Meinung

Syrien: Iranische Dominanzpolitik könnte für Russlands Befriedungspläne zur Belastung werden

Der Friedensprozess in Syrien ist nach wie vor labil und brüchig. Russland hat es bisher geschafft, hilfreiche Abreden mit geopolitischen Rivalen im Kriegsgebiet zu treffen. Ein Gefahrenpotenzial können künftig aber auch die Ansprüche Verbündeter bilden.
Syrien: Iranische Dominanzpolitik könnte für Russlands Befriedungspläne zur Belastung werden

von Reinhard Werner

Der Krieg in Syrien steht vor dem Ende, eine tragfähige politische Lösung zu finden wird die große Herausforderung für die kommenden Monate darstellen. Bislang standen eher jene Konfliktlinien im Fokus der Betrachtung, die sich seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzung gebildet hatten.

Viele der damit verbundenen offenen Fragen sind mittlerweile bis auf Weiteres geklärt. Das Ziel mehrerer Akteure wie der USA, der EU, der Türkei oder der Golfmonarchien, einen Regimewechsel in Damaskus zu erzwingen, ist gescheitert. Selbst dort, wo 2011 authentischer Unmut gegenüber der Regierung des Präsidenten Baschar al-Assad laut geworden war, haben die Brutalität und das abschreckende Auftreten der radikal-islamischen Milizen, die zur tragenden Säule der "Syrischen Revolution" wurden, die Menschen in eine Solidaritätshaltung mit ihrem Staatsoberhaupt getrieben und dem Aufstand die Legitimität genommen.

Von einer flächendeckenden Rückkehr souveräner Staatsgewalt in Syrien kann jedoch ebenfalls keine Rede sein. Die Türkei musste zwar ihre Hoffnungen auf einen islamistisch regierten Satellitenstaat begraben und versucht als Partner in den Friedensgesprächen, zu retten, was retten ist. Ein Abzug ihrer Truppen und eine Rückkehr der von ihr kontrollierten Gebiete unter die Verwaltung der Regierung Assad ist jedoch nicht abzusehen. Gleiches gilt für die Territorien, in denen die USA und deren Verbündete präsent sind, hauptsächlich die Kurdenregionen.

Ein potenzieller weiterer Konfliktherd, der bis dato wenig Aufmerksamkeit erfuhr, gerät in Anbetracht der Niederlage der "Syrischen Revolution" jedoch zunehmend in das Blickfeld professioneller Analysten. Dabei handelt es sich um einen stetig stärker zutage tretenden Interessenkonflikt zwischen Russland und dem Iran als bisherigen Verbündeten im Kampf gegen die Bedrohung durch terroristische Elemente mit sunnitischem Hintergrund - ergänzt um inneriranische Rivalitäten.

Russland geht mit gutem Beispiel voran

Bis dato ist Russland, im September 2015 auf ausdrückliches Ersuchen der syrischen Regierung dieser im Krieg gegen den Terror zu Hilfe gekommen, die einzige Macht in Syrien, die sich an ihre Zusage, abseits langfristiger Stationierungsabkommen nur für einen klar umrissenen Zeitraum im Land zu bleiben, tatsächlich gehalten hat.

Auch die Mission der Russischen Föderation war von vornherein klar umrissen: eine Machtübernahme durch Terroristen zu verhindern und eine Grundlage zu schaffen, um den seit bald sieben Jahren tobenden Krieg im Land durch eine tragfähige Friedenslösung zu beenden.

Auch die Gespräche zwischen Iran, der Türkei und der Russischen Föderation im November letzten Jahres in Sotschi sollten in diesem Sinne eine Vertiefung mit sich bringen. Alle Beteiligten erneuerten ihr Bekenntnis zur territorialen Einheit Syriens, alle suchten gemeinsam nach Wegen, um den Befriedungsprozess in den im Mai 2017 in Astana vereinbarten Konfliktbeilegungszonen auf eine neue Stufe zu heben.

In einem Artikel für Foreign Affairs hat Alex Vatanka jüngst jedoch aufgezeigt, dass es zwischen den drei Hauptakteuren immer noch eine Reihe von Mentalreservationen gibt. Zudem hat sich - neben weiteren Analysten - auch Marcel Serr im Israelnetz mit dem neuen Gleichgewicht im Nahen Osten befasst und dabei angesprochen, wo dieses bislang wenig beachtete Sollbruchstellen offenbart.

