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Historiker: Wozu russische Hacker? Probleme westlicher Demokratien sind interner Natur

Tom Junes, promovierter Historiker mit Fokus auf Osteuropa, warnt auf der russlandkritischen Plattform "Open Democracy" davor, die Hysterie um russische Einmischung ernstzunehmen, die bezeichnenderweise erst im Jahr 2014 begonnen habe. Die Krisen seien hausgemacht.
Historiker: Wozu russische Hacker? Probleme westlicher Demokratien sind interner Natur

Gerade eben erst wurde bekannt gegeben, dass das US-Außenministerium den erwarteten russischen Versuchen zur Beeinflussung der Kongresswahlen in diesem Jahr mit einer eigenen Initiative entgegentreten will, für die es 40 Millionen USD ausgibt. Und im nächsten Moment erscheinen Meldungen, "russische Cyberspione" hätten den Bundestag gehackt. Übliche haltlose Behauptungen wie jene, "russische Regierungsstellen" stünden hinter den Hackerangriffen, werden mit einer pauschalen Angabe begründet, dass "zahlreiche Computerfachleute", welche nicht weiter benannt werden, dies vermuteten (Deutsche Presse-Agentur).

Den aktuellen Zustand nach den Anklagen von 13 Russen wegen angeblich versuchter Einmischung in die US-Präsidentschaftswahlen 2016 beschreibt der Historiker Tom Junes folgendermaßen:

Es ist wieder Muller-Zeit. Oder vielmehr, es ist an der Zeit, die Schlagzeilengeneratoren über russische Einmischung und Putins "Masterplan" zur Untergrabung des Westens aufzuladen.

Eine Zeit, in der internationale Medien "einen Hagelsturm von Artikeln und Op-eds über russische Trolle und Bots auf Social Media" produzierten, die offenbar in der Lage sind, politische Ergebnisse und mehr im Westen zu beeinflussen.

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Tom Junes ist Historiker und befasst sich schwerpunktmäßig mit Protestbewegungen in Osteuropa und Fragen wie der nach einem Gegenmittel zum Autoritarismus in Polen. Auf der Plattform "Open Democracy", welche vorrangig von antirussischen Stiftungen wie dem National Endowment for Democracy, der Open Society oder Rockefeller Foundation gefördert wird, betont Junes in seinem Artikel "Russische Einmischung in die virtuelle Welt ist nicht das Problem" die westliche Verantwortung für Problematiken, welche wiederholt dem ominösen russischem Einfluss zugeschrieben wird.

Obwohl viele der "Enthüllungen" nicht neu und längst von russischen Medien gebracht worden seien (wie ein Artikel über Internettrolle); scheine es, die "russische Bedrohung" sei realer denn je und würde von den bevorstehenden Wahlen in Italien bis zu den Kongresswahlen in den USA alles beeinflussen, so Junes.

Er wirft die Frage auf, ob es nicht sein könne, dass wir den sozialen Medien zu viel Anerkennung zollen, von der Anstiftung zu Massenprotesten und sogar "Revolutionen" bis hin zur Ermöglichung feindlicher ausländischer Wahlmanipulationen.

Und das sei zurückzuführen auf einen "Techno-Fetischismus" um die sozialen Medien. In Kombination mit den vielen Stunden, die Millionen von uns täglich auf Twitter oder Facebook verbringen, habe dieser es geschafft, die Grenzen zwischen Wunschdenken und Realität, zwischen der "virtuellen Welt" und der realen Welt jenseits der unmittelbaren Nähe unserer Bildschirme zu verwischen.

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Weniger Technik als die Ereignisse von 2014 haben "russische Bedrohung" hervorgebracht

Der promovierte Historiker führt den Beginn der Hysterie auf das Jahr 2014 zurück, denn zuvor war keine Rede von einer russischen Bedrohung oder einem hybriden Krieg Russlands gegen den Westen.

Dies änderte sich innerhalb weniger Monate, als in der Ukraine Massenproteste ausbrachen, nachdem der damalige Präsident Wiktor Janukowitsch sich plötzlich gegen ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union entschied.

Dabei hätten sich nach Ansicht von Junes an der Außenpolitik Russlands bereits zuvor russische Interessen oder gar geopolitische Rivalität im Hinblick auf die Ukraine ablesen lassen. Dennoch, so Junes, ist aus heutiger Sicht "kaum zu glauben, wie selbstgefällig und übertrieben selbstbewusst EU-Politiker und US-Diplomaten an die Frage der Öffnung der Ukraine für Europa herangegangen sind". Nach den Ereignissen auf der Krim und im Donbass "stand der Westen unter Schock".

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Anstatt über frühere Fehleinschätzungen und mangelnde Vorsicht in Bezug auf die Ukraine und Russland nachzudenken, kehrten westliche politische Eliten und Kommentatoren plötzlich dazu zurück, den russischen Diskurs eines aggressiven und expansiven Westens zu spiegeln, indem sie sich auf eine übertriebene russische Bedrohung beriefen.

