwirken – denn an der Bildung einer solchen autonomen Region arbeiten die USA ja im Moment mit Hochdruck und liefern massenweise Rüstungsgüter an die Organisation, die sie die "Demokratischen Kräfte Syriens" nennen.

Im Osten Syriens hat Russland eine etwas andere Haltung als in Idlib, speziell in Deir ez-Zor mit seinen großen Erdöl- und Erdgasvorkommen. Diese sind für den Wiederaufbau des Landes sehr wichtig. Russland dürfte damit einverstanden sein, wenn sich die Türkei ebenso bei der Rückkehr des syrischen Nordostens, wo gegenwärtig die "Demokratischen Kräfte Syriens" agieren, unter die Kontrolle von Damaskus mit einbringt.

Die kurdische YPG kooperiert immer enger mit den USA. Wie bewerten Sie Moskaus Verhältnis zu den Kurden Syriens?

Das wichtigste Prinzip der russischen Außenpolitik im Nahen Osten und insbesondere in Bezug auf Syrien ist die territoriale Unversehrtheit. Alle weiteren Vereinbarungen mit den kurdischen Kräften werden ebenfalls auf diesen von Russland befolgten Prinzipien aufbauen. Für Moskau ist die Wahrung eines einheitlichen syrischen Staates die Grundvoraussetzung für Verhandlungen mit der YPG – und nicht irgendwelche Teilungen, auf die die US-Amerikaner bisher gesetzt haben.

Sie haben ihre Taktik neuerdings geändert und die Kurden gestärkt. Auch die Kurden können voll auf die US-Amerikaner setzen, aber damit könnten sie auch verlieren und den Kürzeren ziehen. Deshalb verstehen die Kurden meines Wissens nach auch, dass es weise ist, den Kontakt zu Moskau und Damaskus zu halten. Auch in Moskau wird sich wegen der gegenwärtigen Beziehungen der YPG nicht auf einmal eine negative Haltung gegenüber den Kurden einstellen, denn da gibt es auch andere Fragen: zum Beispiel Geheimdienst-Austausch von Menschen, die früher für den „Islamischen Staat“ oder für andere Terrororganisationen gekämpft haben. Für Russland sind das durchaus nützliche Informationen, und die Kurden haben sie.

Wo sehen Sie nach der Lösung des Idlib-Problems die nächsten Herausforderungen für Russland bei der Befriedung Syriens?

Politische Lösungen zu finden, ist immer das Wichtigste, und Russland sollte sich hier meiner Ansicht nach noch mehr einsetzen. Das betrifft vor allem die Schaffung einer Verfassungskommission, die einvernehmlich die wichtigsten Prinzipien der Verfassung festlegt und einzelne Punkte formuliert. Auf dieser Basis könnten Neuwahlen durchgeführt werden.

Zu kritisieren ist, dass Staffan de Mistura, der UN-Sondergesandte für Syrien, es mit dem Aufstellen entsprechender Mitgliederlisten und damit, das System zum Laufen zu bringen, nicht sehr eilig zu haben scheint.

Die USA wollen jetzt solange bleiben, bis der Iran aus Syrien abzieht. Glauben Sie, dass der Iran in absehbarer Zeit abziehen könnte und dieses Argument der einzige Grund für den Verbleib der US Truppen in Syrien ist?

Der Iran wird nicht aus Syrien abziehen. Teheran hat große Ressourcen, auch menschliche, in Syrien investiert, und er hat unserer Ansicht nach legitime Interessen in diesem Land. Das muss man einfach verstehen: Der Iran hat Syrien während des ganzen Krieges unterstützt, und der Iran war auch vor dem Krieg Syriens Verbündeter, was viele vergessen.

Iran ist ein legitimer und wichtiger Faktor im Nahen Osten. Das Wichtigste ist aber, dass der Iran auch Russlands dauerhafter Partner bleiben wird, denn die russisch-iranischen Beziehungen bestehen aus mehr als nur der Kooperation in Syrien. Wir arbeiten in Fragen zu Zentralasien zusammen und kooperieren in Afghanistan und im Kaukasus.

Eine andere Sache ist Russlands Aufforderung an Teheran, seine pro-iranischen Kräfte in Syrien auf einen Abstand von 85 Kilometern zur syrisch-israelischen Grenze zu bringen, damit es zu keinem Konflikt zwischen diesen beiden Ländern kommt.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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