Bekannt ist, dass sich Russland nicht zuletzt seit dem Abschuss eines Su-24-Jets durch die türkische Luftabwehr im November 2015 bei aller Konstruktivität in der Sache doch noch ein Mindestmaß an Skepsis hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bewahrt hat. Im Juni 2016 hatte dieser innerhalb weniger Tage eine Beilegung der zum Teil seit Jahren bestehenden diplomatischen Konflikte mit der Russischen Föderation und mit Israel bekannt gegeben - wobei die türkisch-russische Aussöhnung einen bedeutenden Schritt hin zum Syrien-Dialog darstellte.

Erdogans islamistische Basis als Restrisiko

Nur wenige Monate später gingen aber mit der Befreiung Aleppos von islamischen Extremisten aggressive Demonstrationen dschihadistischer und nationalistischer Kräfte vor der Botschaft der Russischen Föderation in Ankara und die Ermordung des Botschafters Andrei Karlow durch einen radikalen Islamisten einher. Trotz der Versuche der türkischen Regierung, Schadensbegrenzung zu üben und das Attentat der im Land geächteten Gülen-Bewegung anzuhängen, blieben Fragen offen, ob tatsächlich der gesamte Staatsapparat loyal zu den Bemühungen Ankaras steht, eine politische Lösung für Syrien zu erwirken.

Die jüngste aggressive Rhetorik der türkischen Führung in Richtung Israel im Angesicht der Tempelberg-Krawalle im Sommer des Vorjahres und der Jerusalem-Entscheidung von US-Präsident Donald Trump im Dezember wirft einmal mehr Fragen auf, inwieweit in der politischen Führung der Türkei insgeheim immer noch von einer "Befreiung" der lange Zeit von den Osmanen regierten Städte Jerusalem und Aleppo geträumt wird.  

Aber auch der Iran könnte für die russischen Ambitionen, Syrien dauerhaft zu befrieden, zur Belastung werden, unabhängig von der weiteren Entwicklung der Proteste im Land. Teheran will für seine Anstrengungen im kriegsgeschüttelten Syrien eine Friedensdividende in Form eines zementierten Einflusses einstreichen. Dass Russland sich aktiv darum bemüht, den Dialog in alle Richtungen, von den USA über Israel bis hin zu den arabischen Golfstaaten, zu pflegen, weckt im Iran Argwohn.

Vor allem die Iranischen Revolutionsgarden (IRGC), die schon im eigenen Land von Zeit zu Zeit der zivilen Regierung des Präsidenten Hassan Rohani deren Grenzen aufzeigen, haben in Syrien flächendeckend mithilfe verbündeter Milizen und Statthalter eine Präsenz aufgebaut, die sie nicht gewillt sind, einzuschränken.

Iranische Revolutionsgarden fordern Institutionalisierung verbündeter Milizen

Den Revolutionsgarden geht es - anders als Russland - im syrischen Friedensprozess weniger um die Behauptung der republikanischen Autorität gegenüber Terroristen und um die Wahrung der Einheit des Staates als um die Bewahrung und Ausweitung des iranischen Einflusses im Land. Die IRGC, so heißt es in Foreign Affairs, wollen ihre lokalen Milizen in reguläre und institutionalisierte militärisch-politische Kräfte umwandeln, die in weiterer Folge einen ähnlichen Staat im Staate bilden würden wie die Hisbollah im Libanon. Dieses Vorhaben würde im Ergebnis auch das russische Ziel unterminieren, die Kontrolle der regulären staatlichen Institutionen der syrischen Republik über ihr eigenes Territorium wiederherzustellen.

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Im Iran soll es vor diesem Hintergrund Irritationen ausgelöst haben, dass der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, zwei Tage vor dem November-Treffen in Sotschi dort vier Stunden lang mit dem syrischen Präsidenten Assad gesprochen habe, ohne den Iran vorher über diese geplante Unterredung in Kenntnis zu setzen. Darauf deuteten jedenfalls Berichte in iranischen Medien hin. Was Teheran umso mehr befremdet habe, sei gewesen, dass Putin unmittelbar vor dem Syriengipfel in Sotschi US-Präsident Donald Trump telefonisch über Moskaus Vorhaben informierte. Aus iranischer Sicht ist jeder russische Schritt auf die USA und auf Israel zu, das eine Präsenz proiranischer Kräfte nahe seinen Grenzen nicht akzeptieren will, ein Grund zur Sorge, in einem künftigen Nachkriegssyrien ausgebootet zu werden.

Die geschäftigen Bewegungen der Revolutionsgarden in den Tagen unmittelbar nach dem Gipfel in Sotschi verfolgten, so Foreign Affairs, vor allem das Ziel, Putin zu demonstrieren, wie umfassend ihre Kapazitäten sind, proiranische Milizen nach Syrien zu bringen, dort zu unterhalten und jederzeit zu verlegen. Die IRGC wollen sicherstellen, dass auch den Verbündeten der Kriegsjahre, Putin und Assad, nicht entgeht, dass man aus den eigenen Investitionen der letzten Jahre im Rahmen des Konflikts nun auch die Erträge ernten will.

