Lateinamerika

"Juristische Anarchie": Erst sollte Brasiliens Ex-Präsident Lula freikommen - Nun bleibt er in Haft

Es wäre ein juristischer Coup gewesen: Lula-Anhänger passen den Bereitschaftsdienst eines wohlgesonnenen Richters ab, stellten Antrag auf vorläufige Entlassung und erwirken fast seine Freilassung. Doch dann durchkreuzt der Präsident des Berufungsgerichts das Vorhaben.
"Juristische Anarchie": Erst sollte Brasiliens Ex-Präsident Lula freikommen - Nun bleibt er in HaftQuelle: Reuters © Rodolfo Buhrer

Juristisches Hickhack um den brasilianischen Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva: Nachdem ein Bundesrichter in Porto Alegre zunächst die sofortige Freilassung des 72-Jährigen angeordnet hatte, stoppte der Präsident des Gerichts am Sonntag die vorläufige Entlassung des ehemaligen Staatschefs (2003 - 2010) wieder. Mit dem Machtwort beendete Gerichtspräsident Thompson Flores ein stundenlanges Kompetenzgerangel zwischen mehreren Richtern. In den örtlichen Medien war von "juristischer Anarchie" die Rede.

Zunächst hatte Rogério Favreto, Bundesrichter aus Porto Alegre, einem Antrag auf einstweilige Verfügung stattgegeben und Lulas Freilassung aus dem Gefängnis in Curitiba angeordnet. Es gebe keine rechtliche Grundlage für seine Inhaftierung und Lula könne das Berufungsverfahren gegen sein Urteil in Freiheit abwarten, hieß es in seiner Entscheidung.

Lula verbüßt seit Anfang April eine zwölfjährige Freiheitsstrafe wegen angeblicher Korruption. Er soll von einem Bauunternehmen die Renovierung eines Luxus-Appartements angenommen haben. Lula weist die Vorwürfe zurück. Er sieht sich als Opfer einer Verschwörung rechter Politiker, der Justiz und der Medien und bezeichnet sich selbst als politischen Gefangenen. Der Disput bekommt zusätzliche Brisanz durch den Umstand, dass der 72-jährige Ex-Präsident die Umfragen für die bevorstehende Präsidentschaftswahl deutlich anführt.

Rechtsprechung abhängig von politischer Überzeugung?

Fast wäre der Befreiungsplan von Lulas linker Arbeiterpartei  aufgegangen: Mehrere Abgeordnete hatten den Antrag auf einstweilige Verfügung am Freitagabend gestellt, als der Bereitschaftsdienst des der Partei wohlgesonnenen Richters Favreto begann. Teile der brasilianischen Medien hinterfragten die Order von Favreto mit der Behauptung, der Jurist sei bis zu seiner Berufung ins Richteramt 2010 Mitglied der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) von Lula da Silva gewesen. Als der Jurist dem Antrag am Sonntagmorgen stattgab, feierten Lulas Anhänger bereits ihren vermeintlichen Sieg.

Was folgte, war jedoch ein juristischer Schlagabtausch: Zunächst meldete sich Sergio Moro zu Wort, jener Strafrichter am Bundesgericht in Curitiba, der Lula verurteilt hatte. Das Gericht in Porto Alegre verfüge nicht über die notwendige Kompetenz, um die Haftstrafe gegen den Ex-Präsidenten auszusetzen, erklärte Moro. Der Prozess und die Verurteilung sind im Land und international umstritten. Juristen beklagten, dass Moro keine Beweise vorgelegt habe, die Anklageschrift sei von heftigen Widersprüchen gekennzeichnet gewesen. Zudem sei es während des Prozesses zu mehreren Verfahrensverstößen gekommen.

Der für den Prozess zuständige Richter João Gebran Neto kassierte daraufhin die Entlassung von Brasiliens prominentestem Häftling umgehend. Die Polizei solle Lula nicht auf freien Fuß setzen, bis er den Fall geprüft habe, entschied der Jurist. Favreto verfasste anschließend jedoch eine weitere Entscheidung und befahl der Polizei, Lula binnen einer Stunde frei zu lassen.

Lula hält an Kandidaturvorhaben fest

Da wurde es Gerichtspräsident Flores zu bunt. Er trennte die Streithähne in Roben und entschied, dass die Kompetenz beim zuständigen Richter Gebran liege. Lula bleibt zunächst also hinter Gittern. Abgeordnete seiner Arbeiterpartei sprachen daraufhin von "Freiheitsberaubung". Die Gruppe Anwälte für die Demokratie stellte Strafanzeige gegen Richter Moro. Auch die Juristenvereinigung von Brasilien unterstützte Favreto am Sonntag und forderte die Haftentlassung Lulas.

Der Machtkampf der Richter hat entscheidenden Einfluss auf die politische Zukunft der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas. Lula will bei der Wahl im Oktober erneut für das höchste Staatsamt kandidieren. In den Umfragen liegt er immer noch deutlich vorn. Auf dem zweiten Platz folgt der rechtsgerichtete Ex-Militär Jair Bolsonaro. Der "Trump Brasiliens" äußert sich regelmäßig positiv über die Militärdiktatur von 1964 bis 1985 und kritisch gegen Homosexuelle. Folter bezeichnet er unter bestimmten Umständen als legitim. "Gewalt bekämpft man nur mit Gewalt", so Bolsonaro. 

In der Zelle in Curitiba hielt sich die Enttäuschung in Grenzen. Lula selbst hatte offenbar ohnehin nicht an seine Freilassung geglaubt. "Er hat gelächelt, wie er immer lächelt. Aber er hat nicht geglaubt, dass sie ihn freilassen", sagte der Abgeordnete Wadih Damous, der am Sonntag bei ihm war. "Er hat gefragt: Glaubt Ihr wirklich, sie lassen mich so einfach gehen?"

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(rt deutsch/dpa)

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