Europa

Bundespräsident Steinmeier: Europa muss neues Selbstbewusstsein entwickeln

In einem Interview mit der Passauer Neuen Presse meinte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dass die "Zeit für ein neues europäisches Selbstbewusstsein" gekommen sei. Die Zeit des blinden Gehorsams gegenüber Washington solle der Vergangenheit angehören.
Bundespräsident Steinmeier: Europa muss neues Selbstbewusstsein entwickelnQuelle: Sputnik © Maksim Bogovid

Es ist nicht das erste Mal, dass Frank-Walter Steinmeier die Staaten der Europäischen Union – und dabei insbesondere Deutschland – zu mehr Verantwortung mahnt. Bereits vor zwei Jahren, also noch vor der Ära Trump, plädierte er damals noch als Bundesaußenminister im Magazin Foreign Affairs für eine "neue globale Rolle" Deutschlands. Doch statt die Führungsrolle in Deutschland zu übernehmen, schickte ihn Kanzlerin Angela Merkel noch vor der Bundestagswahl 2017 als Chef des Auswärtigen Amtes ins Schloss Bellevue. So entledigt man sich in einer Demokratie potenzieller Rivalen um den eigenen Posten.

Von den Problemen, die Steinmeier 2016 ansprach, von der Krise innerhalb der EU und dem Machtvakuum durch das "Stolpern" der USA in einigen Teilen dieser Welt, sind die meisten immer noch aktuell. Und betrachtet man das Interview mit dem Bundespräsidenten in der Passauer Neuen Presse, dann ist ihm das auch vollkommen bewusst. Er macht es sich etwas einfach und reduziert die Probleme lediglich auf die "Risiken mit der Art und Weise, wie er (US-Präsident Donald Trump/Anm.) Politik macht", weshalb seiner Meinung nach "ein neues europäisches Selbstbewusstsein" geboten sei.

Auf die Frage was das denn bedeute, antwortete Steinmeier:

Das heißt, nicht nur zu überlegen, wie wir die europäische Dauerkrise überwinden, die begonnen hat mit der Wirtschaftskrise der mediterranen Staaten und sich fortgesetzt hat mit Auseinandersetzungen zur Migrationspolitik mit vielen osteuropäischen Staaten. Sondern wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass selbst die großen Staaten in Europa in der Welt keine Rolle mehr spielen, wenn wir uns nicht in Europa beieinander halten. Nur dann werden wir in der Lage sein, zwischen China, Russland und USA überhaupt noch mit einigem Gewicht wahrgenommen zu werden. Das gilt handelspolitisch: Ich glaube, der eine oder andere, der gegenüber Europa kritisch war, wird gespürt haben, dass handelspolitische Antworten auf die amerikanische Politik nur noch gemeinsam europäisch gegeben sind. Das gilt verteidigungspolitisch: Seit dem jüngsten NATO-Gipfel wissen wir: Europa muss eine offene Debatte darüber führen, was notwendig ist, damit der europäische Arm innerhalb der NATO gestärkt wird.

Hier wird noch mal deutlich, wie er gegenüber der EU oder vielmehr gegenüber den EU-Mitgliedsstaaten den Vorwurf erhebt, nicht genügend getan zu haben, um von Washington als ebenbürtiger Partner wahrgenommen zu werden.

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Der europäische Blindflug gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika müsse aufhören, damit die Europäer "überhaupt noch mit einigem Gewicht wahrgenommen" würden. Diesen Aspekt beschreibt Steinmeier natürlich auf diplomatischere Art und Weise:

Wir müssen als Europa zur Kenntnis nehmen, dass wir uns sozusagen nicht mehr automatisch anlehnen können. Die amerikanische Außenpolitik verändert sich im Augenblick, ich weiß nicht, wohin, weil sie sich tageweise verändert. Deshalb müssen wir Verantwortung für unsere eigene europäische Außenpolitik und damit auch natürlich für unser Verhältnis zu anderen Regionen der Welt übernehmen: zunächst zu dem Teil Europas, der zur EU gehört, aber auch zu unseren südlichen Nachbarregionen. Da werden uns weder die Amerikaner noch jemand anderes die Arbeit abnehmen.

Die Frage bleibt, warum diese Einsicht so spät kommt. Aus deutscher Perspektive mag man es vielleicht aus historischer Sicht noch einigermaßen nachvollziehen, aber was ist mit den anderen Staaten? Was ist mit Frankreich, Italien oder Großbritannien? Wo bleiben Spanien, Portugal, Belgien oder die Niederlande? Das alles sind Länder, die in ihrer Vergangenheit sehr wohl "kosmopolitisch denkend in der Welt präsent" waren. Ein Synonym für ihre kolonialistische Vergangenheit, die Steinmeier aber als exklusives Geschenk der Briten an die EU betrachtet.

Eine mögliche Antwort darauf, warum es so lange gedauert hat, könnte darin liegen, dass die europäischen Regierungen im Laufe der Jahre zu naiv wurden. Sie haben mit der Zeit das Gefühl bekommen, dass ihr Heil für immer auf und an der Seite der USA zu suchen sei, und schalteten in dieser Hinsicht auf Autopilot. Mit NATO und EU hat man Institutionen erschaffen, die es möglich gemacht haben, die Verantwortung von sich zu schieben und sich im Sessel der Bequemlichkeit zurückzulehnen. Doch auf einmal ist diese Seifenblase geplatzt, und das führte zum bösen Erwachen in den europäischen Hauptstädten.

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