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Revolutionsgarden-General Mohammad Ali Dschafari wurde bereits am 23. November in dieser Hinsicht sehr deutlich. Assad, so Dschafari, stehe gegenüber den proiranischen so genannten Volksmilizen "in der Schuld" und ihm sei klar, dass diese entscheidend für sein politisches Überleben wären. Deshalb, so Dschafari, werde Assad "natürlich [die Milizen] institutionalisieren, damit diese in Anbetracht künftiger Bedrohungen ein relevanter Faktor bleiben". Mit den "künftigen Bedrohungen" waren jedoch augenscheinlich nicht mehr die sunnitisch-islamistischen Aufständischen gemeint, sondern die USA und Israel.

Eine Hisbollah für jedes Land

Die Strategie der Revolutionsgarden, in Form der proiranischen Milizen halbstaatliche Akteure nach Vorbild der Hisbollah als iranische Einflussinstrumente zu verstetigen, kommt nicht überraschend, gingen doch die IRGC selbst aus einer solchen Strategie hervor. Auch im Zuge der Islamischen Revolution von 1979 hatten die Garden als kleine, aber fanatische bewaffnete Einheit in Diensten Ayatollah Khomeinis begonnen und waren am Ende zur mächtigen eigenständigen Parallelstruktur innerhalb des Staatswesens geworden.

Die Machtstrategie der IRGC hat aber auch eine innenpolitische Funktion, insbesondere mit Blick auf Präsident Rohani, den man auf diese Weise unter Druck setzen will. Rohani gilt den Revolutionsgarden mit Blick auf Syrien als Zauderer. Zum Plan einer Institutionalisierung der Milizen in Syrien hat er bislang eindeutige Aussagen vermieden. IRGC-nahe Medien stellen ihn deshalb regelmäßig als Politiker dar, der gegenüber dem Westen zu weich wäre und die Forderungen, die Milizen aufzulösen oder zumindest zu entwaffnen, nicht zurückweise.

Die Revolutionsgarden, die bereits den Atomdeal von 2015 als Verrat an den Interessen des Iran betrachtet hatten, könnten die Debatte um die Zukunft der Milizen als Vorwand nutzen, um eine auf der Basis einer internationalen Kooperation zustande kommende Lösung für Syrien auch aktiv zu unterminieren. Auch könnten die Revolutionsgarden verlangen, dem Iran, vor allem aber ihnen selbst beim Wiederaufbau Syriens eine vorrangige Rolle zukommen zu lassen – mit dem Hinweis, dass die IRGC für eine solche Aufgabe besser ausgerüstet seien als die zivile Regierung in Damaskus selbst.

Eskalationsgefahr gefährdet russische Friedensbemühungen

Es deutet wenig darauf hin, dass die Strategie der "Vorwärtsverteidigung" aufseiten der Revolutionsgarden durch immer mehr Hisbollah-ähnliche Konstrukte in den Ländern an der Peripherie ein zeitnahes Ende finden wird. Die Proteste im Iran, die sich auch gegen die teure Aufrüstung proiranischer Milizen und Stellvertreter im Ausland richten, sind derzeit noch zu schwach, um auch nur Präsident Rohani eine Handhabe zu geben, auf Self-Restraint zu setzen.

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Moskau betrachtet die iranische Präsenz derzeit noch als legitim. Eine ungebremste Dominanzpolitik Teherans, die neben den sunnitischen Golfstaaten unweigerlich auch Israel auf den Plan rufen und ein enormes militärisches Eskalationspotenzial entlang dessen Grenzen schaffen würde, würde jedoch auch russischen Interessen zuwiderlaufen.

Sollten die proiranischen Kräfte das innere Gleichgewicht eines befriedeten Nachkriegssyriens durch ihr offensives Vorgehen über Gebühr belasten, könnte dies nach Auffassung von Marcel Serr in weiterer logischer Folge eine Annäherung Russlands an Israel als Gegengewicht bewirken, ähnlich wie bereits mehrere arabische Golfstaaten diese vollzogen haben. Moskaus allerletztes Interesse wäre es nämlich, sich in einen konfessionell aufgeladenen Stellvertreterkonflikt zwischen Sunniten und Schiiten hineinziehen zu lassen, der auch das sunnitisch-extremistische Terrorpotenzial im eigenen Land wieder anstacheln könnte.

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