"Unsichtbare Hand des Kremls als Erklärung für politische Ereignisse ad absurdum geführt"

Damit kreiert Junes zwar ein leicht anfechtbares Porträt Russlands, in dem es einen "Diskurs" über den Westen gebe, auf den lediglich reagiert worden sei. Doch trotz dieser russlandkritischen Haltung kommt Junes zu dem Schluss, dass seit der Enttäuschung über das Ergebnis der verfehlten westlichen Politik in der Ukraine immer wieder das Narrativ der russischen Bedrohung herhalten muss.

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Trotz des immer wiederkehrenden Alarmismus einiger Kommentatoren und Analysten bezüglich einer russischen militärischen Bedrohung ist in den vergangenen Jahren weder eine signifikante Eskalation des Krieges in der Ukraine noch eine angebliche russische Aggression gegen den Westen eingetreten. Vielmehr hat sich die Bedrohung durch den sogenannten "Hybridkrieg" verschärft, während die Ukraine-krise allmählich in Vergessenheit geraten ist, da sie nicht mehr für internationale Schlagzeilen sorgt. Die unsichtbare Hand des Kremls wird nun als Erklärung für die großen politischen Ereignisse, die im Westen geschehen, ad absurdum geführt."

Junes zählt einige Ereignisse auf, bei denen westliche Kommentatoren und Politiker schnell "mit dem Finger auf angebliche russische Einmischung oder angeblich mit dem Kreml verbundene destabilisierende Aktivitäten zeigen", darunter der Versuch von Syriza in Griechenland, das unbarmherzige Sparpaket infrage zu stellen, der Ausbruch der Krise in Katalonien, die Wahlerfolge rechter Parteien in Europa bis zum Wahlsieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen. Diese Liste könnte erhebt dabei keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit und erreicht in immer kürzeren Abständen neue Höhepunkte. 

Doch Junes betont, die

wahrgenommene Krise im Westen in ihren verschiedenen Ausprägungen ist nicht das Werk Russlands.

Er meint, dass es zwar russische Interessen gebe, doch das Narrativ der "russischen subversiven Aktivität" sollte "nicht überproportional verzerrt" werden. Denn die russische Politik, auch wenn Russland sich zunehmend als Gegengewicht zur Hegemonie des Westens positioniere, bedrohe nicht die westliche liberale Ordnung, so Junes.

Die Bedrohung für westliche liberale Demokratien ist intern. Je länger westliche Eliten, Politiker und Kommentatoren diese Tatsache ignorieren, desto größer wird die Bedrohung - unabhängig davon, was Russland tut oder nicht tut.

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Junes meint, nach der Ukraine-Krise haben sich mediale Anstrengungen teils auch russischer Privatpersonen vermehrt und darunter, wie als klassischer Effekt vor dem Hintergrund militärischer Operationen, auch Realitätsverzerrung gemischt.

Westliche Desinformation

Russland hat kein Monopol auf Desinformation. Westeuropäer, die gegen den Krieg im Irak waren, erinnern sich noch immer daran, wie angloamerikanische Medien die Invasionspläne der Bush-Administration förderten, die auf falschen Behauptungen über (...) Massenvernichtungswaffen basierten.

Und bei derlei Behauptungen mit fatalen Konsequenzen handelt es sich sicherlich nicht um einen veralteten Einzelfall. Zumindest als sehr stark umstritten können Behauptungen über syrische Massenvernichtungswaffen oder die Darstellung der "Weißhelme" bezeichnet werden. Zudem hinterfragt Junes die Definition von russischer "Desinformation", denn genauso gut könnten auch viele Boulevard-Meldungen darunter fallen, die eine weitaus stärkere Auswirkung hätten.

Allein schon deshalb, weil die Boulevardpresse einen viel größeren Marktanteil und eine größere Verbreitung hat, als jede organisierte russische Desinformationskampagne hätte aufbringen können.

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So erscheint es laut Junes wahrscheinlicher, den Wahlausgang der US-Präsidentschaftswahlen auf die Kampagnen von Nachrichtensendern wie Fox zurückzuführen, welche

sicherlich mehr Einfluss auf die amerikanischen Wähler gehabt haben, als eine Reihe (vermeintlich) russischer Memes, die auf Facebook verbreitet wurden.

Junes, der Mitglied der Stiftung Human- und Sozialwissenschaften in Sofia ist, verweist darauf, dass vermeintlich "russische Propaganda" eher das Phänomen einer sympathisierenden Haltung gegenüber Russland sei, was nicht zwangsläufig impliziere, dass sie durch eine vom Kreml angeordnete Operation bewusst durchdrungen worden sei.

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Die von Junes angeführten Punkte könnten noch mit sehr vielen weiteren Beispielen unterlegt werden und lassen auch einige Fragen offen. Zum Beispiel die, warum westliche Einmischung in die Wahlen Russlands und anderer Länder kaum ein Thema in denselben Medien sind, welche umgekehrt jedes Gerücht um vermeintlichen russischen Einfluss unkritisch aufgreifen.

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